Talitha Running Horse. Antje Babendererde

Talitha Running Horse - Antje Babendererde


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ein, was ich hätte erwidern können, kein Argument, das dagegen sprach. Ich wusste, dass Neil ein hervorragender Reiter war und genauso gut mit Pferden umgehen konnte wie sein Vater. Ich hatte gesehen, wie er mit Taté sprach, dem gefleckten Hengst. Und konnte beschwören, dass das Pferd zugehört hatte.

      Wie hätte ich ihm sagen sollen, dass ich in seiner Gegenwart plötzlich weiche Knie bekam und nicht einmal laufen konnte, geschweige denn reiten. Mein Herz schlug so wild gegen meine Brust, dass ich fürchtete, er könne es hören oder gar sehen. Ich schämte mich und wünschte, auf der Stelle in ein Mauseloch verschwinden zu können. Aber das war wohl einer dieser Wünsche, die leider nie in Erfüllung gingen.

      »Ich bin gleich wieder da«, sagte Neil, der sich von meinem merkwürdigen Benehmen nicht beeindrucken ließ. Er drehte sich um und verschwand im Haus. Dabei sah ich, dass ihm seine Zöpfe bis zu den Hüften reichten.

      Ich holte tief Luft und versuchte Kopf, Herz und Beine wieder unter Kontrolle zu bringen. Was war nur los mit mir?

      Neil kam zurück, mit Mokassins an den Füßen. Er schloss ab und nickte mir aufmunternd zu. Ich trottete ihm hinterher, als er in die Scheune ging, um Zaumzeug und Zügel zu holen. Mein Blick war fest auf die beiden Zöpfe geheftet, von denen jeder so dick war wie der eine Zopf, der über meine Schultern hing.

      Auf dem Weg zu den Pferden versuchte ich mit ihm Schritt zu halten, wortlos, während mein Inneres in vollkommener Aufruhr war. Ich fürchtete nichts mehr, als mich vor Neil Thunderhawk zu blamieren. Bisher war ich mit Psitó gut zurechtgekommen, aber das musste nichts heißen.

      Als Neil die Pferde schließlich entdeckte, rief er sie mit lautem »He he« – und sie kamen sofort, als hätte er jedem von ihnen eine saftige Karotte versprochen.

      Das Zaumzeug hinter dem Rücken versteckt, begrüßte er Taté, den großen Hengst, der allen Stolz über Bord geworfen zu haben schien und vergnügt an einem von Neils Zöpfen herumknabberte.

      »Lass das, Taté«, sagte Neil und strich dem Pferd liebevoll über die schwarz gefleckten Nüstern. Dann redete er beruhigend auf Psitó ein, schob ihr vorsichtig die Trense ins Maul und zog das Zaumzeug über ihren Kopf. Taté stupste ihn eifersüchtig in den Rücken, als er die Zügel an den beiden großen Metallringen befestigte.

      »Du bist heute nicht dran.« Neil klopfte den Hals des Hengstes, der ein paar Schritte rückwärts machte. »Morgen wieder, okay?«

      Er stellte sich breitbeinig vor den Bauch der Stute, verschränkte seine Hände und sagte zu mir: »Na los, steig auf!«

      Ich war gerade dabei, meine Nase in Stormys Fell zu vergraben, und viel zu überrascht, um ernsthaft erschrocken zu sein. »Ohne Sattel?«, fragte ich verblüfft.

      »Du willst doch richtig reiten können, oder?«

      Obwohl mir klar war, dass Tom Thunderhawk seinem Sohn bestimmt nicht aufgetragen hatte, mich ohne Sattel reiten zu lassen, wollte ich nicht als Feigling dastehen. Ein unangenehmes Kribbeln in meinem Nacken machte sich bemerkbar, wie immer wenn ich Angst hatte. Aber ich war auch neugierig.

      »Nun mach schon«, sagte Neil ungeduldig. »Dir passiert nichts. Ich habe gesehen, dass du es kannst.«

      Die Muskeln an Neils Oberarmen spannten sich, als ich in seine Hände stieg und er mein Gewicht tragen musste. Ich fasste nach Psitós Widerrist, griff in die Mähne und schwang mich auf ihren Rücken. Neil trat einen Schritt zurück, rieb sich den Staub von den Händen und guckte, ob ich auch richtig saß.

      »Sitzt du bequem?«, fragte er.

      Ich nickte. Es war ein vollkommen neues, ungewohntes Gefühl, die Muskelbewegungen des Pferdes so direkt zu spüren, obwohl Psitó scheinbar völlig ruhig stand. Es war ein gutes Gefühl.

      Neil kam wieder heran und sagte: »Hinter dem Schulterblatt der Stute spürst du eine Vertiefung, in die deine Beine passen. Genau hier.« Er legte mein linkes Bein dorthin, und noch ehe ich darüber nachdenken konnte, wie es nun weitergehen sollte, hatte Neil in Psitós Mähne gegriffen, sich mit den Füßen vom Boden abgestoßen und saß mit einem Schwung hinter mir. Ich stieß einen überraschten Laut aus, denn das kam völlig unerwartet. Er fasste um mich herum nach den Zügeln und schnalzte mit der Zunge. Ich spürte, wie er die Schenkel zusammendrückte. Die Stute setzte sich in Bewegung.

      Ich war unglaublich erleichtert, dass Neil mein Gesicht nicht sehen konnte, denn ich wusste, dass sich dort all meine Empfindungen widerspiegelten: Der Schreck darüber, dass Neil Thunderhawks Körper so dicht an meinem war, dass ich seine Bewegungen genau so spürte wie die der Stute. Die Tatsache, dass ich ohne Sattel auf dem Pferde saß und mich nur an seiner schwarzen Mähne festhalten konnte. Die Gewissheit, dass Neils Arme mich sicher umfingen und dass er genau wusste, was er tat.

      Aber am erschreckendsten war, dass ich mich ungeheuer wohl und sicher fühlte und den drängenden Wunsch verspürte, meiner Freundin Adena davon zu erzählen.

      Sanfte Hügel, bewachsen von dunklen Pinienkiefern, erstreckten sich hinter dem kleinen Acker, den Tom angelegt hatte, um im nächsten Jahr Hafer anzubauen. Weiter hinten ragten steile weiße Kalkfelsen aus dem um diese Jahreszeit noch üppigen Grün der Berge. Neil ließ Psitó ein Stück den breiten Fahrweg entlanggehen und folgte später einem schmalen Pfad voller Hufspuren, der in die Hügel hineinführte.

      »Lehn dich gegen mich, und bleib ganz locker«, sagte er, als Psitó bergan schneller wurde und ich mich versteifte. Ich lehnte mich gegen ihn und spürte den Schlag seines Herzens in meinem Rücken. Nach einer Weile merkte ich, wie meine Hüfte sich lockerte und ich mich den Bewegungen der Stute überließ.

      Eine Weile ritten wir schweigend, scheuchten ein winziges Kaninchen auf und einen Vogel, der sein Nest am Boden hatte. Während ich krampfhaft überlegte, was ich sagen könnte, fragte Neil auf einmal im Plauderton: »Weißt du eigentlich, wo die Appaloosapferde herkommen?«

      »Die Nez Perce haben sie gezüchtet«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen, denn schließlich war ich nicht von gestern, auch wenn er das vielleicht dachte.

      »Stimmt«, sagte er. »Sie züchteten sie wegen ihrer auffallenden Fellzeichnung. Vor jeder Jagd, jedem Kriegszug bemalten die Männer der Nez Perce sich und ihre Pferde mit Symbolen, die Glück bringen sollten oder sie vor Unheil bewahren. Aber wenn es regnete oder sie einen Fluss durchqueren mussten, wusch das Wasser die Farbe wieder ab. So suchten sie sich Pferde aus, die besonders ausdauernd, schnell und klug waren und außerdem die schönste Fellzeichnung hatten, und kreuzten sie. Sie waren davon überzeugt, dass der Große Geist die Tiere bemalt zu ihnen geschickt hatte, und deshalb waren sie ihnen besonders heilig.«

      Ich dachte an Stormy und dass auch sie vom Großen Geist gezeichnet war. Wakan, heilig. Kein Regen und kein Flusswasser würden ihr je die Punkte von der Hinterhand spülen. Unter hundert Pferden würde ich sie wieder erkennen.

      Neil führte Psitó in ein kleines Tal hinunter, und ich musste mich weit zurücklehnen, um an ihm dranzubleiben und die Bewegungen der Stute auszugleichen. Jetzt spürte ich die Vertiefung hinter Psitós Schulterblatt, von der er vorhin gesprochen hatte, ganz deutlich.

      »Die Pferdeherde der Nez Perce wuchs schnell auf mehr als tausend Tiere an, und sie war der ganze Stolz des Stammes«, fuhr Neil fort. »Aber dann wurden auch die Nez Perce von den Weißen gezwungen, ihre angestammte Heimat zu verlassen und in ein Reservat umzusiedeln. Ihr Häuptling erbat sich Zeit bis zum Herbst, weil viele Fohlen in der Herde noch zu klein waren, um die schwierige Reise anzutreten. Aber die Nez Perce bekamen keinen Aufschub. Auf ihrem Weg ins Reservat waren sie gezwungen, einen eiskalten und reißenden Fluss zu überqueren, der vierhundert Meter breit war. Die meisten ihrer Pferde ertranken darin. Darunter beinahe alle trächtigen Stuten und viele Fohlen.«

      Ich hatte Neil stumm gelauscht, und nun war meine Kehle wie zugeschnürt. Vor meine Augen sah ich hunderte Pferde, die verzweifelt versuchten gegen eine reißende Strömung anzukämpfen. Hübsche Fohlen wie Stormy, die in den kalten Fluten keine Chance hatten. Und warum das alles?

      »Wenn sie alle ertrunken sind«, fragte ich nach einer Weile, »wie kommt es dann, dass es noch Appaloosas gibt?«

      »Die


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