Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky

Mörder kennen keine Grenzen - Horst Bosetzky


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Wärme, ich hörte die Stimme, doch ich saß draußen vor der Tür, war unerwünscht, wurde gehasst.

      Und wenn ich einfach hineinging und mich zu ihnen setzte? Guten Tag! Ich bin ein Schüler von Herrn Dr. Kolczyk und er hat mich zu einer Besprechung gebeten. Ein aufmunterndes Lächeln von Seiten seiner Frau. Nett, dass Sie gekommen sind, treten Sie doch bitte näher! Doch meine Hemmungen waren einfach zu groß.

      Das alles wurmte mich mächtig. Hemmungen – einem Mann wie Kolczyk gegenüber? Schließlich hatte ich ihn in der Hand und konnte mir nehmen, was mir gefiel. Schon stieß ich die Wagentür auf, doch wieder ließ mein Verstand rote Lämpchen aufleuchten. Wenn Kolczyk durchdrehte und alles aufflog? Hausfriedensbruch, eine Schlägerei, ein mit Blaulicht heranrasender Funkwagen ... Nein, nein! Ich konnte nicht riskieren, im nächsten Moment in Handschellen abgeführt zu werden.

      Sekunden später erschien Kolczyk in der Tür, groß, hager, aristokratisch, aufrecht und stolz. Ein schmales, schönes Gesicht, dunkles, leicht gewelltes kurzes Haar, eine scharf geschnittene Nase, ein ausgeprägtes Kinn. Wie hatte ich mir nur solch einen Gegner aussuchen können!

      Verdammt, ich war ja total übergeschnappt; das hier war kein Held, das war nur ein mieser kleiner Professor, ach was, noch nicht einmal Professor, sondern bloß ein popeliger Privatdozent, ein Fachidiot, der ein bisschen was geerbt hatte!

      In meiner Erregung hatte ich gar nicht gemerkt, dass inzwischen eine weitere Person auf dem Schauplatz erschienen war. Von der Gartentür her kam ein schlankes, zierliches Mädchen auf das Haus zu. Sie trug eine Jacke aus Lammveloursleder, einen kurzen Schottenrock und dunkle Stiefel. Ein zartes, ein zerbrechliches, ein anmutiges Geschöpf.

      Jetzt hatte sie den wartenden Kolczyk erreicht. Er beugte sich etwas zu ihr herab, sie küsste ihn. In ihren Bewegungen war eine Harmonie, die mich faszinierte.

      Seine Frau? Kaum, dazu war sie wohl zu jung, sie konnte nicht viel älter als zwanzig sein. Seine Geliebte? Nein, dann hätte er sie nicht in aller Öffentlichkeit geküsst. Eine Studentin? Unsinn! Vielleicht seine Tochter? Dazu war sie wiederum zu alt. Seine Schwester? Wer hat schon eine Schwester, die zwanzig Jahre jünger ist.

      Ich wartete fast zwei Stunden, fasziniert und von dem brennenden Wunsch erfüllt, das geheimnisvolle Mädchen noch einmal zu sehen, aber es ließ sich nicht mehr blicken.

      Schließlich, es war schon nach achtzehn Uhr und längst dunkel geworden, wendete ich und fuhr nach Hause. Plötzlich hatte ich wieder Mut, plötzlich wollte ich wieder kämpfen.

      „Na, endlich! Ich dachte schon, Sie hätten sich abgesetzt.“

      In meiner Wohnung wartete Oberkommissar Rannow. Er machte ein ziemlich finsteres Gesicht.

      6. Kapitel

      Tagebuchaufzeichnungen von Prof. Dr. Rüdiger Kolczyk.

      Anhand aufgefundener Fragmente vom Autor rekonstruiert.

      Verflucht sei er am Tage und verflucht sei er bei Nacht, verflucht beim Niederlegen und verflucht beim Aufstehen, verflucht bei seinem Ausgang und verflucht bei seinem Eingang. Gott möge ihm nie verzeihen! Diesen alt jüdischen Fluch murmelte ich zwar oft vor mich hin, wenn ich an Ziegenhals dachte, aber er war bei mir durchaus nicht Ausdruck einer tiefen Ohnmacht. Dem Schock der ersten Stunde war anfänglich eine gewisse Resignation gefolgt, ein fast demütiges Hinnehmen des Unabänderlichen, aber bald darauf hatte sich mein tief verwurzelter Wille zur Auflehnung durchgesetzt. Ich hatte früh Camus gelesen und begriffen, dass erst Auflehnung dem Leben seinen Sinn gibt, und wenn sie sich über die Dauer der Existenz erstreckt, sogar Größe. Und nach Größe habe ich immer gestrebt.

      Aber mein Widerstand erwuchs nicht nur aus meinem Intellekt, er hatte auch andere, tiefere Quellen. Schließlich entstamme ich einer alten Soldatenfamilie, die sich bis zum Jahre 1755 zurückverfolgen lässt. Ich gebe mich zwar stets als überzeugter Antimilitarist, aber etwas vom martialischen Geist der Väter erbt man eben doch, und etwas Tradition fließt in jede Erziehung mit ein. So ist es kaum verwunderlich, dass ich zum Kampf entschlossen war, dass ich Ziegenhals vernichten wollte.

      Das Wie war eine andere Frage. Tagelang zerbrach ich mir den Kopf, nächtelang grübelte ich über eine Strategie nach, die mir den Sieg bringen musste. Jetzt machte es sich sehr nachteilig bemerkbar, dass ich mein Leben lang nur Fachbücher und schöngeistige Literatur konsumiert hatte und keine Kriminalromane. Mir wollte partout nichts einfallen. Ich konnte mir doch nicht einfach eine Pistole kaufen und Ziegenhals in irgendeinem Mausflur niederschießen ... In Augenblicken, in denen meine Gedanken auf diese Ebene herabgesunken waren, kam mir das ganze Unternehmen höchst kindisch vor. Aber davon lassen konnte ich auch nicht mehr.

      Ein wenig Ablenkung brachten mir dann die Vorbereitungen zu meiner lange geplanten Vortragsreise durch die USA. Verschiedene Universitäten hatten mich eingeladen, so die Cornell University in Warren Hall, die University of California in Berkeley, die University of Wisconsin in Madison und die University of Michigan in Ann Arbor. Ich sollte über die Weiterentwicklung des Weberschen Bürokratiemodells, über die deutschen Gewerkschaften und über meine Untersuchungen in der Berliner Unterwelt sprechen. Es war alles wunderbar vorbereitet, und ich hatte mich schon seit Wochen auf die Reise gefreut.

      Es war am Abend vor meiner Abreise, ich hatte die gepackten Koffer zur Garage hinuntergetragen und wollte gerade ins Wohnzimmer gehen, um noch ein wenig mit meiner Familie zusammenzusitzen, als es läutete. Ich stellte den 55er Chateau Margaux, den ich mir aus dem Weinkeller geholt hatte, auf die helle Flurkommode und ging zur Wechselsprechanlage hinüber. Möglicherweise der Parteikassierer, der wie alle Jahre wieder von Haus zu Haus zog, um die Spenden für unsere Rentner und Veteranen zusammenzubekommen. Mit meinen 200 Mark waren sie dann immer in der Lage, die Weihnachtsfeier mit Kinderchor und Märchenspiel würdig zu gestalten und den alten Leutchen bunte Teller und einige nützliche Kleinigkeiten zu schenken.

      „Ja ...?“

      „Guten Abend! Hier Oberkommissar Rannow von der Kriminalpolizei. Ich hätte gern Herrn Dr. Kolczyk gesprochen.“

      Ich erstarrte. Wie immer, wenn ich einen Schreck bekomme, krampften sich meine Därme zusammen und ich litt unter dem Gefühl einer heftigen Diarrhö. Ich presste die rechte Hand auf den Unterleib und setzte mich für ein paar Sekunden auf den Hocker neben dem Spiegel, um den Anfall zu überwinden.

      „Hallo, sind Sie noch da?“ Eine typische Durchschnittsstimme, keine Akzentuierung, keine mundartliche Färbung, keine Faszination.

      „Nein, ich bin inzwischen geflohen!“, entgegnete ich ärgerlich, während ich auf das kleine weiße Knöpfchen für den Öffnungsmechanismus drückte. „Kommen Sie bitte rein!“

      Draußen summte es, dann wurde die Gartentür zugeschlagen. Ich rief noch schnell ins Zimmer, dass sie sich ein paar Minuten gedulden sollten, dann ließ ich den späten Besucher ins Haus.

      Oberkommissar Rannow war mir vom ersten Augenblick an unsympathisch. Seine braunen, etwas asymmetrisch stehenden Augen erinnerten mich an einen eben verprügelten Hund; die wulstigen Lippen, die knollige Nase und die großen Ohren widerten mich an. Und dazu noch der kurze Beamtenhaarschnitt – jedes Haar an seinem Platz ... Er roch ein wenig säuerlich; offenbar war er magenkrank. Zwar bekämpfe ich meinen Hochmut und mein elitäres Bewusstsein, wo immer es geht, aber ich empfand es dennoch als ziemliche Zumutung, dass sie mir ausgerechnet diesen Kretin ins Haus geschickt hatten.

      Ich


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