Taunusschuld. Osvin Nöller

Taunusschuld - Osvin Nöller


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ist mir aber klar.“

      „Du musst daran glauben !“, beschwor Katja sie eindringlich.

      „Wenn es so einfach wäre ! Das Attentat geschah am 17. Mai. Das sind jetzt sechs Monate.“

      Ihr Smartphone meldete eine eingehende Nachricht. Sie schaltete das Display an, registrierte eine unbekannte Rufnummer und las. Das Blut schien ihr in den Adern zu gefrieren.

WA-S15

      ***

      Im Verkaufsraum des Juweliergeschäfts wimmelte es von Mitarbeitern der Kriminaltechnik in weißen Overalls. ­Martin ­Schubert hatte die beim Überfall anwesenden Personen mit der Aufforderung entlassen, am darauffolgenden Tag in die Polizeidirektion in der Saalburgstraße zu kommen, um eine schriftliche Aussage zu machen. Die Mitarbeiterin, die den Schwächeanfall erlitten hatte, war mit einem Rettungswagen in die Hochtaunus-Kliniken gebracht worden. Einzig Maike Erler war geblieben.

      „Sagen Sie, gab es heute irgendetwas Besonderes ?“, erkundigte sich ­Martin, während er am Schreibtisch im Büro lehnte. Neben ihm stand ­Sandro. „Es ist wichtig. Lassen Sie sich Zeit und überlegen Sie.“ Er schätzte die Angestellte auf Ende dreißig.

      Sie wirkte ruhig und schien nachzudenken. „Nicht wirklich. Vielleicht war ein bisschen viel los.“

      „Verhielt sich Herr ­Jühlich anders als sonst ?“ Ihm ging ­Melanie Grambergs Schilderung des Tathergangs nicht aus dem Kopf.

      „Nein, er war wie immer. Außer, dass er ziemlich sauer war, weil ­Simone zur Arbeit erschienen ist. Sie hat eine Grippe und ist noch krankgeschrieben.“

      „Sie sprechen von Ihrer Kollegin ­Simone ­Dörling ? Wie muss ich mir sauer vorstellen ?“, bohrte ­Martin weiter.

      Erler nickte. „Na, er hat sie angeblafft und wollte sie heimschicken. Es gab ein regelrechtes Wortgefecht. Das kenne ich bei denen gar nicht.“

      „Wie meinen Sie das ?“

      „Nun ja, wie soll ich es ausdrücken ?“ Sie wurde rot. „­Simone hat hier eine besondere Stellung.“

      ­Martin verschränkte die Arme und stellte sich auf, wodurch er mit ihr auf Augenhöhe kam. „Nun lassen Sie sich nicht jedes Wort aus der Nase ziehen !“, forderte er streng. „Haben die beiden was miteinander ? Ist es das ?“

      Sie trat einen Schritt zurück. „Das … das weiß ich nicht. Zumindest hatten sie mal eine Affäre. Von mir haben Sie das aber nicht !“ Ihre Augen begannen zu glänzen. „­Simone hat halt Narrenfreiheit. Er widerspricht ihr so gut wie nie.“ Jetzt liefen die ersten Tränen die Wangen hinunter.

      Wie er das hasste ! Weinende Frauen. Er bemühte sich, freundlich zu klingen. „Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht einschüchtern. Es ist nur so, wir müssen uns ein möglichst umfassendes Bild machen. Wir sind bestimmt gleich fertig. Ist sicher alles ein bisschen viel für Sie. Gibt es eigentlich eine Ehefrau ?“

      Erler schnäuzte in ein Papiertaschentuch und nickte. „Ich habe versucht, sie zu anzurufen, konnte sie aber nicht erreichen.“

      „Kein Problem, das übernehmen wir.“

      Ein lauter Knall ließ ­Martin zusammenzucken und herumfahren.

      Felix ­Hummer bückte sich nach einem auf dem Boden liegenden Bilderrahmen. „Sorry, ist mir runtergefallen“, stammelte er, als er wieder hochkam.

      ­Martin ging hinüber und nahm ihm das Foto aus der Hand. „Hast Glück gehabt, dass der Rahmen noch ganz ist.“ Er pfiff durch die Zähne. „Na, das ist ja ein schnuckeliges Geschoss. Bisschen spezielle Farbgestaltung, sonst jedoch ein Traum.“ Das älter wirkende Bild zeigte einen knallgelben Sportwagen mit grünen Seitenstreifen. Neben dem Fahrzeug strahlte ein Mann in einem Overall in die Kamera.

      ­Sandro gesellte sich zu ihnen. „Was ist an dem so besonders ?“

      ­Martin rollte mit den Augen. „Die Frage kann nur von dir kommen. Das ist ein Lotus Europa S 1 ! Von dem gab es weltweit maximal 300 Exemplare“, dozierte er.

      Er ging zu Maike Erler und hielt ihr die Aufnahme entgegen. „Ist das Herr ­Jühlich ?“

      „Ja, in deutlich jüngeren Jahren.“

      „Wissen Sie, ob er das gute Stück noch besitzt ?“

      Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Kenne den Wagen nur von dem Foto.“

      Er stellte den Rahmen zurück in das Regal und wandte sich an die Kollegen. „Wir packen hier alles ein, auch die geschäftlichen Ordner.“ Er zeigte zum Schreibtisch. „Und den Computer.“

      Erler räusperte sich. „Dürfen Sie das überhaupt ? So ohne richterlichen Beschluss ?“

      ­Martin ging einen Schritt auf sie zu. „Das dürfen wir, denn irgendetwas kommt mir an dem Überfall unlogisch vor und damit ist Gefahr in Verzug ! Den Beschluss reichen wir nach.“

      15. November

      ­Melanie kam es beim Aufwachen vor, als habe sie in der Nacht ein Bulldozer überrollt. War schon eine verrückte Idee gewesen, sich am Abend in eine dicke Wolldecke zu wickeln und sich mit einem heißen Kakao in ihren geliebten Strandkorb im Hinterhof zu setzen. Das war aber nun mal der Ort, an dem sie am besten nachdenken konnte.

      Dann waren ihre Gedanken um die Mail gekreist, die sich eindeutig auf Anja bezog. Stammte die Nachricht von einem Stalker? Wer wollte sie in Angst versetzen? Die Medien hatten damals über den Fall und das Attentat berichtet, doch das war jetzt einige Monate her. Wen interessierte das noch?

      Gegen Mitternacht hatte sie der einsetzende Regen ins Haus vertrieben. Sie hatte sich im Bett hin und her gewälzt. Irgendwann hatten ihr die Grübeleien einen unruhigen Schlaf mit wirren Träumen beschert. Eine Szene war ihr präsent: Anja und sie standen eng umschlungen vor dem Wrack eines Autos, aus dessen Fenster sie die matten Augen ihres verstorbenen Lebenspartners Erik anglotzten. ­Melanies ehemaliger Kollege Fred, der beim Attentat auf Anja gestorben war, kletterte ins Fahrzeug und grinste hämisch. Plötzlich löste sich die Kiste in die Einzelteile auf, zerstob wie eine Wasserlache, in die ein starker Luftstrahl gehalten wurde. Aus dem Nichts war Pascal ­Wolter aufgetaucht und hatte mit riesigen Pranken nach ihr gegriffen.

      Sie schaute auf ihr Handy. Es wurde Zeit für eine ausgiebige Dusche.

      Wenig später stand sie nackt bis auf den Slip vor dem Spiegel des Schlafzimmerschranks. Ihr ohnehin blasser Teint wirkte heute fahl und bildete einen noch härteren Kontrast zum kurzgeschnittenen schwarzen Haar. Ansonsten war sie mit ihrer sportlichen Figur zufrieden. Das tägliche Fitnessprogramm zahlte sich aus.

      Sie seufzte und ging in die Küche, wo sie einen Kaffee aus der Maschine laufen ließ. Warum machte sie sich ausgerechnet nach dieser Nacht Gedanken über ihr Aussehen? Ihr muskulöser Körper gab ihr in Verbindung mit ihren eins siebenundsiebzig ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Sie war mit vielen Männern schon rein anatomisch auf Augenhöhe. Sie erinnerte sich an eine Bemerkung ihrer Schwester, sie solle darauf achten, nicht zu dominant und maskulin zu wirken. Wie egal ihr das war. Mit Eriks Tod waren jegliche Gedanken an eine Partnerschaft verschwunden.

      Mit dem Namen ihres ehemaligen Lebensgefährten bahnte sich der Albtraum erneut den Weg in ihr Hirn. Er, Anja und Fred, drei sehr wichtige Menschen in ihrem Leben, für deren Schicksal sie sich immer noch mitverantwortlich fühlte. Dazu der Mörder ­Wolter, den sie vielleicht doch besser hätte erschießen sollen, als sie die Chance dazu gehabt hatte.

      Sie trank den letzten Schluck Kaffee, stellte die leere Tasse in die Spülmaschine und schlurfte ins Bad. Unter dem dampfenden Strahl der Dusche rieb sie sich die Haut wie eine Besessene, bis die letzten Spuren des Traums weggespült wurden.

      ­Melanie betrat um 9:05 Uhr das Polizeipräsidium und wandte sich dem mit einer Glasscheibe geschützten Empfangsschalter zu.

      „Guten


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