Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach
Schlaf, doch er war machtlos dagegen. Deshalb war Faolán tagsüber oftmals so müde, dass er Drogo gegenüber unvorsichtiger wurde. So manches Mal lief er ihm in die Arme und war seiner Willkür ausgesetzt.
Nach einigen Tagen bemerkte auch Konrad, dass Faolán seinen Schutz mehr als sonst benötigte. Obwohl er nicht wie Ering in Faoláns Gedanken eingeweiht war, stand er seinem Freund dennoch treu zur Seite und akzeptierte Faoláns zunehmende Nachlässigkeit.
Faoláns größte Herausforderung bestand allerdings darin, tagtäglich unter Bruder Ivos Aufsicht weiterhin seinen Pflichten nachzukommen. Denn der Cellerar beobachtete ihn genauer als zuvor. Aber nicht, um Faoláns Tätigkeit zu kontrollieren, sondern um sich nach dessen Wohlbefinden zu erkundigen. Faolán versuchte der übermäßigen Aufmerksamkeit des Kellermeisters mit zunehmender Gelassenheit zu begegnen. Das fiel ihm mit dem stetigen Blick des Mönches im Nacken allerdings nicht leicht, und die Zeit bis zum nächsten Markttag verging deshalb noch schleppender.
Insgeheim wusste Faolán, dass er nur ungeduldig war, weil er Svea wiedersehen wollte. Er machte sich in dieser Hinsicht inzwischen nichts mehr vor, obwohl er es kurz nach ihrer ersten Begegnung noch zu leugnen versucht hatte. Zwei Wochen waren inzwischen vergangen. Dass er diese Vorfreude auf Svea anfangs noch zu unterdrücken versucht hatte, erschien ihm jetzt wie eine Dummheit.
Heute war endlich wieder Markttag. Faolán hatte alle Vorbereitungen für die Fahrt nach Neustatt getroffen. Der Wagen war beladen, die Güter gesichert und das Pferd bereits angespannt. Nur der Kellermeister fehlte noch, damit die Fahrt endlich beginnen konnte.
Kurze Zeit später kam der Cellerar in Begleitung des Abtes über den Klosterhof. Das war nichts außergewöhnliches, schließlich hatte der Abt bisher jede Marktfahrt gesegnet. Heute allerdings missfiel Faolán Degenars Anwesenheit. Mit einem Mal misstraute er diesen beiden Freunden, die scheinbar tuschelnd daherkamen. Keiner der beiden Benediktiner hatte ihm etwas angetan, und doch stieg in ihm ein ungekannter Groll gegen sie empor.
Seit der letzten Unterredung hatte der Abt kein Wort mit Faolán gewechselt, geschweige denn ihn zu sich gerufen. Der Novize wusste nicht, ob er das als ein gutes oder ein schlechtes Zeichen werten sollte. Das Gespräch der beiden Männer erstarb schlagartig, als sie in die Nähe des Wagens kamen. Sie scheuten sich, Faolán direkt anzusehen. Wortlos bestieg Bruder Ivo den Wagen, der Abt erteilte seinen Segen und die Fahrt begann.
Die Stimmung zwischen dem Cellerar und seinem Gehilfen war unterkühlt. Faolán wusste nicht, weshalb der Cellerar sich heute so anders verhielt, er bemerkte nur, dass es seine Vorfreude auf Svea trübte. Seine Hoffnung, der Tag könne sich auf dem Weg nach Neustatt noch zu einem normalen Markttag wandeln, erfüllte sich leider nicht. Bruder Ivo schwieg die meiste Zeit und wenn er sprach, dann nur in knappen Sätzen. Der Novize fragte sich, ob dies eine Art Bestrafung sein sollte.
Selbst in Neustatt änderte sich die düstere Stimmung nicht, denn dort ging es heute sehr träge zu. Es waren deutlich weniger Händler und Marktgänger zugegen als beim letzten Mal. Die größte Enttäuschung war allerdings, dass Faolán Svea nicht zu Gesicht bekam. Obwohl er stetig nach ihr Ausschau hielt, sah er sie nicht ein einziges Mal. Je weiter der Tag voranschritt, umso schlechter wurde seine Laune. Lustlos bediente er einige Käufer, wobei er durch seine Nachlässigkeit beinahe übervorteilt worden wäre.
Bruder Ivo behielt seinen Gehilfen im Auge und verhinderte Schaden. Als er die Übellaunigkeit des Jungen nicht mehr mit ansehen konnte, schickte er ihn in die Menge, damit er auf andere Gedanken käme. Doch so gut es der Mönch auch gemeint hatte, es half nicht viel. Weder traf Faolán auf Svea, noch fand er eine Ablenkung von seinen düsteren Gedanken.
Als er schließlich zum Klosterstand zurückkam, war der Kellermeister bereits damit beschäftigt, den Wagen zu beladen. Mit einem schlechten Gewissen, weil er so lange weggeblieben war, packte Faolán sogleich mit an. Bruder Ivo wirkte indes wie ausgewechselt. Er plauderte vor sich hin, als habe er heute zahlreiche gute Geschäfte abgeschlossen, obwohl genau das Gegenteil der Fall war. Er erteilte auch keine Rüge wegen Faoláns langer Abwesenheit. Dem Gehilfen sollte es recht sein, denn die plötzliche Redseligkeit war ihm wesentlich lieber als das unterkühlte Schweigen des Vormittags. Deshalb hob sich, trotz seiner Enttäuschung über Sveas Ausbleiben, seine Laune zusehends.
Nachdem der Wagen beladen und das Tuch des Vordaches verstaut war, bahnten sie sich ihren Weg aus der Stadt. Schnell ließen sie die Häuser Neustatts hinter sich und die Ruhe des Waldes hieß sie willkommen. Faolán verfiel wieder in trübe Gedanken und versuchte sich mit seiner Enttäuschung abzufinden. Doch es fiel ihm nicht leicht, denn er verspürte eine seltsame Schwere in seiner Brust.
Plötzlich gab es einen kräftigen Ruck und Faolán wurde aus seinen Gedanken gerissen wie aus einem tiefen Schlaf. Der Cellerar hatte den Wagen zum Stehen gebracht. Der Novize schaute sich um und erkannte sofort die Stelle, wo sie vor zwei Wochen schon einmal gehalten hatten. Bruder Ivo kramte im Wagen, während er zu ihm sprach: „Würdest du bitte unsere Wasservorräte auffüllen? Ich habe es in der Stadt völlig vergessen.“
Ungläubig starrte Faolán den Mönch an, als traue er seinen Ohren nicht. Vor zwei Wochen erst hatte der Cellerar noch eine Predigt über mögliche Gefahren an diesem Tümpel gehalten und jetzt bat er seinen Gehilfen genau dorthin zu gehen! Was war nur in ihn gefahren?
„Nun geh schon“, verlieh Ivo seiner Aufforderung Nachdruck, als Faolán sich nicht rührte. „Du kennst den Weg und weißt genau, was zu tun ist. Leer mitnehmen, voll wiederbringen. Ganz einfach.“
Skeptisch nahm Faolán die beiden Wasserschläuche entgegen und stieg langsam vom Wagen. Noch einmal wandte er sich nach Bruder Ivo um und sah ihn mit einem auffällig breiten Grinsen ihm nachblicken. Irgendetwas musste der Mönch im Schilde führen, doch Faolán hatte nicht die leiseste Ahnung, was es sein könnte. Aufgeregt lief er los und nur einen Augenblick später hatte ihn das Unterholz verschlungen. Bald war er auf dem schmalen Pfad zur Lichtung unterwegs und sein Herz schlug immer schneller.
Am Rande der Lichtung angekommen, hielt sich Faolán zunächst im Blattwerk verborgen. Nichts regte sich im Wasser, die Oberfläche war beinahe glatt und ungestört. Einzig ein paar Libellen flogen am Ufer entlang.
Faolán hatte hier auf Svea gehofft, doch er war allein. Erneut breitete sich Enttäuschung in ihm aus. Sein sehnlichster Wunsch blieb ihm heute wohl verwehrt. Traurig schaute er auf die Wasserschläuche, dann wieder auf das Wasser. Langsam ließ er noch einmal seinen Blick über die Lichtung schweifen, doch es rührte sich nichts. Er war versucht, Sveas Namen zu rufen, doch er tat es nicht. Er wollte ihn nicht einmal den Bäumen anvertrauen.
Niedergeschlagen füllte Faolán schließlich die Tierhäute an der Quelle, blickte sich ein letztes Mal hoffnungsvoll um, und machte sich dann auf den Rückweg. Bei jedem Schritt, den er sich vom Tümpel entfernte, glaubte er seinen Namen zu hören, von einer Mädchenstimme gerufen. Oder waren da Schritte hinter ihm, die ihn einzuholen versuchten?
Einige Male drehte sich der Novize um, doch er sah niemanden. Das Rauschen der Bäume im Wind hielt ihn zum Narren, als wollten sie ihn für sein Misstrauen bestrafen.
Als er zum Wagen kam, fütterte Bruder Ivo dem Pferd gerade eine Rübe. Er hatte nicht erwartet, seinen Gehilfen so bald wiederzusehen. Wortlos bestieg Faolán den Wagen und der Mönch ahnte, was geschehen war. Er war sensibel genug, die Enttäuschung des Jungen und ihre Ursache nicht zur Sprache zu bringen, stieg ebenfalls auf den Wagen und trieb das Pferd an.
Die weitere Rückreise verlief schweigsam und bedrückt. Der Kellermeister versuchte mit einigen belanglosen Kommentaren die Stimmung zu heben, doch Faolán antwortete nicht.
Plötzlich wurde es einige Ellen vor dem Pferd unruhig. Im Unterholz bewegte sich etwas, als kämpfe jemand gegen das Strauchwerk an. Bruder Ivo zügelte das nervöse Pferd und beschwichtigte es mit ein paar Worten. Kaum war der Wagen zum Stehen gekommen, erschien mit einem Satz eine zierliche Gestalt auf dem Weg.
Gekleidet in graues Leinen, mit einem Messer am ledernen Gürtel und einer Tasche über den Schultern, kam die Person zielstrebig auf den Wagen zu, als habe sie auf diese Begegnung gewartet. Bruder Ivo beäugte sie argwöhnisch.
Faolán hingegen fühlte,