Schwarzer Peter. Tim Herden

Schwarzer Peter - Tim Herden


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ist diese Pflegerin?“, ging Rieder dazwischen.

      „Anna Rese“, antworteten beide zugleich.

      Rieder drehte sich zu Damp um. „Hausärztlicher Pflegedienst“, klärte ihn sein Kollege auf.

      „Hat die Pflegerin einen Arzt geholt? Es musste doch ein Totenschein ausgestellt werden.“

      „Ja, hat sie.“

      „Kann ich den Totenschein mal sehen?“

      Martina Gilde stand auf und verschwand aus dem Zimmer. Als sie draußen war, beugte sich Schlick etwas vor. „Ich habe Beweise, dass sie dafür gesorgt hat, dass Werner sterben musste. Das ist Totschlag. Mindestens.“

      Rieder beugte sich auch vor. „Vielleicht aber auch nur unterlassene Hilfeleistung. Kommt auf die Beweise an. Also, was haben Sie gegen Frau Gilde in der Hand?“

      Statt zu antworten, legte Schlick den Finger auf den Mund. Martina Gilde kehrte ins Zimmer zurück. Sie reichte Rieder den Totenschein. Der Polizist überflog das Formular und gab es Damp. Am 30. März, 20.45 Uhr, hatte Dr. Möselbeck den Tod von Werner Gilde festgestellt. Todesursache: Herzversagen. Möselbeck war ein verantwortungsvoller Arzt. Mehrfach hatte Rieder erlebt, wie er bei ungeklärten Todesfällen auf der Insel das Ausstellen eines Totenscheins verweigert und stattdessen eine Autopsie durch die Rechtsmedizin in Greifswald angeordnet hatte. Meistens zu Recht.

      „Um die Todesursache zu überprüfen, müsste eine Exhumierung mit anschließender Obduktion durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden“, klärte Rieder die Hinterbliebenen auf. „Dafür müssen aber triftige Gründe vorliegen. Ich kann sie aufgrund des Totenscheins nicht erkennen. Sie können natürlich Anzeige erstatten, und wir müssten dann Ermittlungen aufnehmen, die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft übergeben, und die entscheiden dann …“

      „Ich dachte, dazu sind Sie hier“, erwiderte die Witwe.

      Rieder schaute zu Schlick. Der nickte. „Gut, dann werden wir jetzt Ihre Anzeigen aufnehmen.“ Er bat Damp, den Polizeilaptop aus dem Auto zu holen. Damp eilte hinaus.

      Während Rieder mit Martina Gilde und Richard Schlick schweigend auf die Rückkehr Damps wartete, stand er auf und betrachtete näher die Bilder im Raum. Eines der Porträts zeigte einen jungen Mann. Er hatte einen runden, fast kahlen Kopf. Seine Augen blickten ernst. Zu seinem dunklen Anzug trug er eine Fliege. Rieder fielen besonders die Hände auf mit ungewöhnlich langen, feingliedrigen Fingern. Trotz des strengen Blicks wirkte der Mann gelangweilt. Auch dieses Bild war von Elisabeth Büchsel signiert. „Das ist mein Vater“, klärte Richard Schlick die Polizisten auf. „Das Bild ist in den frühen fünfziger Jahren entstanden, nachdem er die Firma übernommen hatte.“

      Aus den Augenwinkeln versuchte Rieder Ähnlichkeiten des Vaters mit dem Sohn zu entdecken. Er fand allerdings keine. Im Hintergrund des Bildes war ein kleiner Schriftzug. „Erfolg haben ist Pflicht“, entzifferte er und sprach die Worte dabei leise vor sich hin.

      „Der Leitspruch unseres Unternehmens“, meldete sich Richard Schlick, der offenbar Rieder gehört hatte.

      „Und? Haben Sie Erfolg?“

      „Wir können nicht klagen.“ Schlick setzte sich auf und warf sich wie ein Sänger in Pose. Er begann er einen Vortrag über den wirtschaftlichen Erfolg der Firma Gildemeister mit Backmischungen und Tütensuppen. Martina Gilde verdrehte immer wieder die Augen, wenn sie nicht ausgiebig die Qualität des Nagellacks auf ihren Fingernägeln betrachtete.

      „Gildemeister ist im Osten der Marktführer in diesem Segment. Im Westen läuft es auch nicht schlecht. Immerhin muss man bedenken, dass wir 1990 noch einmal bei null angefangen haben …“

      Damps Rückkehr beendete Schlicks Solo. Die Polizisten nahmen die gegenseitigen Anzeigen auf.

      Am Ende bat Rieder darum, dass die Witwe und der Sohn am nächsten Tag ins Revier kämen, um die Formulare zu unterschreiben, damit sie an die Staatsanwaltschaft Stralsund weitergereicht werden konnten. Damp und er würden aber schon einige Vorermittlungen aufnehmen. „Deshalb möchte ich mir jetzt das Sterbezimmer ansehen. Aber vorher würde ich Herrn Schlick bitten, das Haus zu verlassen.“

      Richard Schlick sah ihn entsetzt an. „Wie bitte?“

      Um Rieders Anweisung zu unterstützen, hatte sich Damp erhoben. Trotz Gewichtsverlust machte seine Körpergröße immer noch ziemlichen Eindruck.

      „Und diese Frau?“ Schlick deutete mit dem Kopf zu Martina Gilde.

      Rieder zuckte mit den Schultern. „Was soll mit ihr sein? Sie kann hier bleiben. Es ist ihre Wohnung. Sie ist hier gemeldet.“

      „Aber wenn sie anfängt, Dinge verschwinden zu lassen? Ich glaube nicht, dass Sie einschätzen können, was das für Werte sind, die sich in diesem Haus befinden?“

      „Auch wenn wir beide in Ihren Augen nur Dorfpolizisten sind, Herr Schlick“, sagte Rieder völlig ruhig, „können Sie sich darauf verlassen, dass auch wir erkennen, dass es sich hier um eine sehr wertvolle Kunstsammlung handelt. Sicher gibt eine Inventarliste oder bei der Versicherung eine Aufstellung der Werke, so dass wir jederzeit überprüfen können, ob etwas fehlt. Wo finden wir Sie? Bleiben Sie auf der Insel?“

      „Ihr Ton gefällt mir nicht …“

      „Mir gefällt Ihr Ton auch nicht“, fiel ihm Rieder ins Wort. „Aber das tut auch nichts zur Sache. Also, wo finden wir Sie?“

      „Im ‚Hitthim‘.“

      „Danke.“ Rieder zeigte in Richtung Tür. Schlick stand wütend auf. Damp begleitete ihn hinaus.

      Das Sterbezimmer lag im Erdgeschoss. Es war, bevor es zur Pflegestation wurde, Gildes Arbeitszimmer gewesen. Rieder trat in einen hellen Raum. Auch hier waren die Wände mit Bildern vollgehängt, allerdings war es ein ganz anderer Stil. Keine Landschaftsmalerei, sondern expressionistische Zeichnungen, zumeist von Kirchen. Sehr kantig, fast schroff im Ausdruck. Rieder wusste sofort, dass es Bilder von Lyonel Feininger sein mussten, einem bekannten Vertreter des Bauhauses.

      „Das sind keine Originale? Oder?“, fragte er ungläubig die Hausherrin, die noch in der Tür stand.

      „Doch, doch“, antwortete sie. „Alle Bilder hier im Haus sind Originale.“ Sie wollte Rieder in den Raum folgen, doch er bat sie, draußen zu bleiben, damit nicht Spuren verwischt werden.

      „Allerdings, wenn ich mich hier so umsehe“, Rieder drehte sich einmal um die eigene Achse, „scheint hier jemand gründlich saubergemacht zu haben. Da ist es mit Spuren wohl eher Essig.“ Er deutete auf das Pflegebett in der Mitte des Zimmers. „Oder ist das Bett noch mit der Wäsche bezogen, in der ihr Mann zu Tode gekommen ist?“

      Martina Gilde schüttelte den Kopf. „Anna Rese hat alles frisch bezogen.“

      „Und wo sind die Laken und Bezüge, die davor drauf waren?“, fragte Rieder resigniert.

      „Im Müll.“

      „Im Müll“, wiederholte Rieder fatalistisch. „Die Sachen müssen wir für die Spurensicherung mitnehmen. Ebenso die Kleidung, die Ihr Mann bei seinem Tod trug.“

      „Die ist auch im Müll. Und der Müll wurde schon abgeholt.“

      Rieder konnte nur noch resigniert mit den Schultern zucken. „Tja, dann könnte es mit den Ermittlungen schwierig werden.“

      Damp kam zurück. „Er ist weg“, meldete er.

      Rieder schaute sich noch einmal um und wandte sich dann an die Witwe. „Sie haben doch sicher eine Inventarliste von diesen ganzen Kunstwerken?“

      „Also ich weiß gar nicht, ob Werner so etwas …“

      „Wir brauchen gar nicht lange zu reden“, erwiderte Rieder völlig gelassen. „Entweder Sie geben mir die Liste, oder Sie müssen auch das Haus verlassen.“

      „Oberste rechte Schublade im Schreibtisch. Der Schlüssel liegt in dem Behälter für die Stifte.“

      Rieder


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