Talitha Running Horse. Antje Babendererde
Zuhause angelangt und stiegen aus. Miss Lilly kam unter dem Trailer hervor und strich miauend um meine Beine. Wahrscheinlich war sie mal wieder von einem Kojoten oder einem Bobcat, einer großen Wildkatze, gejagt worden und wollte nun die Nacht lieber in den sicheren vier Wänden unseres Trailers verbringen.
Mein Vater schloss die Tür auf und die Katze schlüpfte hinein. Später, als ich schon im Bett lag, kam er noch einmal in mein Zimmer und setzte sich zu mir. Sein Blick wanderte von den Postern an der Wand zu den Pferdezeichnungen, die ich von Stormy und den anderen Tieren gemacht hatte.
Er sagte: »Du bist richtig gut, Tally, beinahe schon eine Künstlerin.« »Es macht mir großen Spaß, zu zeichnen«, erwiderte ich und freute mich über die Anerkennung meines Vaters.
Er nickte. »Ja, das ist das Wichtigste, Braveheart: dass man etwas findet, was man gern macht, und dann versucht, gut darin zu werden.« Dad lächelte. »Es geht nicht darum, etwas perfekt zu machen, sondern es mit dem ganzen Herzen zu tun.«
Nach diesem Vorfall auf dem Powwow-Grund war meine größte Sorge, dass Neil Thunderhawk nun überhaupt nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Als ich das nächste Mal kam, um nach Stormy zu sehen und Psitó zu reiten, da ließ er sich nicht blicken, und ich war furchtbar enttäuscht. Wie gerne hätte ich ihm gesagt, dass es mir Leid tat und dass er sich nichts aus Marlins Boshaftigkeiten machen sollte, weil mein Cousin einfach nur dumm war. Aber dann begegnete ich Della, und sie erzählte mir, dass Neil für ein paar Tage bei seinem Großvater zu Besuch war, der in Wanblee lebte.
Eine Woche später stand er wieder vor der Scheune, als ich kam. Er war dabei, dem Leopardenschecken das Zaumzeug anzulegen, und flüsterte ihm zärtlich etwas ins Ohr. Mein Herzschlag spielte gleich wieder verrückt, und ich musste erst einige Male tief durchatmen, bevor ich zu Neil hingehen und ihn begrüßen konnte.
Er lächelte, das hielt ich für ein gutes Zeichen.
Nachdem ich Psitós Zaumzeug aus der Scheune geholt hatte, eilte ich los, um sie zu suchen. Und ich hatte Glück. Die Pferde grasten direkt hinter dem Haus. Stormy spitzte die Ohren, als sie meine Stimme hörte. Ich drückte meine Nase an ihren warmen Hals, und sie freute sich mich zu sehen. Natürlich hatte ich auch einen Leckerbissen für das Fohlen dabei. Diesmal war es eine Karotte, die ich aus dem Gemüsefach unseres Kühlschranks stibitzt hatte.
Als ich das dumpfe Klacken von Pferdehufen hörte, drehte ich mich um. Neil kam angeritten und brachte Taté zum Stehen. Er wartete, bis ich Psitó das Zaumzeug angelegt hatte, dann ritten wir zusammen in die Hügel.
Neil sagte lange nichts, und ich wusste nicht, ob ich so tun sollte, als hätte es den Vorfall auf dem Powwow-Grund nie gegeben, oder ob er erwartete, dass ich ihn darauf ansprach.
Irgendwann fragte er: »Hast du gewusst, was Marlins Beschimpfungen bedeuten?«
»Nein«, sagte ich. »Aber jetzt weiß ich’s.«
Er wandte den Kopf, um mich anzusehen. »Woher?«
»Mein Vater hat’s mir erklärt.«
»Und was meinst du dazu?«
»Was Marlin sagt, ist dumm«, antwortete ich. »Alles, was Marlin sagt, ist dumm.«
Neil lachte kalt. »Eine Menge Leute denken wie er.«
»Marlin denkt nicht«, sagte ich. »Er plappert nur nach, was andere reden.«
»Er ist ein verdammter Idiot«, presste Neil hervor. »Und er ist es nicht wert, ein Lakota zu sein.«
Der unterschwellige Hass in Neils Stimme war mir nicht entgangen. Ich hoffte, dass er nicht auf Rache aus war, denn das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Auch für mich.
»So unausstehlich ist er aber erst geworden, seit sein Vater tot ist«, sagte ich, obwohl ich Marlin nun wirklich nicht verteidigen wollte. »Er würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er seinen Sohn sehen könnte«, sagte Neil. »Ich kann Menschen, die unfair sind, nicht ausstehen.«
»Hast du mich deshalb verteidigt?«, fragte ich und warf Neil einen verstohlenen Blick zu. Was war ich für ihn? Eine Lakota oder ein Halbblut? Hatte das Ganze überhaupt irgendeine Bedeutung für ihn?
Statt einer Antwort schnalzte Neil mit der Zunge, drückte dem Hengst die Fersen in die Seite und zeigte mir, was er konnte. Wie ein Pfeil jagte er dahin. Neil ritt den Wind. Ich folgte ihm mit Psitó, die sich unter ihrer leichten Last am Galopp freute. Aber die Stute war alt, und ihr fehlte die Kraft, um mit Taté mitzuhalten. Ich wünschte mir, eines Tages auch so schnell reiten zu können wie Neil – auf Stormy. Ich wünschte, Neil Thunderhawk würde zu mir gehören. Ich wünschte, etwas Besonderes für ihn zu sein. Mein Kopf war voll von Wünschen und Träumen.
* Blanket:Decke
** Blanket Indians, Hang around the Forts: jemand, der sich um die Forts der Weißen herumtreibt und auf Almosen wartet
* Verwaltungshauptsitz des Reservats
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