Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga. Pete Hackett
Hölle verschlinge diese Aasgeier. Sie sind bereits in der Halle. Wir haben keine Chance, aus dem Hotel hinauszukommen.«
»Komm hierher, Ross!«, knurrte Scott Wilburn. »Wenn sich auf der Straße etwas bewegt, halte drauf. Hier oben können wir uns eine ganze Weile halten.«
»Wir sollten uns ergeben. Es ist aussichtslos.«
»Damit würden wir freiwillig den Kopf in die Schlinge stecken.«
»Was hast du vor?«
»Ich suche nach einem Ausweg für uns. Wie mögen diese Schufte darauf gekommen sein, dass ich Scott Wilburn bin?«
»Wahrscheinlich durch den Steckbrief, den du achtlos unter den Tisch im Saloon geworfen hast. Aber darüber jetzt nachzudenken ist überflüssig. Lass dir was einfallen. Wie du schon richtig bemerkt hast: Auf uns fällt der Schatten des Galgens.«
Scott Wilburns Gesicht verhärtete sich. Sein Kinn wurde eckig. Er zog sich schnell an, schnallte sich den Revolvergurt um und nahm sein Gewehr, dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür. Er lief vor zur Treppe und äugte nach unten. Zu sehen war nichts, doch er war davon überzeugt, dass hinter der Rezeption und den Polstersesseln, die da unten um einen kleinen Tisch gruppiert warten, Soldaten lauerten. Die Linien, die sich von seinen Nasenflügeln bis zu seinen Mundwinkeln zogen, vertieften sich.
Auf der Straße ertönte es: »Sie haben noch drei Minuten, Wilburn. Lassen Sie es nicht darauf ankommen.«
Ein grimmig-entschlossener Ausdruck setzte sich in Wilburns Zügen fest. »Mich kriegt ihr nicht«, hechelte er, schwang herum und lief zurück in den Korridor, öffnete eine Tür zu seiner Linken und betrat das Zimmer. Es war leer. Wilburn ging zum Fenster und schob es hoch. Unter ihm war der Hof. Der Bandit beugte sich hinaus und blickte nach oben. Einen Yard über dem Fenster war die Dachkante. Wilburn wusste, dass der Saloon eine falsche Fassade besaß und er auf dem Dach von der Straße aus nicht gesehen werden konnte.
Er stieg auf die Fensterbank, legte sein Gewehr auf das Dach und kletterte hinterher. Das Dach war leicht schräg und fiel zum Hof hin ab. Die falsche Fassade überragte es um etwa anderthalb Yards.
Die Häuser waren zum Teil aneinander gebaut oder der Abstand zwischen ihnen betrug nur einen oder zwei Yards. Wilburn lief über die Dächer, bis eine Gasse seinem Weg ein Ende setzte. Er hatte an die fünfzig Yards hinter sich gebracht, ohne dass seine Flucht bemerkt worden wäre.
Er sprang auf das Dach eines niedrigen Schuppens und von dort aus in einen Hinterhof. Beim Hotel begann es zu krachen. Wilburn verließ den Hof und rannte vor bis zur Main Street, äugte um die Ecke des Hauses herum, das ihm Deckung bot, und sah einige Blauuniformierte schießend und hakenschlagend über die Straße laufen. Die fünf Minuten waren um, und die Soldaten fackelten nicht länger.
Scott Wilburn verschwendete im Moment keinen Gedanken daran, dass er seinen Bruder und seine Kumpane schmählich im Stich gelassen hatte. In diesem Fall war jeder sich selbst der Nächste. Es galt, das eigene Fell in Sicherheit zu bringen. Gedanken über seine Kumpane konnte er sich machen, wenn er seine Haut in Sicherheit gebracht hatte.
Die Bürger befanden sich in ihren Häusern. Ihre Herzen schlugen höher. So hautnah waren sie noch nie mit brutaler Gewalt konfrontiert worden. Die Häuser waren nur aus Holz gebaut und wie leicht konnte eine verirrte Kugel eine Wand durchschlagen. Der Ort stand im Banne des Schreckens und der Angst.
Die Banditen setzten sich zur Wehr.
Scott Wilburn rannte hinter den Häusern entlang, dann überquerte er die Main Street und erreichte den Mietstall. Der Stallbursche war nicht zu sehen. Auf der Straße herrschte jetzt Ruhe. Der Kampf schien vorbei zu sein. Mit fliegenden Fingern sattelte Wilburn sein Pferd, zäumte es, rammte die Winchester in den Scabbard und saß auf. Dann verließ er den Mietstall, ritt aber nicht auf die Straße sondern an einem Corral entlang hinaus in die Wildnis und verschwand zwischen den Hügeln...
*
Dan Connor war tot.
Ken Cramer war verwundet.
Shane Baker, Ross Wallace, Glenn Farley und Lester Wilburn wurden festgenommen.
Auf Seiten der Soldaten hatte es zwei Tote und drei Verwundete gegeben.
Die Gefangenen wurden eingesperrt. Sehr schnell wurde die Identität der Deserteure geklärt. Ihr Vergehen fiel unter die Militärgerichtsbarkeit. Für die Verbrechen Lester Wilburns und Glenn Farleys aber war der U.S. Marshal zuständig. Colonel Randall schickte einen Boten nach Albuquerque, damit die Gefangenen abgeholt wurden.
*
Tyler Whitlock ritt durch felsiges Land. Parallel zur Poststraße bewegte er sich zwischen den Hügeln. Nur zwanzig Meilen weiter südlich begann Mexiko. Das Gesicht des Lieutenants war von Faustschlägen gezeichnet. Er fühlte sich wie gerädert. Die Nacht hatte er in einer Gruppe von Felsen verbracht. Er hatte schlecht geschlafen und die Müdigkeit steckte ihm noch in den Knochen.
Die Tiere gingen im Schritt. Es war um die Mitte des Vormittags. Die Sonne stand im Südosten und schickte ihre glühende Hitze über das Land. Mücken, vom Schweißgeruch angezogen, piesackten Pferd und Reiter. Das Land, das Whitlock umgab, war wie ausgestorben. Staubige Flächen wechselten sich ab mit Inseln braunverbrannten Grases, riesige Kakteen und dorniges Strauchwerk bildeten die Vegetation. Aus dem Boden ragten hier und dort von Wind, Sonne und Regen blank und rund geschliffene Felsen mit einer dicken Moosschicht auf der Wetterseite.
Bei einem kleinen Creek, der zum Rio Grande floss, hielt Whitlock an. Der Fluss führte kaum Wasser. Eingetrocknete, rissige Fladen zusammengebackenen Schlammes bildeten den Ufersaum. Aber nur die Oberfläche war fest. Tief sanken seine Füße und die Pferdehufe ein, als Whitlock die Tiere zu dem Rinnsal in der Flussmitte führte, um sie zu tränken.
Plötzlich lauschte der Mann. Der zerflatternde Klang von Schüssen war herangeweht. Er drehte das rechte Ohr nach Osten und hielt den Atem an. Da war wieder das ferne Dröhnen, das nur verschwommen zu vernehmen war. Whitlock war sich sicher, dass irgendwo zwischen den Hügeln östlich von ihm ein Kampf stattfand. Er schluckte trocken. Waren wieder Apachen über die Grenze gekommen, um zu morden, zu rauben und zu brandschatzen? Was würde er vorfinden, dort, wo jetzt die Schüsse krachten?
Er schwang sich in den Sattel, zog das Pferd herum und gab dem Tier die Sporen. Das Packpferd wurde mitgezerrt. Im stiebenden Galopp donnerte er in die Richtung, aus der der Kampflärm immer vehementer heransickerte. Hin und wieder hielt Whitlock an. Ja, der Lärm wurde mit jeder Pferdelänge, der er sich dem Ort der Auseinandersetzung näherte, deutlicher. Schließlich trieb Whitlock sein Pferd eine Hügelflanke hinauf. Auf der anderen Seite des Hügels wurde gekämpft. Es war ein donnerndes Stakkato, das sich aus Detonationen, schrillem Geschrei und Hufschlägen zusammensetzte. Es trieb heran wie eine Botschaft von Untergang und Verderben.
Unterhalb des Hügelkammes, ehe er von unten gesehen werden konnte, hielt Whitlock das Pferd an, sprang ab und zog den Karabiner aus dem Scabbard. Die Longe des Tieres, das den Proviant trug, schlang er um den Sattelknauf und verknotete sie. Er lief die letzten Yards geduckt nach oben, warf sich auf den Boden und kroch über den Kamm, bis er den Blick nach unten frei hatte.
In der Senke waren vier Schlutterwagen mit hellen Planen über den Transportflächen zu einem Karree zusammengefahren. Unter den Fuhrwerken, hinter den hohen Rädern und auf den Transportflächen hatten sich Soldaten verschanzt und feuerten wie wild auf die Horde Indianer, die auf ihren Mustangs in einem weiten Kreis um die Wagenburg herumjagten und im vollen Galopp feuerten. Staub und Pulverdampf wölkten.
Die Apachen hingen an den Flanken ihrer Pferde und feuerten unter den Hälsen der Tiere hervor. Tote Pferde lagen im Gras, ebenso reglose Körper von Kriegern, die ihren blindwütigen Hass mit dem Leben bezahlt hatten.
Soeben wankte zwischen zwei Fuhrwerken eine blauuniformierte