Talitha Running Horse. Antje Babendererde
du denn reiten?«
Verlegen schüttelte ich den Kopf. »Nicht richtig. Wir haben keine Pferde.«
Ich war zwar hier und da mal geritten, aber richtig gelernt hatte ich es nie. Und das bei meinem Namen: Running Horse.Etwas Beschämenderes konnte ich mir als Lakota-Indianerin nicht vorstellen. Die meisten Kinder im Reservat wuchsen mit Pferden auf und waren gute Reiter. Mit den Pferden verband sich unser ganzes Lebensgefühl. In meinem Fall verband sich mit ihnen nur mein Name und eine große Sehnsucht.
»Möchtest du es lernen?«
Ich blickte ihn hoffnungsvoll an, aber dann sank mein Kopf wieder nach unten. »Wir haben kein Geld für so was«, sagte ich bekümmert. Tom Thunderhawk begann zu lachen, ein tiefes, donnerndes Lakota-Lachen, das in meinem Magen kollerte und auf merkwürdige Weise liebevoll klang.
»Hab ich vielleicht was von Geld gesagt? Du magst die Tiere und sie mögen dich. Außerdem hast du ein gutes Gefühl für Pferde, und das gefällt mir. Ich beobachte dich schon lange.«
»Aber wir wohnen ziemlich weit weg«, sagte ich.
»In Porcupine, wenn ich mich nicht irre?«
»Ja, das stimmt.«
Er lachte wieder. »Das ist doch nur ein Katzensprung. Komm, wann immer du kannst, und wenn ich Zeit habe, werde ich dir das Reiten beibringen.« Er strich mir mit seiner großen dunklen Hand übers Haar. »Wie heißt du eigentlich, Mädchen?«
»Tally«, sagte ich mit wild klopfendem Herzen. »Talitha Running Horse.«
Für einen kurzen Augenblick huschte ein Schatten über Toms Gesicht und er fragte: »Ist Charlene deine Tante?«
Ich nickte. »Mein Dad hilft ihr manchmal, wenn es was zu reparieren gibt. Deshalb bin ich ab und zu hier.«
»Charlene ist nicht besonders gut auf meine Familie zu sprechen«, sagte er, und ich hatte plötzlich furchtbare Angst, dass er sein Angebot zurücknehmen könnte, nur weil ich mit Tante Charlene verwandt war.
»Sie ist auf niemanden gut zu sprechen«, erwiderte ich schnell.
»Mein Onkel ist vor einem Jahr im Irak gefallen und seitdem geht es ihr nicht so gut.«
Thunderhawk nickte. »Ja, ich weiß. Wenn sie etwas freundlicher zu anderen wäre, würde es ihr vielleicht besser gehen.«
Mein Vater kam und holte mich. Er wechselte ein paar Worte mit Tom Thunderhawk und dabei stellte sich heraus, dass Tom ein Stück Land pachten wollte, das meinem Vater gehörte und das an sein eigenes Land grenzte.
»Dann hätten die Pferde einen größeren Auslauf«, sagte er.
Aber Dad wollte nicht verpachten, was mich wunderte, wo wir doch jeden Dollar gut gebrauchen konnten.
»Das Land gehört mir, aber es ist nicht mein Besitz«, sagte mein Vater, »und ich achte es zu sehr, als dass ich daraus Gewinn schlagen könnte.«
Thunderhawk nickte. »Das verstehe ich und ich hätte da einen Vorschlag.«
Schließlich einigten sie sich darauf, dass Toms Pferde auf unserem Land grasen durften und ich dafür bei ihm Reiten lernen würde. Ich konnte kommen, sooft ich wollte. Mit diesem Angebot war ich mehr als zufrieden, und Tom war es auch. Freudestrahlend umarmte ich meinen Vater.
Wieder zu Hause, lief ich gleich zu Adena und erzählte ihr, dass ich reiten lernen würde. Ich tat mein Bestes, um die Euphorie zu verbergen, die sich meiner bemächtigt hatte. Aber Adena merkte natürlich, wie es um mich bestellt war.
»Du hast bloß Pferde im Kopf«, sagte sie und verdrehte die Augen.
»Und du Jungs«, gab ich zurück.
»Weil ich kein Kind mehr bin«, bemerkte sie schnippisch.
Ich wollte auch kein Kind mehr sein, aber ich sah immer noch aus wie eins. Da war nichts zu machen.
Der Sommer zog ins Land. Er roch nach Salbei, der an manchen Stellen so dicht wuchs, dass die Prärie wie ein silbern schimmerndes Meer aussah. Die Ferien begannen Anfang Juni und ich fieberte meiner ersten Reitstunde entgegen. Alles war abgesprochen. Dad würde mich zu Tom bringen, hatte verschiedene Dinge in Manderson zu erledigen und wollte mich dann wieder abholen.
Er setzte mich gleich an der Straße ab, an der Einfahrt zu den Häusern von Tante Charlene und Tom Thunderhawk. Als ich zur Scheune kam, wartete Tom schon auf mich. Er hatte Psitó, eine brave alte Stute für mich ausgesucht, eine von den braun gefleckten, die kein Fohlen hatte. Psitó bedeutet Perle und die Stute machte ihrem Namen alle Ehre. Dass sie mich kannte, mit meiner Stimme und meinem Geruch vertraut war, erwies sich als großer Vorteil.
»Sitz gerade und bleib locker«, sagte Tom, als ich auf Psitós Rücken im Sattel saß. Er stellte die Steigbügel nach der Länge meiner Beine ein, und als ich ihm zunickte, schnalzte er mit der Zunge und sagte: »Hoka hey,auf geht’s!«
Nun saß ich zwar nicht zum ersten Mal auf einem Pferderücken, aber das letzte Mal war lange her. Ich musste mich erst wieder an das Gefühl gewöhnen, von einem Tier getragen zu werden, das so viel größer war als ich.
Ich lehnte mich leicht nach vorn. Der riesige Pferdekörper schaukelte unter mir, als Psitó sich in Bewegung setzte. Ich war ein Fliegengewicht und die Stute ganz andere Lasten gewohnt. Das verunsicherte sie für einen Augenblick, aber dann merkte sie, dass sie sich nach meinem Willen zu richten hatte.
»Versuche mit ihren Bewegungen mitzugehen, aber zeige ihr deutlich, wer das Sagen hat.« Tom führte die Stute im Kreis, beobachtete mich und gab mir Hinweise. Die meisten Dinge musste er mir nur einmal sagen, denn meine Bewegungen glichen sich ganz von selbst denen der braunen Stute an. Es war ein herrliches Gefühl.
Ich lernte, die Stute loslaufen zu lassen, sie zum Stehen zu bringen und die Richtung ändern zu lassen. Zuletzt zeigte mir Tom, wie ich sie durch leichten Schenkeldruck im Trab laufen lassen konnte. Psitó war gut ausgebildet, und weil ich ihr nichts durchgehen ließ, gehorchte sie meinen Befehlen.
Irgendwann kam mein Dad mit dem Pick-up vor Charlenes Haus gefahren. Ich sah, wie er am Ford-Combi meiner Tante bastelte, und winkte ihm zu. Später kam er herüber, lehnte sich mit den Ellenbogen auf die Koppelstange und sah mir noch eine Weile zu. »Wie macht sie sich denn?«, fragte er Tom.
»Sieht so aus, als wäre deine Tochter ein Naturtalent«, sagte Thunderhawk. »Aus ihr wird ganz sicher mal einmal eine gute Reiterin.« Mir schwoll die Brust vor Stolz und ich schämte mich dafür, denn Stolz ist keine Tugend bei uns Lakota. »Übe dich in Demut«, hatte Großvater Emmet immer gesagt, »denn Demut besiegt den Stolz.«
Dad nickte und lächelte. »Ihre Mutter war eine Pferdenärrin. Deshalb ist sie damals auch ins Reservat gekommen. Sie dachte, wir Lakota würden zum Supermarkt reiten. Sie konnte es nicht fassen, dass die meisten hier mit kaputten alten Autos herumfahren.«
Thunderhawk lachte sein donnerndes Lakota-Lachen, und Psitó schnaubte.
Am nächsten Tag schmerzte mein ganzer Körper. Mein Hintern tat weh, die Innenseiten meiner Oberschenkel, mein Rücken und meine Schultern.
Dad lachte. »Beim Reiten werden Muskeln beansprucht, die sonst kaum etwas zu tun haben«, sagte er. »Aber wenn du dranbleibst, gibt sich das nach einer Weile.«
Ich wusste, dass mein Vater mit Pferden aufgewachsen war und gut reiten konnte. Seine Vorfahren hatten immer Pferde besessen, auch Großvater Emmet. Aber dann war meine Großmutter krank geworden und sie hatten ein Tier nach dem anderen verkaufen müssen, damit mein Großvater das Benzin bezahlen konnte, das er brauchte, um seine Frau im Krankenhaus besuchen zu können. Wenig später war sie gestorben und es hatte nie wieder Pferde in unserer Familie gegeben.
Ich biss die Zähne zusammen und dachte nicht im Traum daran, mich zu beklagen. Natürlich wollte ich dranbleiben! Alles hing doch nur davon ab, ob Dad Zeit hatte, mich zu Tom hinüberzufahren. Ich wünschte mir so sehr, bald wieder auf Psitós Rücken sitzen zu können, wie ich mir nichts mehr gewünscht