Handlungsfelder des Bildungsmanagements. Ulrich Muller
auf welche die Erfahrungen aus dem Spiel übertragen werden sollen ähnlich wie beim Outdoor-Training.
Am wirksamsten scheinen mir das aus dem Psychodrama hervorgegangene Rollenspiel und die Fallstudien, die möglichst exakt auf die Situation und die Ausgangssituation der Teilnehmer zugeschnitten sind, am besten – eine Kombination von beiden: zuerst die Fallstudie, die dann in einer zweiten Phase übergeleitet wird in spontane Rollenspiele, die dazu dienen, in wechselnden Konstellationen und mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden bestimmte Verhaltensaspekte gezielt einzuüben.
5 Exemplarisches Konzept eines praxisbezogenen Verhaltenstrainings
5.1 Ziele, Inhalte und Vorgehen
a) Durchgängige Ziele und inhaltliche Schwerpunkte
In und durch diese Art von Trainingsarbeit werden gleichzeitig mehrere Anliegen verfolgt:
■ Sensitivität: Grundsätzlich geht es immer wieder darum, die Selbst- und Fremdwahrnehmung zu überprüfen bzw. zu verbessern durch eine Auseinandersetzung mit Fragen wie: Welche Auswirkungen hat mein eigenes Verhalten auf andere? Wie nehme ich andere wahr, inwieweit verstehe ich andere, was löst das in mir aus und wie (angemessen) reagiere ich darauf?
■ Feedback: Hier besteht die Lernchance darin, im aktuellen Kontext unmittelbar erfahren zu können, wie einen andere wahrnehmen, welche Wirkung das auf sie hat, dies mit der eigenen Einschätzung vergleichen und das eigene Verhalten dahingehend zu überprüfen, ob oder inwieweit es den eigenen Zielen und der jeweiligen Situation angemessen ist.
■ Verhaltenssteuerung: Die Gruppe konfrontiert den Einzelnen mit seinem Verhalten und den zugrundeliegenden Einstellungen, Werten, Normen, mit seiner Art und Weise, an Menschen und Situationen heran – und mit sich selbst umzugehen. Erfahrungen und Reaktionen anderer Gruppenmitglieder bringen Anregungen, neue Gesichtspunkte, Relativierungen und Alternativen in die eigene Sichtweise.
■ Angst salonfähig machen: Veränderungen werden nahezu immer als Zumutung erlebt und sind nicht selten auch so gemeint. Warum sollte jemand also Veränderungen an sich heranlassen, wenn er keine Notwendigkeit dafür sieht? Um Menschen soweit bringen zu können, dass sie bereit sind, sich mit Veränderungen grundsätzlicher Art auseinanderzusetzen, scheint mir ein gewisses Ausmaß an Angst unverzichtbar – im Sinne von „auf der Hut sein“, wie ein Tier in der Wildnis, das beim geringsten Gefahrensignal, mit höchster Aufmerksamkeit und Anspannung witternd, seine Umwelt einer genauen Musterung unterzieht. Edgar Schein sagt zu diesem Thema: „Die Überlebensangst muss größer sein als die Angst zu lernen“. Das bedeutet: Im Zusammenhang mit Veränderungsprozessen müssen Angst und Verunsicherung eine andere Rolle und Gewichtung erhalten: Keiner darf sich in Sicherheit wiegen, dass seinem Unternehmen keine Gefahr droht, die sein Überleben gefährdet. Wenn diese „Überlebensangst“ nicht vorhanden oder zu schwach ausgeprägt ist, muss man sie entsprechend anfachen. Wenn dagegen der Angstpegel, etwas nicht zu verstehen oder nicht zu können, zu hoch ist, muss man ihn durch Ermutigung und Coaching senken, weil diese Angst vor dem Lernen sonst blockiert. Entscheidend ist also in beiden Fällen die Dosierung. Gerade Dozenten oder Trainer mit sozialer oder psychologischer Herkunft tun sich häufig schwer, die positive Seite der Angst zu akzeptieren und aktiv mit ihr zu arbeiten.
■ Professionell mit Widerstand umgehen: Widerstand bei Veränderungsprozessen ist eine völlig normale Reaktion. Nicht das Auftreten, sondern das Ausbleiben von Widerstand muss Verdacht erwecken. Widerstand zu unterdrücken, zu verteufeln oder zu versuchen, ihn „wegzumanagen“, ist das Dümmste, was man tun kann. Widerstand ist in den meisten Fällen eben nicht das Nicht-Wollen, sondern hat seine Ursache in unzureichender Kommunikation. Widerstand ist ein Symptom dafür, dass Menschen etwas, was im Rahmen der geplanten Veränderung von Bedeutung ist, entweder nicht wissen oder nicht verstehen oder nicht glauben oder befürchten, das neu Erforderliche nicht zu können. Da hilft nur eines: nachschauen, reinhören, erkunden, wo das Defizit oder die Schwachstellen liegen. Das aber wird nur gehen, wenn genügend Vertrauen und Glaubwürdigkeit vorhanden sind oder aufgebaut werden können.
■ Kommunikativ austauschen statt infiltrieren: Um uns zu verständigen, müssen wir uns miteinander austauschen, statt von beiden Seiten versuchen, uns einseitig zu informieren oder zu infiltrieren. Echte Kommunikation ist ein tiefes gegenseitiges Erkunden und dann ebenso eine intensive gegenseitige Spezialmassage, bis die Dinge und die Beziehungen klar und die Verspannungen gelöst sind. Oder aber bis die Bemühungen schließlich eingestellt werden, weil klar ist, was der wirkliche Grund dafür ist.
b) Grundprinzipien im Vorgehen
Vom theoretischen Hintergrund und der prinzipiellen Vielzahl von methodischen Möglichkeiten hergesehen, können Konzepte und Formen von Verhaltenstrainings völlig unterschiedlich orientiert sein – verhaltenstherapeutisch, gruppenanalytisch, psychoanalytisch, sozialpsychologisch, sozialpädagogisch, systemisch, esoterisch und einiges mehr. Unter Verzicht auf esoterische und therapeutische Elemente könnte ein an den Erkenntnissen der Sozialpsychologie orientiertes pragmatisches Konzept sich im Wesentlichen nachfolgenden Schritten und Aspekten ausgestalten:
Phase 1:
■ Auftauen, verlernen, sich irritieren zu lassen, bereit sein, eingefahrene Verhaltensweisen in Frage zu stellen (lassen) – dies sind wohl die grundlegende Voraussetzung und Basis, um Verhaltenslernen zu ermöglichen.
Phase 2:
■ Mit zunehmender Vertrautheit der Teilnehmer mit den angewandten Lernprozessen verzichtet der Trainer mehr und mehr darauf, im Training Strukturen vorzugeben oder gar vorzuschreiben. Die Gruppenmitglieder sind vielmehr aufgefordert, Inhalte selbst zu bestimmen, Struktur und Vorgehensweise selbst zu entwickeln und dabei ihre eigenen Erfahrungen zu machen, ihre bereits vorhandene Kompetenz zu entdecken und diese durch Anwendung auszubauen.
■ Die Arbeit geschieht nach dem Prinzip eines Doppeldeckers: Auf der einen Seite bringen die Teilnehmer in das Training ihre eigenen Themen und Problemstellungen mit ein, die sie im Rahmen des Generalthemas Sozialkompetenz beschäftigen, auf der anderen Seite bearbeiten die Trainer auch die aktuellen (gruppendynamischen) Prozesse, die im Hier-und-Jetzt der Trainingssituation ablaufen: Es geht darum, die inhaltliche Sachebene und die emotionale Ebene der Beziehungen untereinander simultan im Blick zu haben und miteinander in Beziehung zu setzen. Nur die Koppelung dieser beiden Aspekte – die Themen aus der Praxis der Teilnehmer und die Analyse der aktuell ablaufenden (gruppendynamischen) Prozesse – rechtfertigt den Anspruch, wirklich praxisbezogen zu arbeiten.
■ Mit und durch die Arbeit an den Themen und den Beziehungen in der Gruppe wird die Gruppe selbst zum Lerngegenstand. Sie erforscht sich selbst: die Art und Weise, wie sie sich entwickelt, durch wen und durch was diese Entwicklung beeinflusst wird – und wie die Prozesse zu steuern sind.
5.2 Der begrenzte Wert von Sozialtechniken
Eine nicht unbeträchtliche Menge an Mitarbeiterzeit und Geld wird in das Training von sogenannten Sozialtechniken gesteckt. Heerscharen von Multiplikatoren, Gruppensprechern oder Koordinatoren, Fach- und Prozessberatern, internen Change Agents, sogenannten Nachwuchsführungskräften – und zu einem nicht unerheblichen Ausmaß auch das mittlere Management werden geschult in der Kunst der Präsentation, der Moderation, der freien Rede, der Visualisierung, des Brainstormings, des Mind-Mappings, des Projektmanagements, der Personalführung sowie in der Kunst der Konfliktlösung und Mediation. Alle diese Trainings sind zumindest unschädlich – und das sollte das Erste sein, was man wie bei einem Medikament zu überprüfen hat. Die nachgewiesene Unschädlichkeit ist ja schon einmal etwas in einem Gesamtmarkt, der voll ist mit Angeboten, die sehr wohl einen nicht unerheblichen Schaden anrichten können. Inwieweit diese für den Mitarbeiter und für das Unternehmen aber auch nützlich sind, hängt von drei Faktoren ab:
Zum einen ob, wie schnell und wie intensiv das, was im Training gelernt wurde, direkt im Anschluss an das Training in der Arbeitspraxis erprobt werden kann. Jedermann weiß: Nur „Übung macht den Meister“ und „wer rastet, der rostet“. Nur die regelmäßige Ausübung der gelernten Kunst gewährleistet, dass sie nicht schneller vergessen wird, als sie gelernt wurde. Das trifft auf Fremdsprachen