Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler


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HenrietteWeiß, Henriette mit einem Verwandten, Samuel Ami WeißWeiß, Samuel Ami.[147] Auch das Schicksal der Enkelinnen lag ihr sehr am Herzen, besonders das von PaulaKellner, Paula und Dora, um die sie sich große Sorgen machte, weil AnnaKellner, Anna (geb. Weiß), ihre Mutter, sie so gründlich verzogen habe:

      Liebes Annerle, […] ich fürchte, es wird euch schwer werden, eure Töchter zu verheiraten. Erstens stellt Paula an einen Mann zu große Ansprüche; zweitens bist du ebenso dumm – verzeih, ich wollte sagen »ideal« wie sie.[148]

      Bei PaulaKellner, Paula war das Problem bald gelöst. Man fand für sie einen Mann, der wie ihr Vater aus Tarnów stammte, Dr. Max ArnoldArnold, Max, eigentlich Markus Apfelbaum, einen Anwalt, fast 20 Jahre älter als sie. PaulaKellner, PaulaArnold, Paula (geb. Kellner)Kellner, Paula fand nichts dabei, ganz im Gegenteil. »Nebenbei gesagt, waren diese vermittelten Ehen oft glücklicher als die Liebesehen«, schreibt sie in ihren Erinnerungen.[149] Auch bei Dora scheint man nach diesem Prinzip verfahren zu sein, indem man Max PollakPollak, Max, geboren am 6.1.1889, auf den Tag genau ein Jahr älter als sie, für sie aussuchte. Er stammte aus einer reichen Bielitzer Industriellenfamilie, die zunächst orientalische Kopfbedeckungen, vor allem den türkischen und arabischen Fez, später Nägel, Nieten und Schrauben herstellte. Man kannte sich, ob aus der »Schul«, dem Tempel, verschiedenen Wohltätigkeitsvereinen, den koscheren Gasthäusern oder dem Geschäftsleben. KlaraWeiß, Klara betrieb den einzigen größeren Konfektionsladen am Ort. Es war unvermeidlich, dass die Pollaks bei ihr kauften. Es ist auch sehr gut möglich, dass ihr MannWeiß, Salomon die Wolle für die Pollak’schen Feze geliefert hatte, feinstes Material aus Ungarn, Australien und Südrussland, mit dem er sich bestens auskannte.

      Klara WeißWeiß, Klara starb im Februar 1911, »bis zu ihrem letzten Atemzuge ein Muster edler Pflichterfüllung und hingebungsvoller Liebe«.[150] Vermutlich war da schon alles für Dora eingefädelt. Jedenfalls fand am 30. Juni 1912 die Hochzeit statt. In der großen Bielitzer Synagoge, durchaus pompös also. Viele Zeitungen berichteten über das Ereignis, denn PollaksPollak, Theodor Vater war schließlich ein »Großindustrieller« und der von Dora ein »Universitätsprofessor«.[151] Auch die Wohnverhältnisse der Pollaks ließen nichts zu wünschen übrig. Sie lebten nicht, wie die Kellners, in einer einfachen Mietwohnung, sondern in einer prächtigen Villa in der Nähe des »deutschen« Stadttheaters.

      Den BräutigamPollak, Max selbst hatte sich offenbar niemand genauer angesehen, sonst hätten sich erhebliche Zweifel regen müssen, denn bei allem Misstrauen in die »romantische Liebe« war vorhersehbar, dass aus dieser Ehe nichts werden würde. Schon auf der Schule galt er als verhaltensauffällig, wenn auch hochbegabt, exzellent in Musik, Griechisch und Mathematik, aber immer wieder zu »unsittlichem Betragen« neigend,[152] wie er 1952 einem Analytiker, Dr. Kurt EisslerEissler, Kurt, erklärte. Wegen kindlicher Angstzustände kam er früh in psychoanalytische Behandlung – zu einem gewissen Dr. Sigmund FreudFreud, Sigmund, der in einem muffigen Ordinationszimmer auf der Wiener Berggasse saß, eingepfercht zwischen Büchern, Polstermöbeln und Nippesfiguren. PollakPollak, Max erklärte später, FreudFreud, Sigmund habe ihm erklärt, dass er zu viel Klavier spiele und unter einem vorgeburtlichen Trauma leide. Auf seine MutterPollak, Eveline, die ihn mit äußerster Strenge erzog und, um ihn abzuhärten, eine Uhr in seinem Zimmer anbringen ließ, die Tag und Nacht jede halbe Stunde laut schlug, sei er nicht weiter eingegangen.

      Nach dem Abitur habe er zunächst Medizin studieren wollen, in München, wo er sich maßlos überanstrengt habe. Die Folgen: zu niedriger Blutdruck, kaum noch Puls, schwerer Kollaps. Daraufhin habe man ihn zum ersten Mal in ein psychiatrisches Sanatorium gebracht, nach Wien-Inzersdorf, zu Dr. Emil RedlichRedlich, Emil, einer »rührenden Mischung aus einem Schimpansen und Jesus«. Dann: Praktikum in einem Familienbetrieb in der Nähe von Brünn. Dort erneute Katastrophe, denn die Toilette sei nur über einen dunklen Hof zu erreichen gewesen, sodass er sich völlig abgewöhnt habe, sie zu benutzen. Weitere Psychiatrie-Aufenthalte. Fortsetzung des Studiums in Wien. Dort Begegnung oder Wiederbegegnung mit Dora, die er wahrscheinlich schon seit seiner Kindheit kannte. Interesse für Philosophie und Chemie. Gemeinsamer Besuch von Vorlesungen und Seminaren. Aber Liebe? Davon ist nirgends die Rede. In seinem Interview mit Kurt EisslerEissler, Kurt klammert er das Thema »Dora« vollständig aus.

      Als sie heirateten oder wohl eher: verheiratet wurden, war er selbst 23, Dora 22 Jahre alt, beide nach österreichischem Recht noch nicht volljährig. PollakPollak, Max konnte sich bei Gericht für mündig erklären lassen, Dora brauchte die schriftliche Erlaubnis ihres VatersKellner, Leon, die ins Matrikenbuch der jüdischen Gemeinde von Bielitz eingetragen wurde. PollakPollak, Max ist darin als »Chemiker« verzeichnet, obwohl er sein Studium niemals abgeschlossen hat.[153] Die meisten Benjamin-Biographen bezeichnen ihn als »Journalist«. Aber es ist kein einziger Text von ihm nachweisbar. Woher diese Annahme rührt, bleibt ein Rätsel.

      Dora selbst hat sich nur einmal zu dem Thema »Zwangsehe« geäußert. In ihrem Roman Gas gegen Gas oder Das Mädchen von Lagosta schreibt sie:

      Ein junger Mann hat sich mit irgendeinem armen Mädel eingelassen, die Familie ist dagegen, es wäre auch ein Jammer um den prächtigen Menschen. Was tut H.? Er verschafft dem Mädchen einen reichen Verehrer, und allen ist geholfen. – Die Familie kann den jungen Mann mit der guten Partie verheiraten, die sie ihm ausgesucht hat, und das Mädchen sieht nach einer Weile selber ein, dass es so am besten ist.[154]

      Nie vollzogen

      In den fünfziger Jahren wird sie den englischen Behörden gegenüber versichern, dass die Ehe mit PollakPollak, Max quasi nicht existiert habe, da sie »nie vollzogen« worden sei.[155] Körperliche Gründe hatte das offenbar nicht. Denn seine zweite Frau, Lisa BergmannBergmann, Lisa, bekam von ihm 1918 einen Sohn. Vielleicht widersetzten sich beide dem familiären Zwang, indem sie den »ehelichen Pflichten« bewusst nicht nachkamen, sondern einander wie Fremde behandelten, bestenfalls wie Freunde oder Geschwister?

      Bis September 1912 scheint Dora sich in Wien als Hausfrau versucht zu haben,[156] dann ging sie mit PollakPollak, Max nach Berlin, wo sie zunächst in einer japanischen Pension wohnten. Das Ganze wirkte sehr überstürzt und hatte den Charakter einer Flucht. PollakPollak, Max wollte weg von seiner Familie, die ihm wohl ständig vorhielt, ein Versager zu sein, den man noch nicht einmal im Familienbetrieb einsetzen könne. Doch auch Dora


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