Taunusschuld. Osvin Nöller
nicht gebrauchen. Vermutlich wird meine Zelle in den nächsten Tagen auseinandergenommen, sie sollte dann sauber sein. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich wieder an die Außenwelt angebunden werden möchte.“
Hengstler nickte. „Ich möchte noch einmal betonen, dass das Risiko, aufzufliegen, praktisch bei hundert Prozent liegt. Außerdem wird man schnell merken, dass alles gefälscht ist. Die Gramberg wird das Schauspiel schnell beenden!“
Wolter grinste. „Mag sein. Sie wird aber ein paar heftige Tage haben. Außerdem bleibt immer was hängen.“ Er schaute kurz zum Aufpasser, der ihnen gerade den Rücken zukehrte. „Es wird der Anfang vom Ende der Schlampe sein“, flüsterte er.
Der Besucher hob die Augenbrauen. „Wie meinen Sie das?“
Wolter lachte. „So, wie ich es sage, aber Sie müssen nicht alles wissen, sondern nur das umsetzen, was ich in Auftrag gebe!“
***
„Herr Jühlich, zum letzten Mal“, Dr. Kaufmanns Stimme klang genervt, „ich halte es in meiner Funktion als Chefarzt dieser Klinik für brandgefährlich, wenn Sie das Krankenhaus in Ihrem Zustand verlassen. Eine Infektion oder eine plötzlich auftretende innere Blutung können Sie in akute Lebensgefahr bringen!“
Der Juwelier verzog das Gesicht und griff nach den Armlehnen des Rollstuhls. Es war der dritte Versuch, ihn davon abzuhalten, sich selbst zu entlassen. Natürlich wusste er, welches Risiko er einging. Es musste jedoch sein, denn er hatte noch einiges zu erledigen, bevor ihn die Polizei befragen würde. Bisher hatten die Ärzte eine Vernehmung untersagt. Das würde sich jetzt ändern.
Es war praktisch alles schiefgegangen, deshalb ging es nunmehr um Schadensbegrenzung. Zunächst galt es, ungestört Kontakt nach Antwerpen aufzunehmen.
„Das habe ich ihm auch gesagt, Herr Doktor“, mischte sich Michaela ein. „Er ist und bleibt ein Sturkopf! Dirk, willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen?“
Es reichte ihm, er hob die Stimme. „Nein! Ich habe mich entschieden. Mein Geschäft wurde überfallen und ich muss mich darum kümmern.“ Er stieß seine Frau an. „Los jetzt, wir fahren.“
„Dann wünsche ich Ihnen baldige Genesung. Mehr kann ich nicht für Sie tun.“ Der Arzt blickte an ihm vorbei und gab Michaela mit einem kurzen Kopfnicken die Hand.
„Danke, Herr Doktor, es tut mir leid.“ Sie packte die Griffe des Rollstuhls und schob ihren Mann in Richtung Aufzug.
Dirk war es ganz recht, dass sie sauer war und nicht sprach. So konnte er ungestört nachdenken. Es war ein Fehler gewesen, den Jungen mit dem Überfall zu beauftragen. Wo hielt der sich überhaupt auf? Er musste ihn unbedingt finden, bevor das der Polizei gelang.
Die kalte Abendluft riss ihn aus den Grübeleien. Michaela schob ihn an den ersten Storchenparkplätzen vorbei. Eine interessante Idee, Parkplätze für werdende Eltern in der Nähe des Haupteingangs zu reservieren. Plötzlich stoppte Michaela.
„Mist, meine Jacke liegt noch auf der Station. Warte hier, ich bin gleich zurück.“ Sie drehte sich um und lief davon.
Was sollte das jetzt? „Kannst du mich nicht wenigstens vorher zum Auto bringen?“, rief er ihr nach, die Antwort bestand aus einer abweisenden Handbewegung. Sie eilte unverdrossen weiter.
Blöde Kuh, schoss es ihm durch den Kopf. Sobald er sich abgeseilt hatte, wäre das Kapitel endlich erledigt. Er hatte lange genug gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Sie käme nicht im Traum darauf, wie sehr er sie verarscht hatte.
Auf dem Kiesweg hinter ihm knirschte es in kürzeren Abständen. Das Geräusch kam schnell näher. Gerade, als er im Begriff war, sich umzudrehen, drückte sich kaltes Metall in sein Genick.
16. November
Martin Schubert heftete die Tatortfotos an eine breite Pinnwand. Er dachte nach.
Nicht das Geringste hatte darauf hingedeutet, Jühlich könne in Gefahr sein. Demnach hatte es keinen Grund gegeben, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Natürlich legten verschiedene Medien bei ihrer Berichterstattung den Finger in diese vermeintliche Wunde. Ihn ließ das kalt. In den vergangenen Jahren hatte er sich ein dickes Fell zugelegt.
Er betrachtete das Foto mit dem tot im Rollstuhl sitzenden Juwelier. Es wirkte wie eine Hinrichtung. Das passte zu einer Zeugenaussage, dass ein groß gewachsener Mann über den Hölderlinpfad auf sein Opfer zugeeilt war. Er habe ihm einen Gegenstand in den Nacken gehalten und sei auf demselben Weg verschwunden. Der Zeuge vermochte leider nur eine sehr unzureichende Täterbeschreibung abzugeben. Er erinnerte sich einzig an eine ins Gesicht gezogene Kapuze.
Sandro betrat mit zwei Tassen und einem unter die Achsel geklemmten Schnellhefter den Raum.
Er stellte einen Kaffee auf den Schreibtisch. „Guten Morgen. Dachte mir, du könntest etwas Koffein vertragen.“
„Danke dir.“ Martin zeigte auf den Ordner. „Gibt es etwas Neues?“
„Ja, der Bericht des Rechtsmediziners liegt bereits vor. Jühlich wurde durch einen Genickschuss getötet. Es handelt sich um ein Hohlspitzgeschoss vom Kaliber 9 mm. Die Kriminaltechnik hat die Kugel in der Nähe des Springbrunnens gefunden. Interessant ist, dass sein Körper mit unzähligen Hämatomen übersät war.“
Martin stutzte. „Wurde er geschlagen?“
Sandro nickte und reichte dem Kollegen ein Bild. „Sieht so aus. Der Rechtsmediziner geht davon aus, dass er regelrecht zusammengeschlagen wurde. Allerdings nur am Oberkörper, dort aber systematisch. Das Gesicht zeigt keine Spuren. Das Ganze geschah laut dem Bericht schon vor sieben bis zehn Tagen.“
Martin heftete das Foto an die Wand und ging zum Schreibtisch, wo er einen großen Schluck aus der Kaffeetasse nahm. „Interessant. Erst verprügelt, dann angeschossen und schließlich getötet. Schon heftig. Passt die gestrige Kugel zum Überfall?“
Sandro setzte sich auf seinen Stuhl. „Das klärt gerade die Ballistik.“
„Was ist mit Frau Jühlich? Konnte sie zwischenzeitlich vernommen werden?“
Sandro lehnte sich zurück. „Ja, der Arzt hat Sarah am späten Abend zu ihr gelassen. Die Frau scheint ziemlich fertig gewesen zu sein. Sie hat wohl ihren Mann in der Nähe der Storchenparkplätze kurz geparkt, weil sie ihre Jacke in der Klinik vergessen hatte. Es gibt keinen Zweifel daran, dass sie zur Tatzeit im Krankenhaus war.“
Martin überlegte. „Der Täter wusste genau, wann Jühlich entlassen wurde. Wir müssen klären, wer diese Info hatte.“
Sandro ließ die Mappe auf den Tisch fallen. „Sind wir dran. Felix kümmert sich darum. Außerdem sucht die Kriminaltechnik auf dem Parkplatz am Tierfriedhof nach Spuren, dort, wo der Hölderlinpfad in einen Landwirtschaftsweg mündet.“
Martin zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Leicht genervt hob er den Hörer ab.
„Hallo, eine Frau Dörling ist für euch da“, teilte der Kollege am Informationsschalter mit. „Ich habe sie in den Vernehmungsraum 1 gesetzt.“ Die Angestellte aus dem Juweliergeschäft hatte er total vergessen. „Prima, danke.“
Er legte auf und wandte sich wieder an Sandro. „Die Dörling ist da. Dann wollen wir ihr mal auf den Zahn fühlen. Vielleicht verrät sie uns ja, wer den Überfall begangen hat …“ Er hielt kurz inne. „… und vielleicht unser Todesschütze ist.“
Die Tür flog auf. Sarah Schwenke und Felix Hummer schossen ins Zimmer.
„Wir wissen, wer den Laden überfallen hat“, sprudelte sie los. „Die Gramberg hatte recht. Simone Dörling kennt den Täter!“
„Außerdem haben wir die Tatwaffe vom Tötungsdelikt“, meldete sich Felix.
Martin runzelte die Stirn. Er hasste Hektik. „Guten Morgen erst einmal und dann eins nach dem anderen! Sarah, du zuerst.“
Sie