Schwarzer Peter. Tim Herden

Schwarzer Peter - Tim Herden


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erzählte der Handwerker weiter. „Einer geht rein, kloppt die Wand auf, holt den Mist raus, dann komme ich, schraube die neuen Rohre rein, und zum Schluss müssen die Maurer und der Fliesenleger ran.“

      Claasen hatte sich mit einer Rohrzange bewaffnet und versuchte das kaputte Rohr abzuschrauben. Er umfasste die metallene Muffe mit der Rohrzange und versuchte sie zu drehen. Doch es war widerspenstig. Es tat sich nichts. Claasen begann heftig zu rütteln. Das Haus bebte. Rieder lief ins Bad und sah, dass sich an dem Loch, durch dass das Rohr von der Toilette in das kleine Bad führte, immer mehr Putz ablöste und ins Waschbecken fiel. Er eilte zurück und bot Claasen an, auf der anderen Seite der Wand gegenzuhalten. Claasen lehnte ab und würgte weiter. „So ein Schiet!“, brüllte er dabei. „Wie alt ist denn dieser Kladderadatsch? Das hat wohl noch der Kaiser eingebaut?“

      Rieder rannte wieder ins Haus. Die Putzbrocken wurden größer. „Hier fällt alles von der Wand!“, rief er.

      Claasen hielt ein. „Dann halt doch endlich mal gegen“, befahl er. Und wirklich. Mit gemeinsamer Kraft gab das Rohr seinen Widerstand auf und konnte abgeschraubt werden. Claasen trabte zu seinem Lieferwagen. Er holte einen mobilen Schraubstock heraus, um das neue Teil auf Maß zu schneiden. Rieder wollte nicht nur blöd danebenstehen. „Haben Sie … äh … habt ihr von der Inselbau auch das Haus von Gilde saniert.“

      „Haha“, lachte Claasen, ohne die Arbeit zu unterbrechen, hässlich auf. „Dem waren wir nicht gut genug.“ Er richtete sich auf, beugte den Rücken gerade und verzog dabei vor Schmerz das Gesicht. „Der hat sich alles von Berlin kommen lassen. Maurer, Klempner und was weiß ich. Völlig gegen die Regel. Wer hier baut, baut mit uns. Aber bei Gilde Pustekuchen.“ Er spuckte aus. Für einen Hiddenseer das höchste Maß der Verachtung. Schlimmer als nur den Gruß zu verweigern.

      Mit dem zugeschnittenen Rohr ging Claasen in die Toilette und begann es einzubauen. „Ein Theater hat der Gilde gemacht. Alles wurde abgesperrt mit großen Wänden, damit keiner reingucken kann. War aber trotzdem drin.“ Claasen grinste.

      Rieder wurde hellhörig. „Und?“

      „Schon alles gut gemacht“, räumte Claasen ein. „Die Wände gespachtelt, aber so glatt. Wahrscheinlich mit so einer Maschine. Da siehste keine Spur. Auch sonst alles vom Feinsten. Marmorfliesen in Bad und Küche, Eichenparkett in allen Zimmern.“ Claasen zwinkerte verschwörerisch mit einem Auge. „Viel Freude wird man daran nicht haben bei dem Sand hier. Da kannste die Füße abtreten, wie du willst. Der Sand ist wie ein Reibeisen, zieht schöne kleine Furchen. Kommt dann die Feuchtigkeit von Herbst bis Frühjahr, dann gute Nacht.“

      Er klopfte an das eingebaute Rohr. „So fertig. Jetzt kannste mal das Wasser anstellen.“

      Rieder langte in den Schacht vor dem Haus und drehte den Hahn auf. Er hörte es rauschen und schreckte hoch. Doch Claasen hatte nur den kleinen Wasserhahn über dem Waschbecken in der Toilette aufgedreht. Dann probierte er die Spülung der Toilette aus. „Alles klar. Rechnung folgt.“ Claasen hängte sich die Werkzeugtasche um und ging zum Lieferwagen. Rieder lief ihm hinterher, zog seine Geldbörse heraus und wollte ihm einem Zwanzig-Euro-Schein geben. „Nee, lass mal Meister. Die Zeiten sind vorbei.“

      Rieder hielt ihm aber weiter den Schein hin. „Dann für die Kaffeekasse.“

      „Dann will ich mal nicht so sein.“ Er nahm den Schein, schob seine Tasche in den Wagen und deutete auf eine ganze Ladung von Kartons. „Schon voll munitioniert für die große Schlacht. Rohre, Hähne, Kacheln und was weiß ich. Ist das beste Wochenende im ganzen Jahr. Da rollt der Rubel. Unsere Frauen schicken wir zur Verwandtschaft nach Rügen, denn dann geht’s rund von früh bis spät.“

      Claasen reichte Rieder die Hand und stieg ein. „Tja, dem Gilde hat das ganze Geld auch nicht geholfen“, philosophierte er, während er in der Brusttasche seiner Latzhose nach dem Autoschlüssel suchte. „Sterben muss jeder. Und nun hat es ihn auch erwischt. War ja auch alt genug“. Damp kam auf der Gegenseite mit dem Streifenwagen angefahren. Kein Blaulicht. Es konnte also nicht dringend sein. Damp hatte wieder die alte grüne Uniform an. Er ließ die Seitenscheibe herunter, winkte kurz Claasen zu, doch der erwiderte nicht seinen Gruß, sondern fuhr einfach los. Dann wandte sich Damp an Rieder: „Ein Toter liegt am Schwarzen Peter.“

       VII

      Besonders eilig schien es Damp nicht zu haben. Sonst würde er auf das Gaspedal treten, die Sirene einschalten und somit den Insulanern verkünden: Es ist was passiert. Aber heute fuhr er trotz Notruf ziemlich gemächlich Richtung Neuendorf. „Haben wir schon was über die Identität der Leiche?“, fragte Rieder.

      Damp schüttelte den Kopf. „Gudrun Witt hat angerufen. Danach bin ich gleich los.“

      „Und Möselbeck und die Rettungssanitäter?“

      Damp schlug sich an die Stirn. „Mensch, habe ich völlig vergessen!“

      Was war mit seinem Kollegen los, fragte sich Rieder erneut im Stillen und wählte die Nummer des Inselarztes.

      Möselbeck meldete sich. „Ich bin schon unterwegs“, rief er. „Gudrun Witt hat mich angerufen.“ Es waren laute Fahrgeräusche zu hören. Wahrscheinlich nutzte der Arzt seine neue Freisprecheinrichtung. Ein Erfolg von Damps neuer Bußgeldstrategie. Er hatte festgestellt, dass Telefonieren am Steuer – oder auf Hiddensee am Fahrradlenker – viel mehr an Bußgeld einbrachte als Fahren ohne Licht oder die mangelnde Fahrtüchtigkeit der Inselräder, nämlich das Doppelte. Dazu sogar noch einen Punkt in Flensburg. Für Damp war das eine ganz neue Liga. Punkte für Autofahrer, obwohl sie bis auf Möselbeck gar nicht beim Autofahren gegen die Verkehrsregeln verstoßen hatten. Jedenfalls machte Damp nun geradezu Jagd auf die telefonierenden Verkehrssünder. Den Inselarzt hatte er schon dreimal erwischt.

      „Wir treffen uns vor Ort.“ Damit beendete Möselbeck das Gespräch.

      „Ach übrigens, ich bräuchte Ostern die vier Tage frei“, erklärte Damp.

      „Könnte schwierig werden, wenn Gilde ausgebuddelt werden muss oder der Tote heute Probleme macht“, fügte Rieder nach einer kurzen Pause hinzu.

      „Ich denke, Gilde wird nicht ausgebuddelt“, erwiderte Damp. Die beiden Polizisten wechselten einen kurzen Blick. „Ihre Worte“, beschied Damp seinem Kollegen. „Ich brauche aber von Karfreitag bis Montag frei. Keiner kann von mir verlangen, dass ich an den Feiertagen arbeite.“

      So hatte Rieder seinen Kollegen noch nicht erlebt. Damp war ihm bisher immer als Polizist mit Leib und Seele erschienen. Er meckerte mal über seinen Chef in Stralsund. Aber wer tat das nicht. Damp war sicher auch keine Fleißmeise, wenn es nicht gerade um Verkehrskontrollen ging. Aber er hatte sich noch nie vor dem Dienst gedrückt, schon gar nicht, seit er Revierleiter auf Hiddensee war.

      „Also wie gesagt, von mir aus kein Problem, wenn nichts dazwischen kommt“, meinte Rieder, um die Diskussion zu beenden. Trotzdem hätte er gern gewusst, was hinter Damps Frage steckte. Was hatte er Ostern vor?

      Sie fuhren bereits durch Neuendorf. Möselbeck hatte mit seinem Jeep zu ihnen aufgeschlossen. Im Seitenspiegel sah Rieder, dass wenigstens er das Blaulicht eingeschaltet hatte. Rieder drückte den Knopf für das Sondersignal. Damp knurrte. „Muss ja nicht jeder gleich wissen, was los ist. Dann haben wir gleich die ganzen Gaffer am Hacken.“

      Rieder ging nicht darauf ein. „Wir sollten auch die Spurensicherung in Stralsund anrufen.“ Er begann in seinem Telefonspeicher nach der Nummer von Holm Behm zu suchen, dem Chef der Stralsunder Spurensicherung.

      „Warum? Muss ja nicht jeder Tote gleich ermordet worden sein“, wandte Damp barsch ein. Rieder blickte erneut zu ihm hinüber. Sein ganzes Gesicht war jetzt angespannt, er knirschte mit den Zähnen. Rieder antwortete nicht. Er steckte das Telefon ein, und beide schwiegen. Am Strandcafé am Ortsende von Neuendorf bogen sie nach links auf den Deichweg ein. Rieder schaute zu dem verlassenen Haus. Er spürte einen Stich in der Brust. Bis zum Herbst hatte hier Charlotte Stein die Geschäfte geführt. Sie waren ein Paar gewesen, doch Charlotte wollte mehr als nur eine Liebe ohne Verpflichtungen. Sie hatte


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