„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. Huthmacher

„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“ - Richard A. Huthmacher


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Sonne nie unterging.

      Als Luther vor dem Reichstag den Widerruf seiner Lehren verweigerte (wohl mit den Worten: „Und solange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun“; „hier stehe ich und kann nicht anders“ dürfte eine Legendenbildung sein), als Luther sich also weigerte, vor dem Kaiser seine Häresie zu widerrufen, stellten sich die Reichsstände (d.h. diejenigen, die Sitz und Stimme im Reichstag hatten, will meinen: namentlich Fürsten, Grafen, Vertreter der Ritterorden, auch Vertreter der Freien und der Reichs-Städte) vor Luther und wagten die Konfrontation mit dem Kaiser.

      Im Reiche jedenfalls gärte es. Und der neue Papst Hadrian VI. (dem nicht einmal zwei Jahre Regentschaft vergönnt waren und der, in guter päpstlicher Tradition, wohl vergiftet wurde) kam nicht umhin, eine Reform der Kirche zu propagieren und zu initiieren. Hadrians Tod 1523 hatte das schnelle Ende kirchlicher Reformpolitik zur Folge; weder der neue Papst (Clemens VII.) noch der Kaiser hatten Interesse an weiteren Reformen. Im Übrigen wurde auch Papst Clemens vergiftet, es sei denn, er selbst hätte die Pilze gesammelt, mit denen er vom Dies- ins Jenseits befördert wurde.

      Zwei Päpste nacheinander vergiftet; ob hier wohl – nach heutiger Nomenklatur geo-strategisch wie politisch-ideologisch – divergierende Interessen im Spiel waren? In dem Spiel, in dem Luther anfangs nur eine Statisten-Rolle zugedacht war, die sich indes verselbständigte und im Reformator einen ebenso willigen wie brillanten Funktionsträger fand?

      Jedenfalls spaltete das Wormser Edikt das Reich in drei Lager: die Verteidiger des Papsttums und der alten Ordnung, die Befürworter einer lutherisch-evangelischen Reformation resp. Revolution sowie ein drittes Lager, das „in seiner Hoffnung auf Erhaltung der Einheit in einer von Mißbräuchen gereinigten Kirche sich gegenüber Luther und seinen Anhängern eklektisch verhielt und weithin im Zeichen eines erasmischen Humanismus stand“.

      Gleichwohl konnten selbst die Befürworter der alten kirchlich-klerikalen Ordnung nicht umhin, mehr oder weniger laut nach Reformen zu rufen – zu groß war der Druck der Basis, zu stark und mächtig die soziale Bewegung des „gemeinen Mannes“, welche das gesamte tradierte Gesellschaftssystem hinwegzufegen drohte: Nur durch (wohlkontrollierte) Nachgiebigkeit von Seiten der Herrschenden konnte etwas Druck aus dem gesellschaftspolitischen Kessel entweichen, ließ sich vermeiden, dass die Lunte an das Pulverfass sozialer Unterdrückung, will meinen kirchlicher wie weltlicher Willkür-Herrschaft gelegt wurde.

      Auch in diesem Zusammenhang war Luther für seine Oberen von unschätzbarem Nutzen: „Luther kommt am 6. März 1522 nach Wittenberg und bringt mit seinen ´Fastenpredigten´ die reformatorische Bewegung, die er ins Radikale abgleiten sah, wieder zurück auf seine gemäßigte Linie.“ Als alle Beschwichtigung nichts mehr half, als sich Bauern, Handwerker, auch kleine Adlige und dergleichen einfache Leute mehr in einem Akt der Verzweiflung, den man heute den Deutschen Bauernkrieg nennt, erhoben, erst als die Fronten solcherart geklärt waren, hörte Luther auf, Kreide zu fressen, und bellte, heulte, geiferte (wie zuvor beschrieben): „Drum soll hier zerschmeissen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann.“ „Der Esel will Schläge haben, und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein.“

      Anfangs standen die „Granden“ des Renaissance-Humanismus´ der Reformation und Luthers Ideen nahe; bald jedoch kehrten sie ihr, der Reformation, dem, was aus dieser wurde resp. bereits geworden war, wieder den Rücken; genannt seien in diesem Zusammenhang Willibald Pirckheimer (Nürnberg), Mutianus Rufus (Gotha) und insbesondere Erasmus von Rotterdam.

      EXKURS: ERASMUS VON ROTTERDAM UND MARTIN LUTHER – DER KAMPF ZWEIER GIGANTEN, REFLEKTIERT VON STEFAN ZWEIG

      Liebster!

      Ich bemühe (zunächst) Stefan Zweig, um die Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther vor Augen zu führen:

      „Er [Erasmus] hatte als der erste deutsche Reformator ... nach den Gesetzen der Vernunft die katholische Kirche zu erneuern gesucht; aber ihm, dem weitsichtigen Geistmenschen, dem Evolutionär, sendet das Schicksal den Tatmenschen …, Luther, den Revolutionär, den dämonisch Getriebenen dumpfer deutscher Volksgewalten. Mit einem Schlage zertrümmert Doctor Martins eiserne Bauernfaust, was die feine, bloß mit der Feder bewehrte Hand des Erasmus zaghaft zärtlich zu binden sich bemühte …“ So Stefan Zweig. Und weiterhin derselbe:

      „Einen schweren Fluch spricht Luther, der Protestant, über seinen [Erasmus´] Namen aus, die katholische Kirche wiederum setzt alle seine Bücher auf den Index … Nie wird Erasmus in der heftigen und jeden Widerspruch wegfegenden Art Luthers, Zwinglis oder Calvins statuieren, was in der katholischen Kirche richtig sei, oder was unrichtig, welche Sakramente verstattet seien und welche ungehörig, ob das Abendmahl substantiell oder unsubstantiell zu verstehen sei; er beschränkt sich nur darauf, zu betonen, daß nicht schon die Einhaltung der äußeren Formen an sich das wahre Wesen christlicher Frömmigkeit sei … [A]ls Textkritiker, Philolog und Exeget [übersetzte er, Eramus] die Evangelien aus dem Griechischen ins Lateinische …, eine wegbereitende Tat für Luthers deutsche Bibelübersetzung und von fast gleicher Bedeutsamkeit für die Zeit … [A]us Instinkt sind von der ersten bis zur letzten Stunde diese beiden Männer einander ausgewichen, die in unzähligen Schriften und auf zahllosen Kupferstichen Bild an Bild und Name an Name als die Befreier vom römischen Joch, als die ersten redlichen deutschen Evangelisten gemeinsam gefeiert wurden … Blickt man von d...em stämmigen, grobfleischigen … Erdenkloß Luther … zum Geistmenschen Erasmus, zu dem pergamentfarbenen, feinhäutigen, dünnen, gebrechlichen … Menschen, blickt man die beiden nur körperlich an, so weiß das Auge schon vor dem Verstand: zwischen solchen Antagonisten wird dauernde Freundschaft oder Verständnis niemals möglich sein …

      Auf dem Kampfplatz wird der hochgebildete Doctor theologiae [Luther] sofort zum Landsknecht: ´Wenn ich komm, schlage ich mit Keulen drein´, ein rasender Grobianismus, eine berserkerische Besessenheit erfaßt ihn, er greift rücksichtslos zu jeder Waffe, die ihm zur Hand kommt, zum feinfunkelnden dialektischen Schwert ebenso wie zur Mistgabel voll Schimpf und Dreck; rücksichtslos schaltet er jede Hemmung aus und schreckt auch notfalls vor Unwahrheit und Verleumdung zur Austilgung des Gegners nicht zurück. ´Um des Besseren und der Kirche willen muß man auch eine gute, starke Lüge nicht scheuen.´ Das Ritterliche ist diesem Bauernkämpfer völlig fremd. Auch gegen den schon besiegten Gegner übt er weder Noblesse noch Mitleid, selbst auf den wehrlos am Boden Liegenden drischt er in blindwütigem Zorn weiter … Er jubelt, als Thomas Münzer und Zehntausende Bauern schandbar hingeschlachtet werden, und rühmt sich …, ´daß ihr Blut auf seinem Halse ist´, er frohlockt, daß der ´säuische´ Zwingli und Karlstadt und alle anderen, die je ihm widerstrebten, elend zugrunde gehen – niemals hat dieser haßgewaltige und heiße Mensch einem Feinde auch nach dem Tode gerechte Nachrede gegönnt … ´Ein Mensch, sonderlich ein Christ, muß ein Kriegsmann sein´, sagt er stolz …

      Nicht nur antworten will er [Luther] … dem Erasmus, sondern ihn völlig zerschmettern. Bei Tisch, vor seinen versammelten Freunden, kündigt er seine Absicht mit den fürchterlichen Worten an: ´Darum gebiete ich Euch auf Gottes Befehl, Ihr wolltet dem Erasmus Feind sein und Euch vor seinen Büchern hüten. Ich will gegen ihn schreiben, sollt ihr gleich darüber sterben und verderben; den Satan will ich mit der Feder töten´, und beinahe stolz fügt er bei, ´wie ich Münzern getötet habe, dessen Blut liegt auf meinem Hals´.“

      Dass Luther oft wütete wie die Sau im Walde war allenfalls Ausdruck seiner Zügellosigkeit, indes kein Indiz für Genialität, wie diese ihm, darob und allzu gerne, unterstellt wird. Wüten – so lange, ohne Maß und mit solcher Wirkmacht wie Luther – darf ohnehin nur, wem die Herrschenden derart zu berserkern erlauben. Ohne Schutz und Wohlwollen derselben wird ein zügellos Wütender, ad unum omnes, zum tollen Hund, den man alsbald erschlägt.

      Insofern gilt zu fragen: Waren die Bauern, die Aufständischen, die in ihrer existentiellen Not zu Dreschflegel und Mistgabel griffen, toll? Oder war Luther irr? Nicht nur, wenn er den Aufbegehrenden Tollheit unterstellte. Mit geiferndem Maul. Blind rasend. Und bäuchlings kriechend. Vor seinen Oberen. Die ihm, dem Mönchlein, immerhin ein recht gutes Leben ermöglichten sowie, mehr und wichtiger für ihn, den Ruhm


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