Die Kunst Einwanderer zu sein. Andrzej Olkiewicz
es sei unmöglich sich anzupassen. Nach vielen Jahren in dem neuen Land sind sie der Ansicht, dass sie nirgendwo richtig zuhause sind.
Ein Flüchtling sagt dazu in einem Zeitungsinterview: Der Exilzustand ist das Vakuum, aus dem man nie mehr herauskommt, man ist zwischen zwei verschiedenen Welten.2
Ich stimme dem nicht zu. Ich glaube, dass es durchaus einen Weg aus jenem Vakuum gibt und das ist jener Weg, den ich in meinem Buch beschreiben will. Es handelt davon, wie es gelingen kann, die vergangene Wirklichkeit des Einwanderers mit der neuen zu vereinen. Im Zusammentreffen dieser beiden kann die alte Erfahrung neue Horizonte eröffnen, was es uns ermöglicht, zu beiden Ländern zu gehören, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise.
Das Buch basiert auf meinen eigenen Erfahrungen als Einwanderer sowie auf Erlebtem, das andere mir mitgeteilt haben. Meine Erfahrungen habe ich in verschiedenen Ländern gemacht und mit Menschen aus aller Welt. Ich habe auch Schriftsteller mit Einwanderererfahrungen zitiert und aus Zeitungsartikeln einige Zitate aus Interviews mit Menschen zusammengetragen, die über Ländergrenzen hinweg umgezogen sind.
Ich hoffe, dass dieses Buch für all jene zur Selbsterkenntnis beiträgt, die ins Ausland gezogen sind, vielleicht Ausländer geheiratet haben oder die Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen unterschiedlicher Nationalität haben. Ebenso für Kinder, die in einem anderen Land aufwachsen, als ihre Eltern. Sicher kann dieses Buch auch für Menschen interessant sein, die planen, sich im Ausland niederzulassen, die diesen Schritt aber noch nicht vollzogen haben.
Und schließlich bekommen hoffentlich jene Menschen einige Antworten auf ihre Fragen, was sie auf dem spannenden und mühsamen Weg von der Auswanderung zur Einwanderung und Integration alles erwarten kann.
„Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir‘s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen“. Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und floh nach Ägypten und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes …“
Matthäusevangelium 2, 13-14
WER SIND WIR?
Einwanderer – die gibt es überall, es gab sie immer und wird es immer geben. Wir haben unterschiedliche Hintergründe und sind auf unterschiedlichen Wegen in ein neues Land gekommen.
Manche kommen aus reichen Ländern, andere aus armen oder aus gut situierten Familien, andere aus notleidenden. Manche sind gut ausgebildet, andere sind Analphabeten. Was uns in Bewegung versetzt, kann Krieg sein, Hunger, Naturkatastrophen, eine schlechte Wirtschaftslage, politische oder religiöse Verfolgung, aber ebenso Familienkonflikte, Gewinnstreben, eine innere Unruhe oder Abenteuerlust.
Auf dem Weg in das neue Land riskieren vielleicht einige von uns, in Containern eingeschlossen zu leiden, auf einem verschneiten Bergpass zu erfrieren, mit verrotteten Booten zu sinken oder beschossen zu werden, wenn sie Flüsse durchschwimmen. Aber wir können auch in einem bequemen Zug – oder einem Flugzeugsessel reisen. Einige von uns passieren die Grenze mit einem ängstlich pochenden Herzen, während andere ruhig und gelassen ihren Pass vorzeigen.
Wir können begleitet werden von Verständnis oder Misstrauen. Möglicherweise werden wir benutzt als Spielfiguren in einem politischen Spiel. Manche betreten ein neues Land ohne einen Pfennig in der Tasche und ohne zu wissen, was sie erwartet – andere werden willkommen geheißen, bekommen eine Wohnung und guten Lohn. Viele wissen nicht, ob sie jemals ihre Heimat wiedersehen, während andere ihre Lieben bereits zum nächsten größeren Festtag wieder besuchen. Alle hoffen auf eine bessere Zukunft – und doch werden alle zunächst Fremdlinge.
Die meisten kommen mit leeren Händen. Wir sind geprägt von der Vergangenheit und haben sowohl Gutes als auch Schlechtes mitgenommen. Der Edelmutige hat seinen Edelmut behalten, der Gemeine seine Gemeinheit. Das Gleiche gilt für Ehrlichkeit und Falschheit, Toleranz und Vorurteil. Aufbruch, Reise und Ankunft haben unser Lebensgepäck etwas schwerer gemacht. Manche hoffen, dass sie ihre Vergangenheit hinter sich lassen können.
Das Einzige, was uns vereint ist, dass wir fremd sind – im Übrigen sind wir aber völlig unterschiedlich.
Nun, wer sind wir? Was bewegt uns? Und wie wird es uns ergehen in dem neuen Land? Welche Kräfte werden wir entfalten? Werden wir Erfolg oder Misserfolg haben, werden wir uns in bessere oder schlechtere Menschen verwandeln? Das alles lässt sich nicht voraussagen. Und wie wird das mit unserem persönlichen Herodes werden, wird er irgendwann einmal sterben? Und wenn das geschehen sollte, werden wir dann zurückkehren? Sicher ist, dass wir uns dann längst verändert haben und niemals zurückkehren können zu dem, was einmal war.
Ein weißes Segel weit vom Strande
In blauen Meeres Einsamkeit …
Was sucht es in dem fernen Lande?
Und warum fliehst die Heimat weit?
Michail Lermontov3
MEIN EIGENER ANFANG
Im Speisesaal der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm fiel meine Aufmerksamkeit auf eine Gruppe französischer Studenten, die stets zusammensaßen und lautstarke Diskussionen führten.
Einmal ergab es sich, dass ich in der Warteschlange an der Essenausgabe neben ihnen stand. Ich fragte sie, was sie vom Studieren an der KTH hielten. „Das ist schon okay. Schade nur, dass es so hoffnungslos schwer ist, mit den schwedischen Studienkameraden in Kontakt zu kommen“, war die Antwort. Ein paar Tage später sah ich zwei der Franzosen in Gesellschaft mit ein paar schwedischen Studenten. Zu Beginn sprachen alle englisch miteinander. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Franzosen zum Französisch übergingen. Die Schweden unternahmen noch einige tapfere Annäherungsversuche, aber als sie keine Antwort bekamen, gingen sie ebenfalls in ihre Landessprache über und blieben unter sich. Diese scheinbar unbedeutende Begebenheit gab mir den Anstoß für dieses Buch. Hier hatte ich ein ausgezeichnetes Beispiel, wie Ausländer ihrem eigenen Interesse, nämlich mit der Landesbevölkerung in Kontakt zu kommen, zuwiderhandeln können. Das Verhalten der Franzosen habe ich auch an mir selbst sehr wohl wiedererkannt.
Im Jahre 1957 floh ich als 19-jähriger gemeinsam mit einem Kameraden aus dem kommunistischen Polen nach Dänemark. Wir fanden Arbeit in einer Fabrik in einem kleinen Fischerdorf. In der Fabrik befand ich mich zum ersten Mal in meinem Leben in internationaler Gesellschaft. Neben Dänen gab es dort Ungarn, Grönländer, einen Belgier und einen Finnen. Nach einigen Monaten zog ich nach Schweden um, wo ich zunächst als Klempner Arbeit fand.
Weshalb war ich aus Polen geflohen? Weil ich Freiheit und Abenteuer suchte! Es ging mir nicht darum, reich zu werden. Statt nach Dänemark hätte ich genauso gut nach Kongo fliehen können. Und die Auswanderung sollte ja nicht für ewig sein. In meiner Naivität glaubte ich, dass der Kommunismus innerhalb von ungefähr 10 Jahren zerfallen oder sich zumindest reformieren würde. Und dann könnte ich zurückkehren als bereister und sprachkundiger Mann, hineinsegeln in den Hafen meines Segelclubs in Gdynia, nachdem ich um die Welt gefahren sein würde. Ich könnte verheiratet sein mit einer exotischen, hübschen Frau. Das waren Träume, entsprungen aus der Phantasie eines Teenagers, der vielen Erzählungen gelauscht und viele Bücher gelesen hatte, der aber eingesperrt lebte in einer Welt ohne Hoffnung. Das kommunistische System hielt die Menschen hinter Grenzen aus Stacheldraht, Minenfeldern und bewaffneten Wachposten gefangen. Mein Lebenstraum, zur See zu fahren, ließ sich nicht verwirklichen, da der Weg zur Seefahrtsschule für mich versperrt war. In einer Diktatur kann alles Mögliche einen Schlusspunkt setzen unter jemandes Zukunftsplanung. In meinem Fall missfiel es der Regierung, dass ich Verwandtschaft im Ausland hatte. Indessen hielt ich an meinen Traum vom Seemannsberuf fest und hatte keine Ahnung, was ich stattdessen werden sollte. Mein Wille zur Berufswahl, die autoritäre Art meines Vaters und die staatliche Diktatur hielten mich wie unter einer erstickenden