Schwarzer Peter. Tim Herden

Schwarzer Peter - Tim Herden


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trat zur Seite, um Platz zu machen.

      „Tach, Björn, wie geht’s? Warst du wieder bei deinem Grab?“, sprach ihn Zion an. Der Mann blieb stehen.

      „Jo, hast schöne Blumen hingestellt. Danke.“

      Zion nickte. „Keine Ursache.“

      Mit der Krücke zeigte der Alte auf das frische Grab. „Und da liegt nun der Gilde?“

      „Jo. Heute begraben.“

      „Wurde auch Zeit.“

      Rieder blickte den alten Mann verwundert an. „Entschuldigung, wie meinen Sie das? Wurde auch Zeit?“

      Der Mann musterte den Polizisten. Sein Blick war dabei ein wenig verwirrt. Zion trat zu ihm. „Björn, das ist Kommissar Rieder von der Polizei.“

      „Polizei? Hm …“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Ihr kommt zu spät. Viel zu spät.“ Dann setzte er seinen Weg fort. Ohne ein weiteres Wort.

      „Wer ist das eigentlich? Gesehen habe ich ihn hier in Kloster schon öfter.“

      „Björn Just. Kommt jeden Mittwoch und Samstag von Stralsund hierher. Er besucht das alte Grab für den ,Unbekannten Seemann‘. Es liegt im oberen Teil des Friedhofs, auf dem Blauen Berg. Da sitzt er dann auf der kleinen Bank daneben ein paar Stunden und starrt auf den Stein. Früher hat er immer Blumen mitgebracht. Aber er hat es nicht so dicke. Nun stelle ich ihm immer einen frischen Strauß hin.“

      „Von Stralsund? Jeden Mittwoch und Samstag?“

      Zion nickte. „Selbst im Winter. Solange die Schiffe fahren.“

      „Und was will er an dem Grab?“

      „Keine Ahnung. Angeblich weiß ja keiner, wer da liegt. Nach ein paar Jahren auf der Insel würde ich eher sagen, alle Hiddenseer wissen es, aber keiner will es sagen.“

      „Und Björn Just?“

      „Der weiß es ganz sicher auch. Aber sobald man ihn fragt, schweigt er. Selbst das Meer hat mehr zu erzählen als Björn.“

       IV

      Rieder lief vom Friedhof am Pfaffenteich vorbei zum Hafen in Kloster. Dort wollte Damp auf ihn warten. Das Polizeiauto stand vor dem Supermarkt im Hafenweg. Damp kam aus dem Laden mit einer Flasche Wasser. Er setzte sie an und trank sie in einem Zug aus. Rieder ging auf ihn zu. „Gilde ist schon unter der Erde.“

      Damp starrte ihn kurz an. „So eine Scheiße!“, brüllte er und warf mit aller Kraft die leere Flasche in den gegenüberliegenden Garten. Dort stoben die Hühner mit lauten Gegacker auseinander, und ihr Hahn begann lauthals zu krähen.

      „Was können die Hühner dafür?“, fragte Rieder ungerührt über den Wutausbruch seines Kollegen.

      „Alles läuft schief“, klagte Damp. „Warum konnte Zion nicht warten?“

      „Zion hat nur seine Pflicht getan.“

      Rieder stieg über den Zaun und sammelte Damps Flasche ein. Damp trabte zum Polizeiauto und setzte sich hinein. Als Rieder zu ihm kam, saß er völlig apathisch da. Er hatte die Hände auf das Lenkrad gelegt, seinen Kopf zwischen den breiten Schultern eingezogen und starrte vor sich hin. „Bökemüller wird mich total rund machen, wenn er es erfährt.“

      Rieder zuckte mit den Schultern. „Ist jetzt auch nicht mehr zu ändern. Das löst sich bestimmt alles in Wohlgefallen auf“, versuchte er seinen Kollegen zu trösten. „Ich denke, Möselbeck wird schon genau hingeschaut haben, und alles ist korrekt mit Gildes Tod.“

      „Ihr Wort in Gottes Ohr. Der Chef sieht das ganz anders.“

      „Abwarten, der muss den Schein wahren und Aktivität heucheln“, meinte Rieder betont gelassen. „Ich hole mein Rad, und dann treffen wir uns in einer halben Stunde bei Möselbeck in seiner Praxis in Vitte.“

      Damp nickte, wirkte aber weiter unglücklich. Er wollte gerade den Motor anlassen, da entdeckte er Thomas Förster. Der Bürgermeister kam aus dem Hotel „Hitthim“. Als er die beiden Polizisten sah, winkte er kurz und lief auf sie zu. Damp stieg aus. „Ist die Party zu Ende?“

      „Eigentlich schon lange“, antwortete Förster, „nur die drei fanden kein Ende.“ Er deutete hinter sich. Aus dem Gebäude stolperten drei Männer. Zwei hatten ziemlich Schlagseite. Rieder kannte die beiden vom Sehen, wusste aber nicht ihre Namen. Den dritten erkannte Rieder sofort. Malte hatte es also noch zum Leichenschmaus geschafft und sich dafür, zu Rieders Überraschung, in einen schwarzen Anzug geworfen. Sonst trug er seine Fischeruniform. Sie sei für ihn so eine Art Dienstkleidung, hatte er Rieder erzählt. „Damit biete ich den Pensionsgästen ein wenig Inselfolklore.“ Allerdings war Malte nie Fischer gewesen. „Das ist gut fürs Geschäft. Die Leute erzählen dann zuhause, sie hätten die Insel ganz echt erlebt. Sie fühlen sich dann besser und kommen wieder. Das ist eine Art Paartherapie zwischen Gast und Gastgeber zum gegenseitigen Vorteil.“

      Als die drei nach ihren Rädern griffen, straffte sich Damp. Rieder wusste, sein Kollege nahm Witterung auf. Die hatten bestimmt mehr Alkohol als erlaubt intus. Rieder sah schon ins Damps Augen den Bußgeldrechner rotieren. Doch Malte sah Damp und verdarb ihm das Vergnügen. „Männer“, rief er, „wir sollten doch besser schieben. Lasst uns mal Richtung Deich gehen.“

      Die drei liefen los, aber Rieder ahnte, dass sie auf ihre Räder steigen würden, sobald sie auf dem Deichweg aus Damps Sichtweite waren. Da konnte ihnen Damp mit dem Polizeiwagen nicht folgen. Es gab zwar den Fahrweg unterhalb des Deichs, doch der war vom Schmelzwasser des Packeises auf dem Bodden noch völlig aufgeweicht. Der Streifenwagen würde unweigerlich steckenbleiben.

      „Wer war das?“, fragte Rieder den Bürgermeister.

      Als Thomas Förster Rieder etwas erstaunt ansah, fügte er noch hinzu. „Malte habe ich schon erkannt. Aber die anderen beiden?“

      „Der mit dem alten Strohhut ist Hans Kempe, der Inselmaler“, setzte Förster süffisant hinzu. „Der andere ist Karl Born. Der war mal Gildes rechte Hand, hat hier auf der Insel die Brotfabrik geleitet.“

      „Eine Brotfabrik?“, fragte Rieder irritiert. „Hier auf Hiddensee?“

      „Früher, zu DDR-Zeiten, gab es hier auf der Insel eine Brotfabrik“, klärte ihn der Bürgermeister auf. „Ich kenne es auch nur aus den Unterlagen. Komme ja auch nicht von der Insel. Die war übrigens genau gegenüber von deinem Haus im Wiesenweg. Dort, wo jetzt die Post-Appartements drin sind.“

      „Und wo sind die anderen Gäste abgeblieben?“, mischte sich Damp ein.

      „Wie auf der Flucht“, berichtete Förster. „Die meisten haben gleich das nächste Schiff genommen. Wundert mich nicht nach dem Eklat am Grab. Haben sich die beiden beruhigt?“

      Rieder und Damp schüttelten beinahe synchron ihre Köpfe. „Sie haben sich gegenseitig angezeigt“, klärte Rieder den Bürgermeister auf. „Wegen Mordes an Werner Gilde.“

      „Der soll ermordet worden sein?“, fragte Förster verwundert. „Der war doch steinalt.“

      „Trotzdem müssen wir sehen, was dran ist“, ergänzte Damp. „Ich werde heute noch die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft in Stralsund weiterleiten. Dort wird dann entschieden.“

      An Damps Geschäftston erkannte Rieder, dass sein Kollege gegenüber dem Bürgermeister klarmachen wollte, wer hier auf der Insel der Polizeichef sei. Wenn er es brauchte …

      Förster runzelte die Stirn. „Ich wäre dankbar, wenn es keine neuen Aufregungen auf der Insel gibt nach dem harten Winter und so kurz vor dem Saisonstart.“

      Das Klingeln von Damps Telefon unterbrach das Gespräch. Er schaute nur kurz auf das Display und ließ es dann weiter klingeln, bis sich offenbar die Mailbox meldete oder der Anrufer aufgelegt hatte. Rieder wunderte sich. Sonst ging Damp immer ran. Er bemerkte auch, wie Damp die Stirn runzelte und es


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