Die Kunst Einwanderer zu sein. Andrzej Olkiewicz
Schriftstellerin, Professorin und Psychoanalytikerin bulgarischer Herkunft, die sich in Frankreich niedergelassen hat, schreibt:
Nirgendwo ist man fremder als in Frankreich. Die Franzosen […] setzen dem Fremden ein kompaktes soziales Gefüge entgegen und dies mit einem nicht zu überbietenden nationalen Hochmut […]. Selbst wenn der Fremde gesetzlich und administrativ akzeptiert ist, wird er deshalb noch nicht in den Familien aufgenommen. 21
Tauscht man „Frankreich“ gegen ein anders Land und „Franzosen“ gegen ein anderes Volk – wie viele Einwanderer erkennen sich da in dem oben stehenden Zitat nicht wieder? Wie viele haben nicht die gleichen Dinge festgestellt, fast überall, genau wie in Frankreich?
Viele Einwanderer glauben auch, dass es in ihren eigenen Heimatländern für Fremde bedeutend einfacher sei mit der Anpassung, als gerade dort, wo sie selbst hingeraten sind. Ein iranischer Sozialarbeiter sagte zu mir: „Wir sind nicht wie die Schweden. In meinem Land sehen wir alle Einwanderer als Gäste an und wir tun alles, ihnen zu helfen.“
Ein schöner Gedanke. Dennoch bezweifle ich, dass es auch nur ein einziges Land gibt, wo ein Fremder vor diesen Konflikten verschont bleibt. Weshalb auch, wenn doch noch nicht einmal zwei Eheleute ohne Streitigkeiten auskommen, obwohl sie zu Anfang eine enthusiastische Einstellung zueinander hatten. Die Anpassung, die für das Funktionieren von Familien notwendig ist, geschieht durch „trial und error“, durch Liebe und gegenseitige Unterstützung, durch Toleranz und Vernunft. Das Gleiche gilt für den Ausländer, wenn er „die Liebesbeziehung“ mit dem neuen Land eingeht.
Die Verfasserin Ana Martinez, die aus Argentinien nach Schweden kam, dachte darüber nach, ob es nicht doch für Fremde leichter wäre, in ihrem Heimatland integriert zu werden, kapitulierte jedoch und zitierte ihren italienischen Großvater, der einst nach Argentinien einwanderte: … dass man nie das Etikett „tano“ los wird, seufzte Großvater22 („tano“ ist der Spitzname für Einwanderer aus Italien). Sie stellte auch fest, dass kein lateinamerikanisches Land seinen Einwanderern solche Schimpfwörter erspart.
Ist es leichter, Einwanderer zu sein, wenn man reich und berühmt ist?
Viele mögen glauben, dass reichen und bekannten Personen die negativen Seiten des Einwanderns erspart bleiben, weil sie Geld und Kontakte haben. Natürlich müssen sie keine wirtschaftlichen Sorgen haben, aber sie kommen nicht um das Gefühl der Einsamkeit und des Ausgesetztseins herum, dass sie mit uns anderen „gewöhnlichen“ Einwanderern teilen.
P. G. Gyllenhammar, ein bekannter und erfolgreicher schwedischer Industrieller, beschreibt seinen London-Aufenthalt folgendermaßen:
„Menschen können neugierig sein, aber man ist und bleibt Ausländer. Man sagt, dass in Dänemark ein Ausländer niemals Däne werden kann. Ich glaube, das Gleiche gilt für England und ich befürchte dasselbe auch für Schweden.“ 23
Seine Ehefrau, Christina Gyllenhammar, sagte in einem Interview sechs Jahre zuvor:
Dennoch kann ich eine gewisse Isolierung erleben, da es sehr schwer ist, in das Leben gebürtiger Londoner hineinzukommen. Sie halten sich gerne unter ihresgleichen. 24
Es scheint mir, dass der Mensch gleichen Anstrengungen ausgesetzt ist und auf gleiche Weise reagiert, wo immer auf der Welt er Fremdling wird oder sich als Fremdling fühlt. Dieses geschieht unabhängig von Nationalität, Religion, gesellschaftlichem Stand, ob die fragliche Person hoch gebildet oder Analphabet ist, im diplomatischen Dienst, politischer Flüchtling oder sich illegal im Land aufhält. Der Grad der Frustration kann variieren, aber es scheint, als ob niemand der Eingewanderten davon frei bleibt.
Je länger ich im Ausland wohne, desto vorsichtiger werde ich damit, etwas als typisch schwedisch zu charakterisieren.
Kjell Albin Abrahamson25
ZERSCHLAGENE VORSTELLUNGEN
Während der Zeit des Aufwachsens werden wir von allen Seiten mit Lobesworten über unser eigenes Land gefüttert. In der Familie, in der Schule, von unserer ganzen Umgebung können wir hören, dass dieser oder jener Poet oder Komponist im Ausland hoch geschätzt wird, dass ein besonderes Ereignis in der Geschichte unseres Landes von weltbewegender Bedeutung gewesen ist, dass eine gewisse Stadt oder eines unserer architektonischen Werke für seine Schönheit auch außerhalb der Landesgrenzen gepriesen wird. Wenn wir in ein neues Land kommen, erkennen wir zu unserer Verwunderung, dass unser Land für unsere neuen Landsleute völlig unbekannt ist, dass sie es vielleicht noch nicht einmal auf der Landkarte finden, dass sie es verwechseln mit einem anderen Land und weder wissen, welche Sprache dort gesprochen wird, noch den Namen der Hauptstadt kennen. Außerdem bekommen wir schnell heraus, dass das, was in unserem Heimatland geschieht, oft nur von geringem Interesse für sie ist.
Olle Westberg berichtet:
Als ich schwedischer Generalkonsul in New York war, sagte ich immer, es war ein schlechter Tag, wenn Leute unser Büro angerufen hatten, die nach einem Visum für die Schweiz fragten oder noch schlimmer, wenn sie ein Visum für Swaziland haben wollten. […] So traf ich einen Akademiker, der vorsichtig fragte: „Schweden, ist das die Hauptstadt von Wien?“. […] Schweden ist vielleicht doch nicht so bekannt, wie wir glauben. 26
Manchmal entdecken wir, dass es das, von dem wir glaubten, es sei eine Besonderheit unseres Landes und unserer Kultur – etwa eine Speise oder ein Tanz – in dem neuen Land auch gibt. Vielleicht versuchen wir dann, die anderen davon zu überzeugen, dass dieses Phänomen eigentlich seinen Ursprung in unserem Land hat und eine Besonderheit unserer Kultur ist. Aber wir kämpfen einen hoffnungslosen Kampf. Wir verstehen nicht, dass nichts in der Welt wirklich einzigartig ist, dass alles mehr oder weniger entliehen, kopiert und zu „eigen“ umgewandelt wurde.
Obendrein wird uns klar, dass gewisse Vorteile in unserem Land für unsere Gastgeber nicht nur völlig unbekannt sind, sondern auch so wesensfremd, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen können, sich diese anzueignen. Eine Tradition, die für uns wichtig ist, wird von der Bevölkerung des Gastlandes als merkwürdiges Schauspiel angesehen, unsere Musik kann in ihren Ohren unangenehm klingen und den Speisen, die wir mögen, begegnen sie mit Ekel.
Es kann sein, dass wir um eine Antwort verlegen sind, wenn ahnungslose oder vorurteilsvolle Fragen über unser Land an uns gestellt werden. Wir wundern uns über die Dummheit oder Unwissenheit, die wir antreffen und fühlen uns verletzt, weil wir denken, dass dies Dinge sind, über die alle Bescheid wissen müssten. Besonders, weil wir selbst so vielmehr über deren Land wissen. Wir kommen leicht zu der Schlussfolgerung, dass unsere neuen Landsleute Ahnungslose und Ignoranten sind. Nur vergessen wir hierbei leicht, wie wenig wir selbst wussten über das Land, das wir auswählten, um uns dort niederzulassen und dass wir es erst kennen lernten, nachdem wir eine Weile hier gewohnt haben. Aus dieser Perspektive gesehen ist es ungerecht, den Wissensmangel der Einheimischen zu verurteilen, weil sie unser Land vielleicht noch nicht einmal besucht haben. Wir sollten uns auch daran erinnern, dass der vorurteilsvollen, unkundigen und andeutungsvollen Fragen wenige sind und dass Situationen dieses Schlages nicht sehr oft entstehen. Deshalb ist es unrecht alle als etwas einfältig zu beurteilen.
Es ist besser, unsere Nerven zu schonen und es ruhig zu nehmen, wenn jemand fragt, ob Eisbären oder Löwen durch die Straßen in unseren Heimatländern spazieren. Vielleicht können wir stattdessen einen Globus hernehmen, ihn drehen, die Augen schließen und mit dem Finger irgendwo auf unsere Erdkugel tippen. Dann können wir ja mal alles erzählen, was wir über das Land wissen, auf das unser Finger gerade zeigt. Wir können das mehrfach wiederholen. Wenn wir vielleicht etwas über die ausgesuchten Länder wissen, sollten wir einmal überprüfen, wie viel davon wahr ist und wie viel auf Sagen und Vorurteilen beruht. Wenn wir unser Wissen an Fakten messen, hören wir vielleicht auf, andere zu verurteilen.
Selbsteinsicht macht das Leben immer leichter.