Asian Princess. Thomas Einsingbach

Asian Princess - Thomas Einsingbach


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Vielleicht hatte es daran gelegen, dass im Hause Möller-Schwinnhoff grundsätzlich wenig gesprochen wurde, denn Josefs Lebens- und Hausregel lautete: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

      Gold hatte es auch nach seinem Tod genug gegeben. Als das Testament geöffnet wurde, war selbst Rechtsanwalt Messerschmidt, der langjährige Vertraute und beste Freund ihres Mannes, überrascht gewesen, dass Josef mehr als die Hälfte seines Millionenvermögens in Gold und Schmuck investiert hatte. Der Verschiedene gehörte einer Generation an, die Papiergeld misstraute und, obwohl er jahrelang der bedeutendsten deutschen Privatbank vorstand, im Persönlichen selbst um werthaltige Aktien und Immobilien, dem sogenannten Betongold, einen Bogen gemacht hatte.

      Hildegard griff nach einer Sammlung romantischer Sonette von Heinrich Heine. Im Hirn spukt mir ein Märchen wunderfein, und in dem Märchen klingt ein feines Lied, und in dem Liede lebt und webt und blüht ein wunderschönes zartes Mägdelein. Und in dem Mägdlein wohnt ein Herzchen klein, las sie und legte das Buch beiseite. Sie schloss die Augen. Im Tresor der Villa Raabe fanden sich nach Josefs Tod Goldbarren, Schmuck, kostbare Uhren und Edelsteine. Von all dem hatte Hildegard zu Lebzeiten ihres Mannes keinen Schimmer gehabt. Einiges davon konnte sie mittlerweile verkaufen, aber das meiste war noch im Safe gebunkert. Plötzlich riss ein klirrendes Geräusch sie aus ihren Gedanken. Ihr fiel das halb gefüllte Glas Milch ein, das sie auf dem Küchentisch im Erdgeschoss hatte stehen lassen. Sicherlich war es eine der beiden jungen Katzen gewesen, die sich neugierig und ungeschickt an das Milchglas herangewagt hatte.

      Als die einzige Hausangestellte die Villa verlassen hatte, war der Mann im Schutz der hereinbrechenden Nacht über die Parkmauer gestiegen und zu der Tür geschlichen, durch die man von der Küche in den Kräutergarten gelangte. Mit routinierten Handgriffen setzte er die veraltete Überwachungskamera außer Betrieb und brach das Schloss auf. Er schlüpfte in die Küche, wo sich seine Augen schnell an die Dunkelheit gewöhnten. Der Mann fluchte stumm, als er sah, wie zwei schwarz-weiß gefleckte Katzen auf den Küchentisch sprangen und kurz darauf ein Milchglas zu Boden ging, wo es zerbarst. Als daraufhin im Haus alles ruhig blieb, überprüfte er den Sitz seiner Skimaske, verstaute das Einbruchswerkzeug in seinem Rucksack und tastete nach der Waffe, die entsichert im Gürtel steckte. Er wusste genau, wohin er sich nun wenden musste. Er kannte den Grundriss der Villa und hatte sich auch mit dem Schließmechanismus des Tresors vertraut gemacht. Die Katzen, die sich nun über die verschüttete Milch hermachten, waren allerdings eine Überraschung. Der Mann stieg geräuschlos die Marmortreppe zur ersten Etage hinauf. Das Schlafzimmer mit dem Tresor befand sich am Ende des Ganges. Der Mann sah, dass die Tür nur angelehnt war und kein Licht brannte. Behutsam schob er die Tür auf und betrat den Raum.

      Hildegard verfügte über einen ausgezeichneten Gehörsinn. Sie hörte einen ruhigen, kraftvollen Atem und Gummisohlen, die auf dem Fliesenboden kaum wahrnehmbar aufsetzten. Der Eindringling entnahm etwas aus seiner Tasche, es schien sich um einen Gegenstand aus Metall zu handeln. Hildegard wunderte sich, dass sie nicht die geringste Furcht verspürte.

      „Guten Abend. Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte sie mit ruhiger Stimme und blickte unverändert aus dem Fenster. Der Mann hielt verblüfft inne.

      „Warum haben Sie nicht geläutet?“

      Hildegard drehte sich nun zu ihrem unbekannten Gast und sah einen athletischen, schwarzgekleideten Mann. Sein Kopf steckte unter einer Skimaske und auf seinen Schultern lagen die Träger eines Rucksacks. Der Mann schob den Sessel samt Hildegard vom Fenster weg und packte die schmalen Handgelenke der alten Dame.

      „Ich will keinen Muckser hören! Schweigen ist Gold! Schon mal gehört?“, zischte er, streifte den Rucksack ab und kniete sich vor den Kamin.

      „Wenn Sie den Tresor öffnen wollen, brauchen Sie die Kombination. Es ist kein modernes Modell, aber äußerst robust. Mein Mann hat stets auf langlebige Qualität geachtet.“

      Der Einbrecher schien überhört zu haben, was Hildegard gesagt hatte. Er entfernte die Verblendung der seitlichen Kaminwand, hinter der sich ein Geldschrank mit einem Vier-Scheiben-Schloss und einem mechanischen Schließzylinder befand. Aus dem Rucksack zog er einen schweren Hammer und einen Meißel.

      „Junger Mann, Sie erleichtern sich die Sache und vermeiden unnötigen Lärm, wenn Sie die Kombination eingeben.“

      Der Mann sah, wie die Frau vier zweistellige Zahlenkombinationen auf einen Notizzettel schrieb. Wortlos griff er nach dem Papier. Hildegard atmete flach und bemerkte erst jetzt, wie ihr Leib bebte. Natürlich war sie aufgeregt, aber noch immer hatte sie keine Angst. Wenn sie sich besonnen verhielt, würde ihr nichts geschehen. Der Mann machte einen vernünftigen Eindruck. Er war ein Räuber, aber ganz sicher kein Gewaltmensch. Kurz darauf sprang die Tresortür auf und der Mann entfaltete eine Sporttasche, die er seinem Rucksack entnahm.

      „Sie können alles mitnehmen. Ich werde es nicht vermissen, bis auf eine Kleinigkeit …“

      Hildegard versuchte vergeblich, Blickkontakt zu dem am Boden hockenden Eindringling herzustellen. „Hören Sie: In einer blauen Samtschatulle befindet sich eine antike Rolex. Sie hat meiner Mutter gehört. Es wäre sehr freundlich, wenn Sie mir diese Uhr lassen würden.“

      Der Mann griff nach dem Behältnis, reichte es der alten Dame und widmete sich wieder dem Inhalt des Tresors. Hildegard öffnete wehmütig die Schatulle. Dieses Erinnerungsstück verband sie mit der unbeschwerten Zeit ihrer Kindheit und Jugend, in der in ihrem Elternhaus ausgiebig gelacht und herumgealbert wurde, man sich heftig stritt, um sich bald darauf wieder zu vertragen. Damals war alles ganz anders gewesen, als es später in ihrer stummen Ehe mit Josef werden sollte. Die goldene Rolex ihrer Mutter war der einzige Gegenstand in diesem schrecklichen Tresor, der für sie einen Wert darstellte. Ja, Hildegard fühlte sich sogar erleichtert, als sie den Mann dabei beobachtete, wie er sorgsam die Goldbarren und Schmuckkassetten in seine Sporttasche lud. Sie hatte aufgehört zu zittern und sah, wie ihre Katzen neugierig ins Zimmer schlichen.

      Als der Mann seine Arbeit beendet hatte, richtete er sich auf. „Danke für die Kombination. Aber Sie können mir glauben, ich hätte es auch ohne Ihre Hilfe geschafft.“

      „Ich glaube Ihnen. Sie werden mich vermutlich für verrückt halten, aber ich bin froh, dass ich den Tresor jetzt endlich entfernen lassen kann.“ Hildegard hob die Rolex in die Höhe und lächelte. „Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis. Ein Andenken an die schönste Zeit in meinem Leben.“

      Der Mann schob den Sessel wieder in die angestammte Position zurück. Er stellte sich hinter die hohe Rückenlehne und sah gemeinsam mit Hildegard aus dem Fenster.

      „Sie haben von hier oben einen herrlichen Blick. Sie sind zu beneiden. Aber eines wollte sich noch loswerden: Ich mag keine Katzen.“

      „In der Tat, die Aussicht ist wunderbar. Dass Sie keine Katzen mögen, tut mir leid. Haben Sie eine Allergie?“ Hildegard drehte den Kopf zur Seite und suchte den Blick des Einbrechers. „Ich wünsche Ihnen viel Glück mit dem Inhalt Ihrer Sporttasche. Seien Sie doch so nett und schließen Sie beim Hinausgehen die Tür. Meine Betty kommt erst spät nach Hause. Ich habe ihr heute Abend freigegeben.“

      Als das letzte Wort gesprochen war, legte sich der Metalldraht einer Garrotte um Hildegards Hals. Der Mann zog die an zwei hölzernen Griffstücken befestigte Drahtschlinge mit einem harten Ruck zu. Das scharfe Metall fraß sich in die faltige Haut. Helles Blut sickerte aus dem zerschnittenen Fleisch. Die Luftröhre verengte sich, Hildegard Möller-Schwinnhof ruderte hilflos mit den Armen, griff sich an die Kehle. Sie röchelte. Sie grunzte. Endlich verstummte sie. Blut tropfte auf ihr beigefarbenes Sommerkleid. Ihre Augäpfel schienen aus den Augenhöhlen herausquellen zu wollen. Die noch eben gütige Mimik verzerrte sich zu einer Fratze. Dann war die alte Dame tot.

      Unbeirrt von all dem war eine der Katzen auf Hildegards Schoß gesprungen und schnupperte an dem blutdurchtränkten Kleiderstoff. Für einen Moment trafen sich die Blicke der Katze und des Mannes, der das Würgeisen entspannte und nach seiner Pistole griff. Eine Kugel zertrümmerte das Katzenköpfchen und der leblose Korpus rutschte klatschend zu Boden. Der Mann sah sich um. Das zweite Kätzchen war gerade dabei, sich mit schnellen Trippelschritten in den Flur zu retten. Ein Geschoss vereitelte die Flucht. Das Tier kippte zuckend auf die Seite. Aus dem aufgerissenen


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