Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach
konfrontiert werden. Gerät er jetzt dort draußen in Schwierigkeiten, sind wir da, um ihn zu behüten und um ihn wieder auf den rechten Weg zu führen. In ein paar Jahren, wenn er zum Manne gereift ist, wird uns das wesentlich schwerer fallen.“
Der Cellerar brummelte unzufrieden vor sich hin. Doch allein die Vorstellung, Faoláns Vertrauen verlieren zu können, war schmerzlich. Nach reiflicher Überlegung willigte er schließlich ein. „Gut, ich werde es tun. Im Gegenzug solltest du allerdings noch heute mit Faolán sprechen. Seine Eindrücke sind noch frisch. Und halte unsere Abmachung geheim.“
„Sei unbesorgt, mein Freund. Ich werde mit Faolán sprechen und unsere Unterredung für mich behalten. Vertrauen solltest du nicht nur in Faolán, sondern auch in mich haben.“
Ivo erwiderte Degenars Lächeln. „Natürlich, alter Freund.“
Mit diesen Worten verließ der Cellerar den Abt. Es gab einiges, worüber Ivo nachzudenken hatte, denn die Situation mit Faolán war nicht einfacher geworden. Degenar hatte ihn sogar dazu angehalten, noch mehr zu wagen als ihm lieb war …
* * *
Die Dunkelheit hatte sich schon lange des Firmaments bemächtigt und die Bruderschaft lag zum größten Teil in den Betten des Dormitoriums, um die wenigen Stunden bis zur Matutin für den Schlaf zu nutzen. Nur wenige Mönche waren um diese Zeit noch auf den Beinen und so herrschte Stille in den Hallen des Klosters.
Die Ruhezeiten für die Gottesdiener waren karg bemessen, vor allem in den Sommermonaten. Sie richteten sich strikt nach Morgengrauen und Abenddämmerung. Aus diesem Grunde war Faolán sehr verärgert, dass er noch immer nicht eingeschlafen war. Mit jedem Herzschlag schien er sich mehr darüber aufzuregen, da der kommende Tag nur schwer zu meistern wäre, sollte er nicht bald einschlafen.
Während Faolán dem mehr oder weniger geräuschvollen Atmen der Mönche und älteren Novizen im Schlafsaal lauschte, drehte er sich immer wieder hin und her, um die beste Position auf seinem Lager zu finden. Vergebens! Schließlich lag er hellwach und resigniert auf dem Rücken, seinen Blick starr auf die Gewölbedecke gerichtet, die vom Licht des tief stehenden Mondes erhellt wurde.
Schuld an seiner Unruhe waren diese unablässig durch seinen Kopf wandernden Gedanken. Sie kehrten immer wieder zu dem heutigen Gespräch mit dem Abt zurück. Es war schon sehr außergewöhnlich, dass Faolán nach nur einem Tag erneut zu ihm gerufen worden war. Sicherlich war Bruder Ivo der Anlass hierfür gewesen. Anfangs hegte Faolán deshalb einen Groll gegen den Kellermeister, doch im Nachhinein betrachtete er die Dinge etwas nüchterner.
Die ermahnenden Worte des Abtes hatten dazu beigetragen, dass Faolán sich mit Bruder Ivo wieder versöhnte, zumindest im Geiste. Faoláns Befürchtung, der Cellerar könnte über die Rückfahrt gesprochen haben und der Abt würde daraus Konsequenzen ziehen, bewahrheitete sich nicht. Oder hatte das Klosteroberhaupt dies lediglich verschwiegen? Immerhin hatte der Abt merkwürdig oft nachgefragt, ob ihm sonst noch etwas auf dem Herzen läge. Beinahe hätte der Novize sich sogar hinreißen lassen, von der Begegnung mit Svea zu berichten. Nur den Apfel hatte er dem Abt übergeben. Es war offensichtlich, dass dies der gestohlene Apfel des Markthüters war, über den sie lange gesprochen hatten. Faolán hatte den Abt jedoch im Ungewissen gelassen, wie er in seinen Besitz gekommen war. Danach war die Unterredung beendet gewesen und Faolán hatte Svea mit keinem Wort erwähnt.
Viele Gedanken um das Mädchen überschlugen sich in seinem Kopf. Unter anderem die Tatsache, dass Svea Bruder Ivos Auftauchen auf der Lichtung vorhergesehen hatte. Das bereitete ihm Kopfzerbrechen, und er fragte sich, ob es wirklich Menschen mit solch einer Fähigkeit gab. Faolán hatte schon von Menschen mit einer besonderen Gabe gehört, die allgemein als ‚das Gesicht’ bezeichnet wurde. Getroffen hatte er bisher allerdings noch keinen. War Svea eine von ihnen?
Hätte der Novize den Abt darauf angesprochen, hätte das wahrscheinlich zu einem heftigen Disput geführt. In der Kirche genossen diese Menschen kein gutes Ansehen. Götzenanbetung, Zauberei und Teufelei lagen dieser Fähigkeit angeblich zugrunde.
Nein, den Abt darauf anzusprechen, hätte zu nichts geführt. Faolán war auf sich allein gestellt, und er schwor sich, die Antworten um dieses rothaarige Mädchen eigenständig herauszufinden. Ganz gleich was er hierfür zu wagen hätte und welche Strafen er hierfür auferlegt bekommen würde, er wollte Antworten.
Seine Gedanken kehrten immer wieder zu Svea zurück. Am Ende blieben sie ganz bei ihr, und mit den Augen zur Decke gerichtet, versuchte Faolán sich ihr Gesicht vorzustellen. Er versetzte sich in Gedanken auf die Lichtung zurück, wo er Svea überraschend angetroffen hatte. Noch einmal badete sie vor seinem geistigen Auge im Tümpel. Stünde er jetzt erneut vor der Wahl, würde er vielleicht seine Gewandung ablegen und ins Wasser steigen. Überrascht stellte Faolán fest, dass er tatsächlich bereit war, gegen die Regularien des Klosters zu verstoßen. Obwohl ihn der Cellerar gerade in diesem Punkte ausführlich belehrt hatte, kam ausgerechnet dieser Gedanke in ihm auf.
Je länger Faolán an Svea dachte, umso besser gelang es ihm, sich ihre Gesichtszüge wieder in Erinnerung zu rufen. Das freche Lächeln und das kurze, rote Haar waren ihm schon bald so gegenwärtig, als stünde das Mädchen vor ihm. Noch einmal entstieg sie nackt dem Wasser, streifte sich das Kleid über, kam auf ihn zu und führte mit ihm dieses merkwürdige Gespräch.
Und dann erinnerte Faolán sich an ihre Augen! Dieses faszinierende Grün, in das er am liebsten eingetaucht und verschwunden wäre, wie Svea im Wasser des Tümpels. Das Mädchen vermochte mit diesen Augen in ihn hineinzublicken und das Innerste seines Wesens zu ergründen. Faolán fragte sich, ob auch andere Menschen dem Zauber ihrer Augen erlagen und ob es sich dabei tatsächlich um einen Zauber handelte.
Ein Schauer durchlief den Novizen. Vergeblich versuchte er seine Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Es gelang ihm nicht. Zu seinem Ärger wurde auch noch der Druck seiner Blase immer stärker. Faolán schlug vorsichtig das Leintuch zurück und entstieg seinem Lager. Nur mit dem Nachtgewand bekleidet schlich er barfuß über den kalten Steinboden zum Ausgang des Dormitoriums und schloss die Tür hinter sich. Im Arkadengang entzündete er die kleine Laterne und machte sich auf den Weg zum Abtritthaus.
Jeder Schritt ließ die wirren Gedanken um Svea mehr und mehr verblassen. Am Ziel angekommen, schlug Faolán sein Wasser ab. Und mit der Erleichterung zog endlich Müdigkeit in seinen Körper.
Er wollte sich gerade auf den Rückweg begeben, als er Schritte vernahm. Mit einem Mal wieder hellwach, hielt Faolán inne und lauschte angestrengt. Vielleicht war es ein Mönch, der einem ähnlichen Drang wie er nachgeben wollte. Oder war es jemand, der gar keine Erleichterung, sondern ihn suchte? Die Schritte kamen näher. War es Drogo, der ihm eine Abreibung verpassen wollte? Sozusagen als Ausgleich für seine heutige Fahrt nach Neustatt?
Nach kurzem Zögern ging Faolán vorsichtig weiter. Er hatte keine Wahl, denn im Aborthaus säße er in der Falle. Er wollte noch das Licht seiner Lampe löschen, doch bevor er zur Tat schreiten konnte, traf er auf den nächtlichen Wanderer. Erschrocken blieb Faolán stehen.
„Da bist du also!“, zischte die dunkle Gestalt bedrohlich.
Faolán hob langsam die Lampe, um das Gesicht seines Gegenübers zu erhellen. Er war bereit, Drogo oder gar Prior Walram in die Augen zu blicken. Doch dann stellte er erleichtert fest, dass sein Freund vor ihm stand.
„Ering, was um Gottes Willen machst du denn hier?“
„Ich wollte nur nachsehen, ob du gotteslästerliche Reden hältst oder gar den Namen des Herrn missbrauchst“, flüsterte Ering mit einem Lächeln.
Faolán kam dieses Lächeln in dem flackernden Licht der Lampe eher wie ein hämisches Grinsen vor. Daher schlug er einen schärferen Tonfall an: „Stellst du mir etwa nach?“
„Nein, natürlich nicht“, versuchte Ering seinen Freund zu besänftigen. „Ich gehöre nicht zu Drogos Gefolgschaft, sondern habe lediglich bemerkt, dass du dich aus dem Dormitorium geschlichen hast. Da habe ich mir Sorgen gemacht und wollte mich vergewissern, ob alles in Ordnung ist.“
„Heute scheinen sich ja alle um mich zu sorgen“, zischte Faolán gereizt. Man ließ ihn noch nicht einmal