Hedi war hier. Katharina Günther
von Grund auf zu ändern. Meine Freiheiten für ein Kind einzutauschen.
Aber Angst hatte ich trotzdem davor. Angst vor allem davor, mich auf den Wunsch einzulassen, weniger davor Mutter zu werden. Es war die Angst, gar nicht erst schwanger werden zu können und enttäuscht zu werden. Deswegen habe ich mich auch nie wirklich auf den Gedanken eingelassen. Immer versucht, es mir nie bewusst zu wünschen. Nie damit zu rechnen. Ich redete mir ein: „“Wird wahrscheinlich eh nicht klappen.“ Zu alt, zu verbraucht, zu verlebt, zu zu zu…… einfach zu unwahrscheinlich. Und da war es wieder, dieses Wort: Wahrscheinlich. Diese UNWAHRSCHEINLICHE WAHRSCHEINLICHKEIT, sie begleitet scheinbar mein Mamawerden, oder es eben nicht werden.
Insgeheim hatte ich mir also schon längst eine Zukunft ohne Kind ausgemalt. Nur ich, zusammen mit Arndt und der Welt und ihrer Freiheit da draußen: Leben, arbeiten, Karriere machen, reisen, genießen, egoistisch sein.
Das fühlte sich alles auch gar nicht falsch an. Und unerfüllt kam es mir auch nicht vor. Und trotzdem haben wir uns gesagt: „Naja komm. Lass es uns drauf ankommen lassen. Soll das Schicksal entscheiden.“ Gerechnet habe ich nie damit. Aber das Schicksal hat entschieden. Ich wurde schwanger. Am 19. Mai hielt ich den Beweis in den Händen: Es war der Tag meines positiven Schwangerschaftstests.
Mein Leben stand Kopf. All die Pläne ohne Kind standen Kopf. Unsere Beziehung stand Kopf. Weil wir tatsächlich nicht damit gerechnet hatten. Ich kann nicht sagen, dass Hedi zu Beginn das klassische Wunschkind war. Aber trotzdem: Ich war schwanger und seitdem haben wir uns gefreut. Auf ein Leben mit ihr. Sie ist zu unserem Wunschkind geworden. Und jetzt – 5 Monate später… steht wieder alles Kopf.
Jeder Moment der Schwangerschaft, jede Erinnerung ist jetzt wieder präsent. So nah, als wären sie erst gestern gewesen. Und doch habe ich Angst, diese Erinnerungen verlieren zu können. Auch die nicht so erfreulichen…. Wie Arndt‘ erste Reaktion damals nach dem Schwangerschaftstest: „Scheiße!“ hatte er gesagt. Seine Angst war begründet. Wollte er, der aus seiner ersten Ehe schon 4 Kinder hat, noch eins? Packen wir das? Auch finanziell?
Doch dann kam unsere erste gemeinsame Ultraschalluntersuchung unseres kleinen Krümels. So haben wir unsere Tochter immer genannt und tun es immer noch. Den kleinen Krümel das erste Mal zu sehen, das Herz zu hören- schon in der 8. Woche, es war überwältigend. Und da wussten wir: Ja wir wollen es. Wir wollen dieses Kind. Unbedingt. Alle Zweifel waren weggeblasen.
Stolz habe ich das winzige Krümelchen auf dem Bild betrachtet. Es war ja auch noch nicht mehr als ein Krümel, 1,4 cm klein, ein undefinierbarer Körper. Aber es war unser Kind. Und das Herz schlug - laut und schnell und eroberte unsere Herzen.
WAHRSCHEINLICH ODER UNWAHRSCHEINLICH?
Hätten wir mehr tun müssen, mehr tun können? Ich muss daran denken, als meine Ärztin uns über die Nackenfaltenmessung und eine Fruchtwasseruntersuchung informierte. Das war in der 11. Woche der Schwangerschaft. Wir haben den Flyer über die Untersuchungen mit nach Hause genommen. Uns über die Krankheiten, die da aufgelistet waren, informiert. Down Syndrom, Trisomie 21. Das kannten wir. Trisomie 18, das Edwards Syndrom, davon lasen wir zum ersten Mal. Auch über Trisomie 13. Es waren traurige und bis auf die Trisomie 21 fast hoffnungslose Krankheitsbilder. Aber unsere Entscheidung stand ziemlich schnell fest. Nein, wir machen das nicht. Keine Nackenfaltenmessung. Was soll sie bringen? Nur Angst und Sorge. Nur Wahrscheinlichkeiten, die uns ausgerechnet werden. Klarheit hätten wir erst mit einer Fruchtwasserentnahme. Aber die Gefahr dadurch verfrühte Wehen zu bekommen und damit eine Fehlgeburt zu riskieren, war uns zu hoch. Nein, wir waren uns sicher: Auch ein krankes, behindertes Kind werden wir lieben und annehmen. Und außerdem, die Wahrscheinlichkeit, dass uns eine dieser Trisomien trifft, war so verschwindend gering. Wieso sollten gerade WIR in diese Gruppe der unfassbar unwahrscheinlichen Wahrscheinlichkeiten fallen? 1:2000, 1:30.000. Als ob WIR und unser Kind diese eine Zahl sind, unter diesen Wahrscheinlichkeiten. Nein. Wir nicht. Unser Gefühl sagte uns: Das wird uns nicht passieren. Unser Kind wird gesund. Man glaubt einfach an das Gute. Zumindest war es bei uns so.
Und jetzt stehen wir da und sind diese eine Zahl unter vielen. Sind diese unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit. In der 22. Woche ist sie wahr geworden und jetzt wir fragen uns: Hätte es was geändert, hätten wir diese Nackenfaltenmessung doch gemacht? Wahrscheinlich – und schon wieder dieses Wort – nicht. Nein, keine Untersuchung hätte etwas geändert. Wir hätten auch bei einem negativen Ergebnis nicht abgetrieben, glauben wir. Wir hätten weiterhin das Beste gehofft. Es hätte nichts geändert… Nicht damals und auch heute tut es das nicht. Es ist sinnlos sich zu fragen, was wäre gewesen, wenn. Oder „Warum wir?“. Vielmehr quält mich die Frage: „Wie soll es weitergehen? Was sollen wir jetzt tun?“
Nur in meinem Bauch geht es unserer Tochter gut. Nur dort ist Hedi lebensfähig. Sie hat keine Ahnung von ihrem Schicksal. In meinem Bauch ist ihre Welt in Ordnung. Für sie ist alles so wie es ist richtig! Sie weiß nichts von dem, was sie draußen erwartet. In mir ist die Kleine sorglos, schmerzfrei, ja wahrscheinlich sogar glücklich. Sie strampelt und bewegt sich. Jeden Tag spüre ich sie. Seit der 18. Woche. Bei jeder Untersuchung haben die Ärzte gesagt: „Was für ein aktives Kind!“.
„Oh man“, haben wir gedacht. „Die kommt nach mir, immer in Action. Was werden das für schlaflose Nächte!?“ Und ich hätte jede einzelne davon geliebt. Mich auf den kleinen, schreienden Hosenscheißer gefreut, dessen Windeln ich jetzt nie wechseln werde.
Und trotzdem: Ich bin stolz auf unsere kleine Kämpferin. Mit ihrer Aktivität zeigt Hedi uns jeden Tag: „Hey, ich zeige der Natur und dieser scheiß Krankheit den Stinkefinger“. Denn eigentlich zeigen Kinder mit Trisomie 18 schon im Bauch kaum Kindsbewegungen, heißt es. Nicht unsere Tochter. Die kleine Kämpferin versucht es ernsthaft mit dieser Krankheit aufnehmen. Wenn sie überhaupt ahnt, dass sie krank ist. Ich bin stolz auf sie und gleichzeitig zerreißt es mir das Herz, dass sie ihren Kampf verlieren wird.
Ich heule hemmungslos.
DER MORGEN DANACH
Das erste Mal aufgewacht. Das erste Mal mit dieser Diagnose. Es war also kein Alptraum. Alles ist immer noch real. Das Gefühl heute Morgen ist kaum mit irgendetwas anderem zu vergleichen. Ja, auch beim Liebeskummer kommt der Schmerz nach einer traumlosen Nacht zurück. Aber das hier ist anders. Unsere Tochter kann nicht ersetzt werden, wie ein Ex. Ich habe nicht das Gefühl, dass es eine Zukunft gibt. Hoffnungslosigkeit ist alles, was ich fühle. Ich bin gefangen in einem Alptraum, der Realität geworden ist. Nur dieser unbesiegbare Schmerz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er jemals wieder gehen wird. Ich fühle mich mehr nach sterben, als nach leben. Ich will einfach nicht aufstehen, nicht weitermachen. Womit auch, warum auch?!
Und trotzdem quäle ich mich aus dem Bett. Am Vormittag versuchen wir mein Auto aus der Stadt zu holen, was noch immer in der Nähe der Praxis des Grauens steht. Doch selbst für so einfache Aufgaben, bin ich nicht in der Lage. Ich bin unfähig zu handeln, zu denken, geschweige denn ein Auto zu fahren. Als wir in der Stadt ankommen, kann ich es nicht ertragen unter Menschen zu sein. Die Stadt ist so voll. Alle wirken so normal. Nur bei mir ist nichts normal. Ich verstecke meinen Bauch. Schäme mich für ihn. Und auch Hedis Bewegungen bringen mich gerade an den Rand des Wahnsinns. „Hör auf!“, denke ich „hör bitte auf. Es bringt doch eh nichts. Du quälst nur dich und mich.“
Es fühlt sich an, wie Gefangensein im eigenen Körper. Mit einem Bauch, der jedem da draußen Leben signalisiert und doch Tod bedeutet. Ich ertrage die Blicke der anderen Menschen auf der Straße nicht. Bilde mir ein, dass jeder mich anstarrt. Ich will hier nur weg, mich nur verstecken. Ich habe einen Weinkrampf als ich im Auto sitze. Bin unfähig den Schlüssel zu betätigen. Arndt setzt mich also wieder in seinen Wagen. Er will mich wieder nach Hause bringen. Dann klingelt sein Handy. Es ist dieser Arzt, der Pränataldiagnostiker. Es geht um die Fruchtwasseruntersuchung. Der Schnelltest habe seinen Verdacht bestätigt, sagt er Arndt am Telefon.
Wieder fällt dieses böse Wort. Mein Unwort des Jahres: „Trisomie 18“. Wir mussten zwar damit rechnen, aber trotzdem bricht erneut meine Welt zusammen. Still fließen meine Tränen.
Wir müssten uns nun langsam entscheiden, sagt der Arzt. Einleiten oder Austragen. …
Wieso so schnell? Und wie sollen wir das jemals