Schwarzer Peter. Tim Herden

Schwarzer Peter - Tim Herden


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weiter.

      „Also Gudrun, was hast du hier gemacht?“

      Gudruns Augen verengten sich kurz, bevor sie antwortete: „Ich bin spazieren gefahren. Mit meinem Rad.“

      Da brach auch schon das Donnerwetter über sie herein. Damp stemmte sein Hände in die Hüften. „Du willst hier um halb zehn spazieren gefahren sein? Wer soll dir das glauben? Deine Großmutter?“

      Gudrun war etwas zurückgewichen. Ihre Arme hingen schlaff herab. „Aber so war es“, brachte sie stockend hervor.

      „So soll es gewesen sein?“, wiederholte Damp im scharfen Ton. „Du fährst um halb zehn früh spazieren? Dass ich nicht lache!“ Dann kam er mit seinem Gesicht Gudrun ganz nah. „Ich sag’ dir mal, was du um halb zehn machst. Du sitzt in deiner Küche und schälst Kartoffeln, damit um zwölf für Heiner das Essen auf dem Tisch steht!“

      „Woher willst du denn das wissen?“

      „Weil ich es weiß. Oder hast du nicht immer bei Charlotte gejammert, wie dich dein Alter nervt, weil immer um zwölf das Essen auf dem Tisch stehen muss?“

      „Lass Charlotte aus dem Spiel!“, blaffte Gudrun zurück.

      Doch Damp hörte gar nicht zu, so war er in Fahrt. „Und die Plane? Die haste immer bei deinen Spazierfahrten dabei?“

      Gudrun stutzte kurz. Dann verschränkte sie wieder die Arme vor der Brust. „So ist es aber gewesen“, beharrte sie trotzig auf ihrer Aussage.

      „Aber so kann es nicht gewesen sein“, widersprach ihr Damp erneut. Rieder hatte bisher schweigend daneben gestanden. „Gudrun, mit hoher Wahrscheinlichkeit ist Kempe ermordet worden. Ich würde mir an deiner Stelle genau überlegen, was du uns sagst.“

      „Ich kann nur sagen wie es gewesen ist“, erwiderte sie mit brüchiger Stimme. Dann brach sie in Tränen aus. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

       VIII

      Obwohl die Steine noch recht kalt waren, saßen Damp und Rieder auf der Deichkrone. Der Wind hatte nachgelassen. Die Sonne brach zwischen den Wolken hervor und wärmte die Luft. Sie warteten auf die Spurensicherung aus Stralsund. Der Greifswalder Rechtsmediziner, Dr. Krüger, hatte mitgeteilt, dass er seine Vorlesungen an der Universität nicht verschieben könne. Wenn die Spurensicherung ihre Arbeit gemacht habe, solle ein Beerdigungsunternehmen von Rügen die Leiche ins Rechtsmedizinische Institut nach Greifswald bringen.

      „Warum kommt Behm eigentlich nicht mit der Wasserschutzpolizei?“, fragte Rieder.

      „Gebauers Boot ist in der Werft. Motorschaden“, antwortete Damp.

      „Schon wieder?“ Rieder überlegte kurz. „Das ist doch das dritte Mal, seit ich hier bin.“ Und er war erst seit einem Jahr auf der Insel.

      „Das ist eine alte Schabracke. Der Kahn war schon so gut wie ausgemustert, als er aus Kiel hierher verfrachtet wurde. Die Wessis haben uns doch nach der Wende den ganzen Schrott angedreht. Diese Fähre, die im Winter nicht fährt, und diese Polizeiboote, die im Frühjahr kaputt sind. In Dienst gestellt 1974. Da bin ich noch zur Schule gegangen.“

      „Also, wir konnten uns nicht beschweren. Wir bekamen in Halle 1990 zwar alte Passat Kombi. Erdbraun. Aber hinten war so viel Platz, da konnte man bei Observationen mal ’ne Schicht Schlaf einlegen. Und da die Jungs immer noch dachten, wir seien mit Lada und Wartburg unterwegs wie Hauptmann Fuchs aus dem ‚Polizeiruf 110‘ und nicht mit einem alten Westschlitten, waren wir auch ganz schön erfolgreich …“

      Damp wandte sich Rieder zu. „Sie kommen aus dem Osten?“

      „Ja.“

      „Das haben Sie nie erzählt.“

      „Warum auch? Spielt das eine Rolle?“

      „Aber Sie waren doch Leitender Ermittler einer Mordkommission in Westberlin.“

      „Na und? Mein Partner kam aus dem Ruhrgebiet. Wir saßen in Charlottenburg. Westberlin gibt’s schon länger nicht mehr.“

      „Für mich schon.“ Damp versank in Gedanken. „Ich dachte immer, Sie sind aus Berlin“, begann er wieder.

      „Selbst wenn, hätte ich ja auch aus dem Osten Berlins kommen können.“

      „Komisch, hätte ich nicht gedacht, dass Sie ein Ossi sind.“

      „Dann haben wir das jetzt mal geklärt.“

      „Ich fand es nicht gut, die Witt einfach gehen zu lassen“, wechselte Damp das Thema.

      „Die wird schon nicht abhauen. Wo soll sie denn hin?“

      „Trotzdem.“

      Rieder hatte gewartet, bis sich Gudrun Witt beruhigt hatte und sie dann nach Hause geschickt. „Wir werden aber noch mal mit Ihnen reden müssen.“

      Damp war zwar mit dieser Entscheidung nicht einverstanden, hatte aber nicht widersprochen. Gudrun Witt hatte ihr Rad genommen, war aufgestiegen und langsam auf dem Deich zurück nach Neuendorf gefahren.

      „Und wenn sie doch abhaut?“, beharrte Damp.

      „Sie haben ja Recht, dass mit Gudruns Geschichte was nicht stimmt. Aber können wir ihr das Gegenteil beweisen? Was nicht stimmt, kriegen wir hier auf der Insel nicht raus, wenn wir Gudrun Witt aufs Revier mitnehmen. Da haben wir gleich die Neuendorfer gegen uns. Die reden schon so nicht gern mit uns.“ Die Bewohner des südlichen Inseldorfes waren eine verschworene Gemeinschaft. Schon seit Jahrhunderten. Früher hatten sie in einer Fischerkommune, einer Art Genossenschaft miteinander gearbeitet und alles miteinander geteilt. Der Zusammenhalt war bis heute geblieben. Die Insulaner in Vitte und Kloster waren von einem anderen Schlag. Sie hatten sich immer als stolze freie Fischer gefühlt. Zwischen Neuendorf und Vitte schien eine unsichtbare Grenze quer über die Insel zu verlaufen. Oder wie sagte Malte Fittkau? „Neuendorf ist Ausland.“

      Aber Malte spielte in Rieders Überlegungen eine wichtige Rolle. „Ich habe eine andere Idee. Wir müssen Gudrun Witt beobachten und sehen, was sie tut.“

      „Na prima, wir sind ja auch auf der Insel so unsichtbar wie ein rosa Elefant“, entgegnete Damp und winkte ab.

      „Ich dachte an eine Art Spion“, erklärte Rieder.

      „Und wer soll das sein? Wollen Sie die Blohm von Rügen holen“, fragte Damp listig.

      „Keinen Fremden. Der fällt doch hier nur auf. Ist doch noch keine Saison. Ich dachte an Malte.“

      „Den Fittkau?!“, rief Damp aus. „Der quatscht doch alles aus.“

      „Hat er im Winter auch nicht getan“, erwiderte Rieder und bereute sofort seine Antwort. Malte Fittkau war Rieder im Winter bei seinem Undercover-Einsatz auf der Insel, wenn auch durch Zufall, auf die Schliche gekommen, hatte ihn aber gegenüber Damp nicht verraten. Deshalb war er auch nicht gut auf Fittkau zu sprechen.

      „Die suchen doch Leute, die den alten Fischerschuppen in Neuendorf entrümpeln. Da soll doch dieses neue Museum rein. Gleich da am Ortseingang und ganz in der Nähe vom Haus der Witts. Dafür könnte sich Malte doch melden und dabei ein Auge auf Gudrun werfen.“

      Damp schwieg, aber Rieder konnte fühlen, wie es in seinem Kollegen arbeitete. „Sie glauben, die Neuendorfer lassen einen aus Vitte ihre alten Sachen rausräumen? Träumen Sie weiter.“

      „Es kommt auf einen Versuch an.“

      Da hörten sie das Brummen eines Hubschraubers in der Luft. „Na endlich!“

      Holm Behm und sein Assistent Sascha buckelten die Koffer der Spurensicherung über den Deich. Der Polizeihubschrauber war weit hinter dem Deichende am kleinen Leuchtturm Gellen niedergegangen. Der Pilot hatte sich nicht getraut, in der Nähe des Boddenufers zu landen. Er fürchtete, beim Aufsetzen im moorigen Boden zu versinken. Doch auch am Leuchtfeuer war der Boden durch die Schneeschmelze weich und


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