Talitha Running Horse. Antje Babendererde

Talitha Running Horse - Antje Babendererde


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Thunderhawk begegnete, klopfte mein Herz zum Zerspringen. Allerdings hatte er nicht vor, mir zu viel seiner kostbaren freien Zeit zu opfern. Er half seinem Vater beim Bau eines Zaunes, der verhindern sollte, dass die Pferde auf Tante Charlenes Land grasten oder auf die Straße liefen. Er ritt die Tiere regelmäßig und begann mit der Ausbildung der beiden Jährlinge, die langsam daran gewöhnt werden mussten, Zaumzeug und Sattel zu tragen. Ein gut eingerittenes Pferd brachte beim Verkauf einige hundert Dollar mehr als ein Tier, dass noch nicht an Sattel und Reiter gewöhnt war. Manchmal sah ich, dass Neil mich beobachtete, wenn ich Psitó striegelte oder mit Stormy spielte. Bemerkte er meinen Blick, wandte er sich ab. Zu gerne hätte ich gewusst, was er über mich dachte.

      Die Wärme seiner Hand und sein Herzschlag in meinem Rücken gingen mir nicht mehr aus dem Sinn.

      Della, Toms Frau, war von Anfang an sehr nett zu mir. In der letzten Woche brauchte Dad mich in der Mittagszeit nicht mehr nach Hause fahren, weil sie mich eingeladen hatte mit ihrer Familie zu essen. Ich kam am Morgen, ritt Psitó, leistete Stormy Gesellschaft, half manchmal im Stall oder passte auf Bey und April auf, Neils kleine Schwestern.

      April war sieben und Bey drei Jahre alt. April Thunderhawk war groß für ihr Alter und hatte dieselben schwarzen Augen wie ihr Bruder. Unter langen Stirnfransen blickten sie mich neugierig an. Bey, die ihren Babyspeck noch nicht verloren hatte, wusste schon sehr genau, was sie wollte.

      Beide zusammen konnten ganz schön laut und anstrengend sein, kein Wunder, dass Neil so tat, als ob er für Mädchen nichts übrig hatte. Aber ich wusste, dass es anders war, denn ich begegnete ihm auf dem Abschluss-Powwow vom Lakota College in Kyle, wo seine Mutter Lehrerin war.

      Powwows, unsere Tanzfeste, finden den ganzen Sommer über statt. Im Winter werden sie gelegentlich in Turnhallen oder Gemeindezentren abgehalten. Jeder Indianer, der etwas auf sich hält, besitzt ein Tanzkostüm und nimmt irgendwann einmal an einem Powwow teil. Es gibt Leute, die machen den ganzen Sommer über nichts anderes.

      Es war der Samstag, nachdem die Arbeiten an Bernies Waschsalon in Manderson abgeschlossen waren. Dad und ich hatten unsere Tanzkleidung hervorgeholt und waren gegen Mittag zum Collegegebäude gefahren, das auf einem Hügel stand, ein paar Meilen vor dem Ort Kyle.

      Kaum auf dem Powwow-Platz angekommen, hatte ich Neil auch schon entdeckt. Er hatte seine kleine Schwester April an der Hand und Bey auf dem Arm und sah überhaupt nicht unglücklich oder genervt aus. Im Gegenteil, seine Geduld war erstaunlich. Er lief sogar mit, als Bey ihn auf die Tanzfläche zerrte, obwohl sich der Tanz Tiny Tot nannte und extra für die ganz kleinen Knirpse war.

      Neil ragte zwischen den pummeligen gefiederten Gestalten hervor wie ein strahlender Held. Er war gekleidet wie ein richtiger Krieger und er konnte tanzen, als wäre er einer. Kleine Federn schmückten seine langen Zöpfe, und wenn er tanzte, flogen sie. Er war ganz in Hirschleder gekleidet. Hose und Hemd hatten lange Fransen an den Seiten und waren bestickt mit bunten Glasperlen. Neil bewegte sich im vollkommenen Gleichklang mit der Trommel. Seine Füße, die in Mokassins steckten, schwebten erstaunlich leicht über das niedergetretene Gras.

      Ich ließ mich am Rand des Tanzplatzes nieder und zeichnete. Meine liebsten Werkzeuge waren farbige Buntstifte oder Bleistift. Mrs Hunter, meine Kunstlehrerin, hatte mein Talent erkannt und mir ans Herz gelegt, den Sommer über viel zu zeichnen. »Du hast eine lockere Hand, Tally«, hatte sie zu mir gesagt. »Zeichne alles, was dir vor die Nase kommt. Vielleicht schaffst du es, auf die Kunstschule zu gehen. Du hast das Zeug dazu.«

      Der Gedanke, auf eine Kunstschule zu gehen, gefiel mir, denn ich zeichnete leidenschaftlich gern und konnte mir nichts Besseres vorstellen, als es irgendwann einmal zu meiner Hauptbeschäftigung zu machen. Was für ein herrliches Gefühl, ein glattes weißes Blatt Papier vor sich zu haben und es durch wenige Striche mit Leben zu füllen! Papier und Stifte waren meine ständigen Begleiter. Ich trug sie in einer Umhängetasche aus Wildleder mit mir herum, die mein Vater für mich genäht und mit einem Perlenmuster bestickt hatte.

      Eine ältere Frau mit riesiger Brille auf der Nase, die neben mir saß, nickte anerkennend, als sie den tanzenden Neil Thunderhawk auf meinem Blatt erkannte. Ein bunter Wirbel aus Federn und Fransen. Der letzte Schlag der Trommel verklang, der Falsettgesang der Trommler endete schlagartig und Neil stoppte seinen Tanz abrupt. Auf einmal blickte er zu mir herüber und nickte mir zu. Ich hoffte, dass er später nicht sehen wollte, was ich gezeichnet hatte.

      Mein Herz flatterte wieder wie ein erschrockener Vogel, als Neil wenig später an der Tacobude vor mir stand. Ich spürte, wie ich rot wurde, aber das fiel ihm vielleicht gar nicht auf, weil die Präriesonne meine Haut inzwischen so dunkel gebrannt hatte, als wäre ich ein Vollblut.

      »Hi Tally«, sagte er und sah auf mich herunter. Neil trug einen Kopfputz aus Stachelschweinborsten, der ihn noch größer wirken ließ. An seinem zottigen Beinschmuck hingen Glöckchen, die bei jedem seiner Schritte klingelten.

      »Hallo Neil«, erwiderte ich so locker wie möglich. »Wie geht’s?«

      »Gut. Und dir?« Er zahlte und nahm seinen Taco entgegen. Biss herzhaft hinein in das Fladenbrot, das dick mit roten Bohnen, Tomaten, Zwiebeln und Käse bedeckt war.

      Mir lief das Wasser im Mund zusammen. »Auch gut.«

      »Bist du mit deinem Dad hier?«, fragte er kauend.

      »Ja«, sagte ich. »Er gehört zu den traditionellen Tänzern.«

      »Mein Pa auch.« Neil nickte mir zu. »Okay. Dann noch viel Spaß.«

      »Ja, dir auch.«

      So liefen fast alle Gespräche ab, die ich mit Neil Thunderhawk hatte. Wenn man das überhaupt Gespräche nennen konnte. Seine Erinnerung an die beiden Ausritte, die mir unaufhörlich im Kopf herumgeisterten, schien völlig ausgelöscht zu sein. Er war dabei, erwachsen zu werden, und in seinen Augen war ich noch ein Kind. Nicht mehr als ein junges Fohlen wie Stormy, hübsch anzusehen, aber zu nichts zu gebrauchen, jedenfalls noch nicht.

      Ich wollte einfach nicht glauben, dass ich immer noch dreizehn Jahre alt war.

      Neil bemerkte natürlich nicht, dass ich mir Mühe gab, älter auszusehen, indem ich mein Haar nicht mehr zu zwei Zöpfen flocht, sondern nur noch zu einem. Ihm fiel auch nicht auf, dass ich mich jedes Mal besonders hübsch anzog, wenn die Möglichkeit bestand, ihm zu begegnen. Es interessierte ihn nicht, wie gut ich auf dem Powwow tanzte, denn er tanzte besser. Ihm war gleichgültig, dass ich Psitó inzwischen auch allein ohne Sattel reiten konnte, denn er ritt schnell wie der Wind, so als wäre er eins mit Taté, dem gefleckten Hengst. Neil konnte auch nicht ahnen, dass ich jedes Mal eine Gänsehaut bekam vom Klang seiner Stimme.

      Es hatte mich nicht getroffen wie ein Blitz, sondern war langsam zur Gewissheit geworden: Zum ersten Mal in meinem Leben war ich richtig verliebt. Was für ein wunderbares und zugleich peinigendes Gefühl das sein konnte: Dieses wohlige Flattern im Bauch, wenn Neil Thunderhawk mich anlachte und mit mir sprach. Und die pure Verzweiflung, wenn er mich keines Blickes würdigte.

      Vor dem Powwow hatte ich meine und Dads Tanzkleidung auf dem großen Tisch in der Wohnküche unseres Trailers ausgebreitet und genau überprüft, ob auch nichts fehlte. Mein Vater besaß einen Anzug aus weich gegerbtem Hirschleder, der ihn wie einen Krieger aus vergangenen Zeiten aussehen ließ. Die Tanzkleidung war bestickt mit verschiedenfarbigen Stachelschweinborsten und winzigen bunten Glasperlen. Seine Mokassins, die ebenfalls kunstvoll mit Perlen bestickt waren, trug mein Vater nur, wenn er tanzte.

      Dad legte großen Wert darauf, dass die Farben und Muster auf seiner Kleidung auch stimmten. Ein wirklich gut gearbeitetes Outfit war teuer, vor allem wenn Adlerfedern dafür verwendet wurden. Und Dad besaß ein Bustle, einen kreisrunden Federschmuck für den Rücken, der komplett mit Adlerfedern besetzt war.

      Die Tanzkleidung meines Vaters war um die 2 000 Dollar wert, und schon mehr als einmal hatte er sich mit dem Gedanken getragen, sie zu verkaufen. Immer dann, wenn uns das Nötigste zum Leben fehlte und wir nicht wussten, wo die nächste Mahlzeit herkommen sollte. Aber jedes Mal war uns der Zufall zu Hilfe gekommen, und Dad hatte doch wieder irgendwo einen Job gefunden.

      Mein Vater war ein guter Tänzer und ich unheimlich


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