Schwarzer Peter. Tim Herden

Schwarzer Peter - Tim Herden


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anderen Künstlern kannte er nur noch Henni Lehmann dem Namen nach. Aber Katharina Bamberg, Elisabeth Andrae, Dorothea Strohschein, Clara Arnheim, Käthe Loewenthal und Julie Wolfthorn waren ihm völlig unbekannt.

      Martina Gilde hatte Rieders Staunen bemerkt. „Mein Mann war Kunstsammler. Seit seiner frühen Jugend. Besonders hatten es ihm die Malerinnen des Hiddenseer Künstlerinnenbundes angetan. Wie Elisabeth Büchsel. Aber das haben Sie ja schon in der Halle und oben gesehen. Das hier“, dabei zeigte sie auf die Bilder in Gildes Arbeitszimmer, „war Werners Refugium und diese Bilder von Feininger sein ganz besonderer Schatz. Aus Feiningers Weimarer Zeit am Bauhaus. Unter diesen Bildern arbeitete Werner, wenn wir hier auf Hiddensee waren. Sie inspirierten ihn. Mit Blick auf die Bilder ist er auch gestorben.“ Sie wandte sich ab. Ihre Schultern zuckten. Mit der rechten Hand drückte sie über der Nasenwurzel auf ihre geschlossenen Augen. „Oder ermordet worden“, stieß sie noch hervor. Rieder gab Damp ein Zeichen. Er wollte endlich gehen.

      Als sie beim Polizeiauto ankamen, lehnte sich Damp erschöpft an den Wagen. Er atmete tief aus. „Danke, dass Sie gekommen sind. Die beiden haben mich echt geschafft.“

      Rieder ahnte, wie schwer Damp diese Worte gefallen waren. „Da nicht für. Ich denke, hier geht es nur ums Erben. Der Sohn hat Angst, dass die junge Stiefmutter alles erben könnte. Umgekehrt genauso. Die brauchen nicht uns, sondern Gildes Notar plus Testament.“ Er lehnte sich neben Damp ans Auto und schaute in den Himmel. „So ein Unternehmen wird schon seinen Wert haben, auch wenn es nur Backpulver und Tütensuppen herstellt. Und dann diese ganzen Bilder. Da kommt was bei rum.“ Dann schüttelte er kurz den Kopf. „Aber diese Anzeigen werden im Sande verlaufen.“

      „Und was heißt das nun?“, fragte Damp.

      Rieder rieb sich das Kinn. „Wir machen Dienst nach Vorschrift, besuchen zur Sicherheit Möselbeck und hören uns seine Version von Gildes Tod an, nehmen ein Protokoll auf und schicken danach den Kram nach Stralsund. Sollen die entscheiden, was passieren soll.“

      Rieder öffnete die Beifahrertür des Streifenwagens, doch als er sich reinsetzen wollte, hielt er noch einmal inne. „Rufen Sie sicherheitshalber mal Bökemüller an. Wäre gut, wenn er nicht aus der Zeitung erfährt, was sich hier abgespielt hat.“

      Damp hatte bei Rieders letzten Worten aufgehorcht. Er sollte den Polizeidirektor anrufen? Er wurde misstrauisch. Verbarg sich dahinter irgendein Trick von Rieder? Er lief um den Wagen und beugte sich zu Rieder herunter, der inzwischen eingestiegen war. „Sie haben doch eigentlich die besseren Beziehungen zu Bökemüller.“

      „Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie hier der Polizeichef auf der Insel.“ Er streckte sich auf seinem Sitz aus. „Abgesehen davon, dass ich heute meinen freien Tag habe, waren Sie auch Augenzeuge bei der Beerdigung und haben alles hier in der Villa mitbekommen. Sie können Bökemüller einen viel besseren Eindruck vermitteln.“

      Sie schauten sich beide für ein paar Sekunden stumm an. Dann nickte Damp.

      „War das eigentlich eine Feuer- oder Erdbestattung?“, fragte Rieder.

      „Mit Sarg. Warum wollen Sie das wissen?“

      „Falls wir den alten Herrn wieder ausbuddeln müssen.“

       III

      Damp hatte den Polizeiwagen hinter dem Hotel „Hitthim“ geparkt. Er wählte die Nummer von Bökemüllers Sekretariat. „Der Chef hatte Ihren Anruf schon früher erwartet“, verkündete unheilvoll die Vorzimmerdame des Polizeidirektors. Es dauerte mindestens eine Minute, bis er endlich durchgestellt wurde. Die eintönige, sich wiederholende Tonfolge der Warteschleife war für Damp wahre Folter.

      „Mensch, Damp, was ist das wieder für ein Mist“, meldete sich sein Vorgesetzter. „Hier klingeln schon seit Stunden die Telefone. Warum muss ich aus dem Hiddensee-Forum im Internet erfahren, was bei Ihnen los ist? Hätten Sie das nicht verhindern können?“

      „Wie denn?“, platzte Damp heraus. „Wir hatten alle Hände mit der Witwe und dem Sohn zu tun.“

      Bökemüller ging nicht darauf ein. „Aber was ist denn nun Stand der Dinge?“

      Damp berichtete über die Vorgänge auf dem Friedhof, dem Gespräch mit Gildes Hinterbliebenen und von den Anzeigen.

      „Und was meint Rieder dazu?“ Die Frage versetzte Damp einen Stich. Zählte denn sein Urteil gar nicht?

      „Der glaubt nicht, dass es zu Ermittlungen kommt.“

      „Hm“, machte Bökemüller. „So wie das jetzt hochkocht, müssen wir der Sache nachgehen. Der Gilde war ein wichtiger Mann. Eine Fabrik mit über zweihundert Angestellten. Die einzige Fabrik auf Rügen.“

      „Also wieder ausgraben?“

      „Wieso ausgraben? Sie haben doch wohl verhindert, dass Gilde eingegraben wurde?“

      Zur gleichen Zeit stand Stefan Rieder auf dem Hiddenseer Inselfriedhof in Kloster. Er sah dem Friedhofsgärtner Tobias Zion zu, wie er säuberlich den frischen Grabhügel über Gildes letzter Ruhestätte glatt strich. Zion war wie immer ganz in schwarz gekleidet und schien die personifizierte Trauer zu sein. Schwarzes Kopftuch, schwarze Jeans und schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „live fast, die young“. Angesichts des Alters des Toten war es aus Rieders Sicht nicht ganz passend. Aber es entsprach Zions Lebensphilosophie. Zion fühlte sich mehr dem Tod als dem Leben zugeneigt, obwohl er erst Ende zwanzig war. Er hasste die Sonne und das Tageslicht, liebte die Dunkelheit und den Mond. Zion lebte seit einigen Jahren auf der Insel. Der frühere Inselpfarrer Schneider hatte ihn als Friedhofsgärtner eingestellt und dafür gesorgt, dass er die alte Gärtnerei in Kloster pachten konnte. Allein von der Grabpflege und den Beerdigungen hätte Zion nicht leben können. Er zog in den Gewächshäusern und auf den Beeten der Gärtnerei Schnittblumen und frisches Gemüse. Beides verkaufte er über die Supermärkte in Kloster und konnte davon gut leben. Auch nach Schneiders tragischem Tod vor einem halben Jahr hatte der neue Inselpfarrer Laube ihn weiter beschäftigt, gegen den Widerstand einiger Mitglieder aus dem Kirchenvorstand. Sie störte Zions Angewohnheit, nachts auf Gräbern Lichter anzuzünden und dann stundenlang auf dem Friedhof sehr schaurige dunkle Musik zu hören. Es gab Gerüchte, der sonst sehr zurückhaltende junge Mann würde dabei den Teufel anbeten. Das sei doch mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar, hatten einige im Kirchenvorstand geklagt. Aber Pfarrer Laube hatte ihnen entgegengehalten, er fühle sich auch für eine verlorene Seele verantwortlich.

      Gildes Grab befand sich im vorderen Teil des Inselfriedhofs. Dort waren die Ruhestätten der Hiddenseer Prominenz aus vergangenen Tagen. Gegenüber war das schlichte Holzkreuz für den früheren Inselpfarrer Arnold Gustavs, der über ein halbes Jahrhundert Seelsorger der Insulaner gewesen war. Ein paar Gräber neben Gilde hatte die Tänzerin Gret Palucca ihre letzte Ruhe gefunden. Auf dem schlichten Stein lagen Kiesel der Erinnerung. Neben Gildes Grabhügel türmten sich auf einem kleinen Wagen die Kränze und Gestecke. Rieder entzifferte die Texte auf den Schleifen. Nicht nur für Witwe und Sohn sollte Werner Gilde unvergessen bleiben, sondern auch für die Geschäftsführung der Gildemeister Holding, den Personalrat, die Abteilung Gildemeister Back und die Abteilung Gildemeister Suppen. Auch der Unternehmerverband und die Insel Hiddensee gaben mit großen Gebinden das letzte Geleit. Dazu kamen viele Sträuße. Kunstvoll versuchte Zion alles so auf und um das Grab zu platzieren, dass auch keine Schrift verdeckt war.

      „Vielleicht ist das vertane Liebesmüh“, unterbrach Rieder die Arbeit des Friedhofsgärtners. Zion hielt inne. „Ist nicht wahr, oder?“ Er richtete sich auf und sah Rieder an.

      „Die Angehörigen gönnen dem Toten noch nicht seine letzte Ruhe“, erklärte der Polizist.“

      „Habe ich schon mitbekommen“, erwiderte Zion und klopfte sich den Dreck von seiner Jeans. „So ein Theater am offenen Grab habe ich noch nicht erlebt. Sonst krachen sich alle erst beim Leichenschmaus.“ Er schüttelte den Kopf.

      „Wenn es dicke kommt, kannst du ihn wieder ausgraben.“

      Zion starrte kurz auf das Grab und zuckte dann mit den


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