Die Kunst Einwanderer zu sein. Andrzej Olkiewicz

Die Kunst Einwanderer zu sein - Andrzej Olkiewicz


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Ablehnung und Idealisierung der unterschiedlichen Verhältnisse, mal im Heimatland, mal in dem neuen Land schwankt. All das ist ein langer Prozess, der nach und nach zu einem nuancierteren und realistischeren Bild über die Verhältnisse der beiden Länder führen kann. Dabei kann gefühlsmäßig und verstandesmäßig eine wirkliche Akzeptanz des erlebten Daseins entstehen. Eine differenziertere Sicht auf die Wirklichkeit bewirkt, dass Personen beider Gruppen sich einander annähern, trotz ihrer diametral entgegengesetzten Lebensstrategien. Wenn die Einstellungen neutraler und nachsichtiger werden, schließt sich der Kreis. Trotzdem verschmelzen die Gruppen kaum miteinander, da sie nach einer so langen Trennung in unterschiedlichen Kreisen Umgang pflegen.

      Es gibt aber auch Auswanderer, die über die Anfänge nicht hinauskommen, da sie sich von Beginn an im Kreis drehen. Körperlich wandern sie zwar aus, aber die Seele verlässt das Heimatdorf niemals. So leben sie mit einer ewigen Sehnsucht nach dem, was sie verloren haben und einer ewigen Unzufriedenheit mit dem, was sie haben.

       „Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen als im Gespräch in einem Jahr.“

      Platon28

       WEGE ZU EINEM NEUEN UMGANG

      Ausgrenzung und Einsamkeit in dem neuen Land bewirken, dass Einwanderer Gemeinschaft suchen. Das größte Bedürfnis ist es, endlich die Einsamkeit loszuwerden. Dafür ist es möglich, nötigenfalls über unterschiedliche sprachliche, nationale, religiöse oder soziale Grenzen hinweg in Gemeinschaft zu leben. Erst im nächsten Schritt wird die Nähe zu solchen Menschen gesucht, mit denen mehr nationale oder sprachliche Gemeinsamkeiten bestehen. Als letzten Schritt versucht man dann, in eine sozial homogenere Gruppe zu kommen. Auf diesem verschlungenen Weg können Verbindungen oftmals zu Menschen oder Gruppen entstehen, die man nicht getroffen hätte, wenn man daheim in der Heimat geblieben wäre.

       Die kosmopolitischen Gruppen

      Als neu angekommener Auswanderer kannte ich keine anderen Polen und hatte Umgang mit einer Gruppe, die aus Ungarn und Jugoslawen, einem Deutschen und einem Dänen bestand. Als Geologe in Saudi-Arabien kam ich in eine gemischte internationale Gruppe, die aus Briten, Iren, Libanesen, Palästinensern, Amerikanern, Holländern und Italienern bestand. Viele Hilfsarbeiter oder Studenten, die im Ausland studieren, um nur zwei Kategorien zu nennen, machen ähnliche Erfahrungen.

      In einem Buch über schwedische Jugendliche, die ins Ausland gezogen sind, sagt eine junge Frau:

       Hier treffe ich Menschen unterschiedlichster Nationalitäten, mit denen ich so unglaublich viel gemeinsam habe. Ich finde es wirklich fantastisch, dass sie mir so ähnlich sind. 29

      Die meisten, die den Vorteil hatten, in solch einem kosmopolitischen Milieu zu leben, haben angenehme Erinnerungen an diese Zeit. Das liegt vielleicht daran, dass diese Gruppen so viel offener sind, als die national homogenen, und vielleicht auch, weil sie ein Gefühl vermitteln, in der großen weiten Welt zu leben. Solche Gemeinschaften entstehen oft zu Beginn der Einwanderung, solange noch nicht genügend viele Landsleute für den gesellschaftlichen Umgang gefunden wurden. Es finden sich aber auch Menschen, die aus dem einen oder anderen Grund nicht in die bestehenden national homogenen Gruppen hineinpassen.

       Gleich und Gleich gesellt sich gern

      Diese vielkulturellen Gemeinschaften sind oft zerbrechlich und kurzlebig, weil tendenziell die Gruppe verlassen wird, sobald Menschen mit näherliegender Verbindung gefunden werden. Die nationalen, ethnischen, religiösen und vor allem sprachlichen Bande erweisen sich als die stärksten. Derartige Zusammenschlüsse sind oft auch stabiler als die multinationalen, auch wenn die Entwicklung diesbezüglich variieren kann. Wenn der Zugang an Landsleuten gering ist, ist die Toleranz groß und die Gruppe kann so Menschen mit verschiedenem sozialem, ethnischem oder religiösem Hintergrund umfassen. Wenn der Zugang größer wird, schichtet sich die Gruppe, erst sozial und ausbildungsmäßig, danach auch ethnisch oder religiös. Letzteres beruht auf dem Grad der Toleranz unter den Mitgliedern. Diese herauskristallisierten Gemeinschaften können dann mit marginalen Veränderungen über viele Jahre überleben.

       Der Kreis schließt sich

      Früher oder später wird ein Teil der Gruppenmitglieder außerhalb der Gruppe unter den Einheimischen Kontakt suchen. Die Umgangskreise, in die diese Personen dann hineinkommen, können außer Einheimischen auch Landsleute und andere Ausländer aufnehmen, denn die Auswahl basiert nunmehr auf gemeinsamen Werten und Interessen, nicht auf Sprache, Nationalität oder reinen Zufällen, wie in der kosmopolitischen Gruppe. Genau wie zu Beginn der Auswanderung befindet man sich in der Situation, dass die Gemeinschaft mit anderen Menschen selbst wichtiger ist, als deren Herkunft.

       Aber nicht alle gehen den gleichen Weg

      Der Weg gestaltet sich natürlich nicht für alle gleich. Gewisse Einwanderer werden von Beginn an aufgefangen von dem sozialen Netz, das bereits vom Heimatland aus etabliert wurde. Das gilt beispielsweise für politische Flüchtlinge oder Menschen, die aus der gleichen geografischen Region umgezogen sind. Wer aufgrund einer Heirat in das neue Land kommt, wird gewiss einen anderen Weg gehen. Andere wiederum, auch wenn es nach meiner Erfahrung nur ganz wenige sind, nehmen nie mit einem ihrer Landsleute oder mit anderen Einwanderern Kontakt auf. Die meisten von uns gehen – egal welchen – doch einen recht verschlungenen Weg hin zu dem neuen gesellschaftlichen Umgang.

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