„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. Huthmacher
„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“
SAGEN: WIR SIND UNSCHULDIG AN EUREM BLUT“, beschäftigt sich mit Martin Luther, namentlich mit Luther als dem Ideologen konkreter Herrschaftsinteressen: derjenigen der Fürsten des Reichs. In ihrer Auseinandersetzung mit Kaiser und Papst, aber auch mit den aufstrebenden Städten und deren Bürgern, mit dem darnieder gehenden Rittertum, mit aufbegehrenden Bauern, Handwerkern und anderen Gruppen mehr, die Marx später in ihrer Gesamtheit als Proletariat bezeichnete und die der Neoliberalismus heutzutage Prekariat nennen würde.
In diesem Kontext walzte Luther – unter Berufung auf die „Heilige Schrift“ – rigoros nieder, was ihm im Wege stand:
„In der Tat glaube ich, dem Herrn den Gehorsam zu schulden, gegen die Philosophie zu wüten und zur Heiligen Schrift zu bekehren.“ In diesem Sinne schuf Luther das Fundament einer neuen Glaubensrichtung. Und lehrte die Menschen vornehmlich eins: die Angst.
Die Vernunft indes galt nicht viel bei Luther – die eigentliche Wahrheit bleibe ihr verschlossen; Vernunft könne nicht zur Erkenntnis Gottes gelangen, als Erkenntnisprinzip (principium cognoscendi) sei sie ebenso blind (caeca) wie verblendet (excaecata).
Ebenso wie die Vernunft verteufelt Luther die Philosophie; Philosophen könnten nie zur Wahrheit gelangen. Und die „Klassiker“ der antiken Philosophie – namentlich Aristoteles – finden in Luther einen hasserfüllten Gegner: „Die Philosophie des Aristoteles kriecht im Bodensatz der körperlichen und sinnlichen Dinge …“ Auch die Scholastiker zogen den Zorn Luthers auf sich: Thomas von Aquin hatte, die Willensfreiheit betreffend (und den nachträglichen Unmut Luthers auf sich lenkend), erklärt: „Totius libertatis radix est in ratione constituta“: Grundlage aller Freiheit ist die Vernunft.
Luther wütete, die Scholastiker sähen nicht die Sünde und übersähen, dass die Vernunft „plena ignorationis Dei et aversionis a voluntate Dei“, also voller Unkenntnis Gottes und voll der Abneigung gegen den Willen Gottes sei. Das scholastische Axiom, man könne ohne Aristoteles nicht Theologe werden, konterte er mit den Worten: „Error est, dicere: sine Aristotele non fit theologus; immo theologus non fit, nisi id fiat sine Aristotele“: Es ist ein Irrtum, zu behaupten, ohne Aristoteles werde keiner Theologe; in der Tat, Theologe wird man nicht, wenn es denn nicht ohne Aristoteles geschieht.
Die Vernunft, so Luther, könne den Widerspruch zwischen menschlicher und göttlicher Absicht weder verstehen noch ertragen, pervertiere ggf. den göttliche Willen zu eigenem Nutzen und Frommen; wer menschlicher Vernunft folge, stürze in leere und sündige Gedanken, halte die Vernunft gar für die Wahrheit.
Letztlich lehrte Luther nichts anderes als einen kruden Irrationalismus: Offensichtlich hasste und entwertete er die menschliche Vernunft, stand damit im Widerspruch zum Gedankengut von Renaissance und Humanismus, war mehr dem „finsteren“ Mittelalter als der Wertschätzung des Menschen in der (beginnenden) Neuzeit verhaftet.
Derart spielte Luthers Unfreiheit eines Christenmenschen den Fürsten seiner Zeit, spielte auch seinem Schutzherrn Friedrich „dem Weisen“, spielte all denen, die das Volk, die Bauern (nicht nur in den blutigen Kriegen gegen dieselben) unterdrückten, in die Karten; folgerichtig stellten die Herrschenden ihn, Luther, unter ihren Schutz, weil sie erkannten, dass er „ihr“ Mann und nicht der des Volkes war.
Realiter bestand die Freiheit eines Christenmenschen gemäß lutherischer Ordnungsvorstellung im absoluten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, wie irrational oder verwerflich diese auch handelte. Mithin: Luther war ein demagogisch agitierender Anti-Philosoph. Par excellence. Er war „ein Unglück von einem Mönch“, wie Nietzsche ihn nannte.
Sicherlich sind Luthers Haltung zu den Juden und sein Urteil über dieselben im Kontext seiner Zeit und der des (zu Ende gehenden) Mittelalters zu sehen; gleichwohl tat der „Reformator“ sich auch hier durch besonderen Eifer hervor sowie durch seinen Hass auf jeden, der sich seinen Vorstellungen widersetzte. Nach und nach steigerte sich sein Hass gegen die Juden ins schier Unermessliche – Luther war nicht nur Antijudaist, sondern schlichtweg und schlechterdings auch Antisemit. Einer der übelsten Sorte. Nicht von ungefähr beriefen sich die National-sozialisten auf ihn.
„Luther rechtfertigt in seiner Schrift ´Ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein können´ (1526) auch die Beteiligung an Kriegen: wenn die Obrigkeit Krieg befiehlt, müsse gehorcht, gekämpft, gebrannt und getötet werden … Geschätzt 100.000 Bauern wurden nach seinem Aufruf auf teilweise bestialische Weise hingerichtet. Dazu bekannte er sich in einer abstoßenden Mischung aus Stolz, Heuchelei und Blasphemie in einer seiner Tischreden: ´Ich habe im Aufruhr alle Bauern erschlagen; all ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden.´“
Welch schändliches Spiel er trieb, war Luther durchaus bewusst: „Ich möchte mich fast rühmen, dass seit der Zeit der Apostel das weltliche Schwert und die Obrigkeit noch nie so deutlich beschrieben und gerühmt worden ist wie durch mich. Sogar meine Feinde müssen das zuge-ben. Und dafür habe ich doch als Lohn den ehrlichen Dank verdient, dass meine Lehre aufrührerisch und als gegen die Obrigkeit gerichtet gescholten und verdächtigt wird. Dafür sei Gott gelobt!“
Was Luther über die einfachen Leute, also über die Masse des Volkes, nicht nur über die (aufständischen) Bauern dachte, kommt ebenfalls in seiner Schrift: Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können zum Ausdruck: „Man darf dem Pöbel nicht zu viel pfeifen, er wird sonst gern toll. Es ist billiger, ihm zehn Ellen abzubrechen, als ihm in einem solchen Falle eine Handbreit, ja, die Breite eines Fingers einzuräumen. Und es ist besser, wenn ihm die Tyrannen hundertmal unrecht tun, als dass sie dem Tyrannen einmal unrecht tun.“
Mithin drängt sich der Verdacht auf, dass weltliche Macht – und deren Neuordnung zugunsten der Fürsten – durch Luthers religiös verbrämte Herrschafts-Ideologie gegenüber der kirchlichen Autorität neu etabliert und dass dadurch erstere, die weltliche Macht, von letzterer, der kirchlichen Autorität, befreit werden sollte. Zweifelsohne wurde derart die Stellung (des Reiches und) der Fürsten gegenüber dem Kaiser gestärkt; Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, wusste sehr wohl, was er an „seinem“ Luther hatte.
Resümierend könnte man durchaus behaupten, Luther sei die Geister, die er rief, nicht mehr losgeworden: Das Aufbegehren gegen die (etablierte römisch-katholische) Amtskirche und die theologische Unterfütterung der Umwälzungsprozesse, die man eher als Revolution denn als Reformation bezeichnen müsste, will meinen: die Zerschlagung alter und die Implementierung neuer kirchlicher wie weltlicher Strukturen und Autoritäten, diese grundlegend radikale Umgestaltung der gesamten abendländischen Gesellschaft an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit war von so gewaltiger Dimension, dass es geradezu grotesk erscheint, Luther – und Luther allein – als spiritus rector des Geschehens zu bezeich- nen: Er, Luther, war allenfalls das Sprachrohr, das Aushängeschild, vielleicht auch nur Popanz der Interessen, die andere, ungleich Mächtigere hinter der Fassade vertraten, die man heute Reformation nennt!
Jedenfalls gilt festzuhalten: An der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit traten an die Stelle der alten Machthaber nach und nach neue. Wie in den feudalen Strukturen und Systemen zuvor ging es auch nun nicht um einzelne Personen, diese fungieren nur als Funktionsträger; es war vielmehr ein Wettbewerb der Systeme, der zu Luthers Zeit entfacht wurde, in dem das einfache Volk allenfalls die Statisten und Luther den Propagandisten der (noch) herrschenden alten (feudalen) Schicht gab: Mag seine anfängliche Empörung gegen Klerus und Papst, gegen all die Missstände der Kirche, gegen das in mehr als tausend Jahre verkrustete System noch weit(est)gehend authentisch gewesen sein, so verstand es Luther alsbald, sich (mit Hilfe seiner zwischenzeitlich gewonnenen Popularität und Autorität) zum Sprachrohr der (innerhalb der feudalen Strukturen) aufstrebenden Schicht der Landesherren (in deren Kampf gegen Kaiser und Papst) zu machen; das cuius regio eius religio des Augsburger Religionsfriedens von 1555 emanzipierte die Fürsten des Reiches, machte sie auch zu Kirchenoberen. Mit allen sich daraus ergebenden Pfründen.
Akteure des „Gesellschaftsspiels“, das man heute Reformation nennt, waren Adel und Klerus, waren Landes- und Feudalherren, waren Papst und Kaiser, waren die (freien) Städte und deren Bürger, waren Kirche und Großkapital (man denke an die Medici und an die Fugger, Welser und Rehlinger: „Marktwirtschaft, Kapitalismus,