„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. Huthmacher

„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“ - Richard A. Huthmacher


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und Fürsten“), Akteure dieses Spiels um Herrschaft und Macht, um Pfründe und Lehen, um Reichtum und Armut, um all die Versatzstücke des langsam aufblühenden Kapitalismus´ und seiner Globalisierung, d.h. der Wirtschaftsform, die im Neoliberalismus der Jetzt-Zeit ihren (vorläufigen?) Höhepunkt gefunden hat, Akteure dieses „Gesellschaftsspiels“, das im Laufe der Jahrhunderte Millionen und Abermillionen von Menschenleben gekostet hat und bei dem die Frontlinien immer wieder verschoben und neu festgelegt, bei dem Bündnisse geschlossen und gebrochen wurden, bei dem das Großkapital – zu Luthers Zeiten beispielsweise die Fugger, im ersten Weltkrieg exempli gratia die Krupps – beide Seiten des Konflikts bedienten, Akteure dieses weltweiten wie fort- und anscheinend immerwährenden „Spektakulums“ waren, seinerzeit, auch die Bauern. Und andere unterdrückte Schichen. Und Luther. Der – vordergründig – gegen diese Unterdrückung Stellung bezog. Der realiter jedoch die Interessen der Fürsten vertrat. Gegen das päpstliche Finanzgebaren. Gegen den Ablasshandel, welcher die Kassen der Kirche füllte und den Bau des Petersdoms finanzierte. Gegen die Bauern und andere Underdogs mehr, die sich, irrtümlicherweise, auf ihn beriefen.

      Es ist gleichwohl das Verdienst Luthers, dass durch seine theologische Grundsatzkritik das allgemeine Unbehagen an der Kirche und deren Missständen systematisch strukturiert, formuliert und propagiert wurde. Dennoch kamen Luthers (vordergründig) theologische Überlegungen und Ausführungen nur deshalb zum Tragen, weil sich gesellschaftliche, politische und auch wirtschaftliche Interessen sowohl der herrschenden Schicht als auch des „gemeinen Volkes“ mit der neuen evangelischen Lehre und deren Ablehnung des Papsttums und des weltlichen Herrschaftsanspruchs der Kirche deckten; deshalb nahmen breite Bevölkerungsschichten auch (wiewohl zu Unrecht) an, Luther vertrete ihre Interessen.

      Insofern gilt es, wohl zu überlegen, inwiefern und inwie-weit die Reformation von Anfang an als „Regimechange“ (Verschiebung der [Vor-]Herrschaft von Papst und Kaiser zu den deutschen Fürsten) geplant war, als ein Machtwechsel unter der ideologischen Verbrämung religiöser Veränderung und Erneuerung. Den Herrschenden, wage ich zu behaupten, dürfte es egal gewesen sein, ob sie als Protestanten oder Katholiken in ihren (Duodez-)Fürstentümern nach Belieben schalten und walten konnten.

      Jedenfalls stellten sich die Reichsfürsten – früher oder später – an die Spitze der reformatorischen Bewegung, wurden dadurch zu mächtigen Gegenspielern nicht nur des Papstes, sondern auch des Kaisers. Deren Macht – die des ersteren wie die des letzteren – schwand fortan rapide: nicht zuletzt als Folge von Reformation und Neuordnung der – seinerzeit aufs engste miteinander verbundenen – kirchlichen und weltlichen Machtverhältnisse und Herrschaftsstrukturen.

      Mithin: Durch die Reformation wollten die Reichsfürsten – jedenfalls die, welche nicht zudem (Erz-)Bischöfe und dadurch ohnehin schon religiöses Oberhaupt waren – auch die kirchliche Oberhoheit erringen sowie eine weitgehende Emanzipation mit Kaiser und König erreichen. Die Freien resp. Reichs-Städte verfolgten ihrerseits das Ziel, die Einflussmöglichkeiten des Kaisers/Königs zu verringern und die Begehrlichkeiten der zunehmend erstarkenden Landesfürsten abzuwehren. Und Kaiser und Kirche resp. der Papst wollten, das alles beim Alten und die Macht weiterhin bei ihnen blieb.

      „Jede soziale Schicht brachte ihre eigene Reformation hervor. Der hohe Adel schloss sich samt … Untertanen Martin Luther an, das Bürgertum in den Städten vorrangig Zwingli und Calvin, die humanistischen Bildungsbürger Philipp Melanchthon, Bergknappen und Bauern Thomas Müntzer, die einfachen Handwerker Balthasar Hubmaier und den Täufern, die Ritter, also der niedere Adel, Franz von Sickingen. Es entstand sogar, immer noch wenig bekannt, eine Reformation der Frauen … Martin Luther, der Vorkämpfer, ist einer der Großen, gewiss – und dennoch nicht ´der´ Reformator, sondern einer von zahlreichen Reformatoren, ebenso wie es viele Reformationen oder reformatorische Strömungen gab und nicht die eine Reformation. In Wellen breitete sie sich aus, zuerst die Rebellion unter Luther, die soziale Revolution von Müntzer bis Münster [Täuferreich von Münster], dann die städtische Reformation bei Zwingli und die Restaura-tion unter den Fürsten bei Melanchthon, schließlich die Reglementierung des bürgerlichen Lebens bei Calvin. Die weltweite Ausbreitung gelang dann durch die Mission und durch die Verfolgten, die die neue Lehre in andere Länder trugen.“

      Insofern war die Reformation nichts anderes als ein gigantischer Kampf der Systeme an der Schwelle zu einer neuen Zeit, als Auseinandersetzung um Macht und Herrschaft, verbrämt als religiöser Richtungsstreit. Und so wandelte sich die „Revolution“ nach Niederschlagung des Bauernaufstandes mit tatkräftiger Hilfe Luthers immer mehr zu einer „Fürsten-Reformation“, zu einer „Reformation von oben“, will meinen zum Aufbau einer protestantischen Kirche im Schulterschluss mit (und in Abhängigkeit von) Territorial-Fürsten und den Obrigkeiten der Städte. Der Bauernkrieg von 1525 war zwar die größte Massen-erhebung von Bauern, die je in deutschen Landen resp. in deutschsprachigen Ländern stattfand: „Damals scheiterte der Bauernkrieg, die radikalste Tatsache der deutschen Geschichte, [jedoch] an der Theologie“, so Karl Marx. Fürwahr. An der Theologie. Eher noch an theologisch verbrämter Ideologie. Namentlich der von Luther.

      In summa sind der Papst, „der Jud“ und „der Tuerck“ die drei großen Feindbilder Luthers. Indes: Es gibt ein weiteres, das von der Lutherographie jedoch nicht oder kaum benannt wird – der „gemeine Mann“, der gegen die Obrigkeit aufbegehrt und den es in seine Schranken zu weisen gilt: „Wie eine bösartige Geschwulst wucherte die Inquisiton über Jahrhunderte in der Gesellschaft des Abendlandes. Nicht allein die katholische Kirche war schließlich infiziert. Die Reformer, allen voran Martin Luther und Calvin, gebärdeten sich vermeintlichen Ketzern und Hexen gegenüber zum Teil schlimmer als die päpstlichen Inquisitoren. Nicht immer gingen Feuer und Folter von Rom aus … Die Reformatoren, allen voran Martin Luther, waren in diesem Punkt keinen Deut besser als die papsttreuen Katholiken.“

      Zu hexen sei nicht nur ein strafbares Vergehen, vielmehr die Abkehr von Gott, sei deshalb durch die (weltliche) Obrigkeit, sprich: durch staatliche Gewalt zu bestrafen. Mit dem Schwert. Ohne Gnade. Rücksichtslos. Indes: Die Konfessionalisierung im 16. Jhd., d.h. die Aufspaltung in katholische, lutherische und reformierte Kirchentümer, in korrespondierende Einflussbereiche und dementsprechende staatliche Herrschaftsgebilde, diese Konfessionalisierung mitsamt ihren Auswüchsen (wie der Verfolgung von sog. Hexen, d.h. namentlich von Hebammen und „weisen Frauen“) war – realiter – ein großer sozial- und herrschaftspolitischer (Neu-)Entwurf, welcher der sozialen Disziplinierung derjenigen (Interessengruppen und Bevölkerungsteile) bedurfte, die aufbegehrten. Die Abtrünnige, Ketzer, Hexen, Buhlschaften des Teufels, Satansbrut und dergleichen mehr genannt und – als solche, (im wahrsten Sinne des Wortes) ohne Rücksicht auf Verluste (viele Menschen starben, weil sie auf die Hilfe heilkundiger Frauen fortan verzichten mussten!) – verfolgt wurden.

      Somit bleibt es meines Erachtens fraglich, ob Luthers Hexenwahn einer allgemeinen resp. seiner höchst eigenen Paranoia entsprang oder doch mehr und eher Ausdruck eben dieser sozialen Disziplinierung war (mit Luther sowohl als Täter, weil er den Wahn schürte, wie auch als Opfer seiner eigenen Inszenierung), einer Disziplinierung jedenfalls, die alle – namentlich Frauen und insbesondere solche wie Hebammen und Heilerinnen – verfolgte, die nicht gesellschaftlich kompatibel waren. So also fand (schon damals) eine Ideologisierung der Massen statt, und erwünschter Wahn wurde zum gewollten System, das eine große Eigendynamik entwickelte, sodass die Täter ihrem eigenen Tun anheim und dem selbst produzierten Irrsinn zum Opfer fielen.

      Die Theologie Luthers hatte die Funktion und Bedeutung, die heute die sog. Human-Wissenschaften (wie Medizin, Psycholgie und Soziologie) einnehmen: Sie, erstere, die Theologie, wie letztere, die Human- und Sozial-Wissenschaften, verbrämen und liefern die geistige Grundlage für realpolitische Herrschafts-Systeme. Und der Liebe Gott fungiert ggf. als Platzhalter und Lückenbüßer.

      Zu Luthers Zeit konkurrierten die sich entwickelnden Territorialstaaten (vom Rittergut bis zum Fürstenreich) mit der weltlichen und kirchlichen Zentralgewalt, sprich: mit Papst und Kaiser; sowohl die Herrschaftsgewalt als solche als auch die aus dieser resultierenden Pfründe standen zur Disposition. Aus diesen sozialen Kämpfen zu Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit entwickelte sich nach und nach das kapitalistische System, das wir heute kennen; zunächst gab es noch viele Elemente des Feudalismus´ und absoluter Willkürgewalt


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