Harter Ort. Tim Herden
mit der Aufschrift „Bundespolizei“. Er wurde eskortiert von einem gelben ADAC-Rettungshubschrauber. Der Beifall verebbte, als die Wartenden sahen, dass es sich nur um kleine Hubschrauber handelte.
Während der Polizeihubschrauber auf dem Landeplatz aufsetzte, kreiste die andere Maschine über dem Hafengebiet von Vitte. Der Pilot wollte offenbar näher bei der „Caprivi“ landen und ging dann auch auf dem kleinen Platz am Anleger des gesunkenen Schiffes runter.
Nachdem die Rotoren abgestellt waren, öffnete sich die Tür des Kopiloten und eine Schiebetür wurde aufgezogen. Damp war erstaunt. Nicht nur Holm Behm, ein weiterer Kollege der Spurensicherung und Nelly Blohm kletterten aus dem Helikopter, sondern auch Polizeidirektor Bökemüller.
„Hallo, Damp, wie ist die Lage?“, begrüßte er seinen Revierleiter auf Hiddensee betont jovial. „Haben Sie schon neue Erkenntnisse?“
Damp berichtete, was er über den toten Hotelier von Malte Fittkau erfahren hatte. Auch Bürgermeister Förster kam dazu.
„Vielleicht können Sie sich gleich mal als Mitglied des Krisenstabes ein Bild machen, dass wir hier dringend Hilfe brauchen“, drang er auf den Polizeichef ein. „Die Menschen müssen nach Hause und die Vorräte in den Supermärkten, aber auch an Treibstoff für die Schneepflüge und den Inselbus gehen zur Neige.“
Bökemüller nickte immer wieder bedächtig bei den Worten Försters. „Mir sind da auch die Hände gebunden. Ich verstehe schon Ihre Lage, aber momentan vertröstet uns die Bundeswehr von Tag zu Tag.“
Förster deutete auf den Hubschrauber. „Könnten wir damit nicht wenigstens die Eltern mit Kindern ausfliegen?“
Bökemüller legte altväterlich dem Bürgermeister den Arm um die Schultern. „Lieber Herr Förster! Wie oft soll die Maschine denn hin und her pendeln zwischen Hiddensee und Rügen? Da passen doch nur fünf Passagiere rein. Das ist völlig unmöglich. Außerdem handelt es sich hier um einen Polizeieinsatz“, er hob den Zeigefinger, „möglicherweise in einem Mordfall. Das hat jetzt erst mal Priorität.“
Holm Behm, der mittlerweile vom Warten kalte Füße bekam, nutzte die letzten Worte des Polizeidirektors. „Ich würde dann gern auch mal zum Tatort, wenn’s möglich ist. Denn Krüger ist uns jetzt schon voraus und ich würde mir nicht gern die vorhandenen Spuren zertreten lassen.“
Während der Trupp sich dem Polizeiwagen näherte, wurde wieder Unmut unter den Wartenden laut. „Eh, was wird denn nun mit uns?“
„Wo bleibt denn die Hilfe für uns?
„Warum werden wir nicht ausgeflogen?“
Und dann begannen wieder die Sprechchöre: „Wir wollen weg!“ Die Menschen schoben sich immer näher an den Landeplatz heran. Förster sah ängstlich zu Damp. Die Situation drohte zu eskalieren. Da sprang Nelly Blohm nach vorn, wedelte kurz mit den Armen und überraschend wurde es wieder still.
„Wir können Ihren Unmut verstehen“, rief sie den Leuten zu, „aber wir müssen uns hier um einen Toten kümmern.“
Ein Raunen ging durch die Menge. Bökemüller verzog das Gesicht und zupfte am Ärmel von Nelly Blohm. Doch die Polizistin ließ sich nicht beirren. „Mein Vorschlag wäre, wir stellen jetzt einen SMS-Verteiler zusammen und Sie werden dann sofort benachrichtigt, wenn es möglich ist, die Insel zu verlassen. Außerdem sollten wir eine Art Reihenfolge aufstellen und Wartenummern ausgeben, falls nicht alle sofort zur gleichen Zeit ausgeflogen werden können. Die Familien mit Kindern sollten als Erste Nummern bekommen, dann Kranke und Alte, die medizinische Versorgung brauchen, und so weiter. Ich denke, nein, ich hoffe, Ihre Arbeitgeber werden Verständnis haben für Ihre Situation. So müssen Sie auch nicht weiter hier stehen und frieren.“
Offenbar hatte Nelly damit alle so verblüfft, dass sich zunächst ein großes Schweigen breitmachte. Dann kamen aus der Menge zustimmende Rufe. Bökemüller sah seine junge Beamtin mit einigem Stolz an, fragte sich aber im Stillen, ob das nicht sein oder Försters Job gewesen wäre und Nelly ihm die Show gestohlen hätte.
Damp raunte Behm zu: „Machen wir jetzt hier Urlauberbetreuung oder wollen wir einen möglichen Mord aufklären?“
Nelly kramte schon nach einem Block aus ihrer Tasche und wollte anfangen, die Telefonnummern zu notieren, da mischte sich Bökemüller ein. Er legte ihr die Hand auf den Arm. „Vielleicht kann das Notieren der Namen und Telefonnummern sowie die Ausgabe der Wartemarken die Inselverwaltung übernehmen.“ Dabei schaute er zu Förster, der auch sofort zustimmend nickte. „Und die Beamten machen mal ihren eigentlichen Job.“ Sein Ton ließ keinen Widerspruch zu. Dann schob er Nelly mit leichtem Druck zum Polizeiwagen. „In Zukunft wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie solche Aktionen mit mir absprechen“, flüsterte er ihr beim Einsteigen in den Wagen noch zu.
„Was ist das eigentlich für ein Schiff, auf dem sie den Toten gefunden haben?“, fragte Bökemüller Damp, als sie im Auto saßen.
„Es war ein Hotelschiff, früher mal ein Jugendklub“, antwortete der Polizist. „Lief aber zuletzt nicht mehr so gut. Der Bürgermeister versucht gerade, den Besitzer aufzutreiben. Das scheint aber gar nicht so leicht zu sein.“
„Die Bergungskosten werden immens sein. Das wird der kaum bezahlen können.“
„Die Insel kann das aber auch nicht bezahlen“, erwiderte Damp.
„Dann bleibt das Wrack sicher, wo es ist. Auf dem Grund des Boddens.“
Der Wagen hielt.
Krüger, der Rechtsmediziner von der Uniklinik in Greifswald, stand auf dem Vorschiff der „Caprivi“ und schaute in den Raum mit Dehnes Leiche. „So wünscht man es sich“, begrüßte er den Chef der Stralsunder Spurensicherung, Holm Behm. „Die Leiche schon schön gekühlt. Da bleiben die Spuren frisch.“
„Waren Sie schon drin?“, fragte Behm nicht ohne Schärfe.
„Gott bewahre“, antwortete Krüger. „Ich werde Ihnen doch nicht vorgreifen, obwohl ich es kaum erwarten kann, endlich an die Beute zu kommen. Hier draußen wird es auch langsam etwas kühl. Allerdings fürchte ich, drinnen ist es nicht besser“, er zeigte auf Dehne, „wenn ich den Herrn da auf der Bank sehe.“
„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie Sie ihn hier raus und nach Greifswald bringen wollen?“
Krüger legte die Stirn in Falten. „Gute Frage. Nächste Frage.“ Er kratzte sich am Kopf. „Am besten wäre tiefgekühlt, aber so passt er wahrscheinlich nicht in die Luke des Rettungshubschraubers. Wir werden ihn auftauen müssen. Die Leichenstarre wird schon vorbei sein, wenn es stimmt, was die Feuerwehrmänner erzählt haben und er eine Tasche mit Silvesterraketen bei sich hatte. Aber ich müsste genau die Temperatur beim Auftauen kontrollieren. Bei dem Wetter könnte es außerdem ohne Hilfe etwas dauern.“
„Vielleicht mit so einem Gasheizer, die immer in den Biergärten stehen“, kam es von Barnhöft. Der Feuerwehrmann wollte endlich auch mit dem Auslegen der Ölsperren um das gesunkene Schiff vorankommen. Seit dem Fund der Leiche hatten sie die Arbeit eingestellt. Je schneller der Tote geborgen war, umso weniger Öl konnte weiter unters Eis in den Bodden laufen.
Krüger drehte sich zu Barnhöft um und schlug ihm auf die Schulter. „Guter Mann“, lobte er, „aber wo kriegen wir so ein Ding her? Jetzt ist nicht unbedingt Biergartensaison.“
„Vielleicht beim ‚Hiddenseer‘, vermutete der Feuerwehrmann, „gleich im Wiesenweg. Die haben solche Dinger im Sommer auf ihrer Terrasse und müssten noch aufhaben. Die hatten bestimmt Pensionsgäste über den Jahreswechsel.“
Barnhöft winkte drei seiner Leute heran und gab ihnen Befehl, einen Wärmestrahler vom „Hiddenseer“ zu holen. Wenn es Probleme gäbe, sollte der Wirt Damp oder ihn anrufen.
Behm hatte inzwischen angefangen, den Raum mit der Leiche zu inspizieren. Er pinselte das Schott, die Riegel und den Rahmen der Luke ab, die in den ehemaligen Barraum der „Caprivi“ führte. Dann wandte er sich dem Innenraum zu. „Wieder alles zerlatscht und wahrscheinlich auch angegrabscht. Wie schon bei diesem Bauunternehmer!“,