Der komplette Projektmanager. Roel Wessels
etwas anders aussehen als im klassischen Modell. Denn es ist nicht praktisch, im Voraus bereits alle Details auszuarbeiten, wenn während der Ausführung noch weitere Anpassungen erwartet werden. Details werden folglich erst dann ausgearbeitet, wenn die jeweilige Iteration auch wirklich beginnt. Der Fokus während der Projekteinrichtungsphase liegt daher auf der Erstellung einer übersichtlichen Liste von Funktionalitäten (dem Product-Backlog), einer Architektur, welche eine iterative Entwicklung zulässt, einer Abschätzung der Größe der Funktionalitäten aus dem Product-Backlog und eines Plans, der beschreibt, welche Funktionalität in welcher Iteration realisiert werden soll.
Abbildung 1.12 Agile Entwicklung und das Projektmodell
1.6 Was das &-&-& -Paradoxon für den Projektmanager bedeutet
Nach der Ausarbeitung von Agile möchte ich zusammenfassend mit der Bedeutung des &-&-& -Paradoxons für den Projektmanager abschliessen. Die Position des Projektmanagers hat sich in den letzten zwanzig Jahren sehr stark verändert. Ging es früher in erster Linie um die koordinierenden Fähigkeiten hinsichtlich der Planung und Ausführung, so ist der heutige Projektmanager explizit für die Realisierung des Projektergebnisses verantwortlich; ungeachtet der Komplexität des Auftrages oder der Reife des Projektumfeldes. Die Herausforderungen des &-&-& -Paradoxons spielen hierbei täglich eine Rolle: Mehr muss durch weniger erreicht werden, die Kontrolle über den Fortschritt muss in Kombination mit einer höheren Autonomie für Ihr Team erreicht werden und Sie müssen jederzeit ein klares Commitment hinsichtlich Zeit und Geld in Ihrem Projekt zeigen, und das trotz der vielen Unsicherheiten.
Als Projektmanager müssen Sie also auch bei Schwarze-Piste-Projekten und unter nicht idealen Umständen ein sehr gutes Ergebnis bringen. Und das fühlt sich manchmal ganz schön ungerecht an! Wenn das Projekt gut läuft, hören Sie nichts. Aber wenn es schiefläuft, dann können Sie das Gejammer schon meilenweit auf den Gängen und in den Meetings hören. Manchmal zu allem Überfluß von den Auftraggebern oder Vorstandsmitgliedern, die selbst garnicht nicht in der Lage sind, die Gründe des drohenden Misserfolges herauszufinden, da ihnen selbst die nötigen Kompetenzen fehlen. Die Erkenntnis, dass der gesamte Bereich des Projektmanagements eigentlich per Definition ziemlich ungerecht ist und dass andere genau dasselbe erleben, kann bereits eine erste Erleichterung sein. Es erleichtert ein erfrischendes Mit-den-Schultern-zucken und energiegeladen die Handlung auszuführen, die benötigt wird, um das Projekt dennoch erfolgreich werden zu lassen.
Funktionieren in einem Umfeld mit Mikromanagern
Wahrscheinlich sind Sie selbst kein Mikromanager, aber die Chancen sind groß, dass Sie in Ihrer beruflichen Karrieren einmal in einer Mikromanagement-Umfeld arbeiten müssen. Hiermit müssen Sie lernen umzugehen. Ein Weg, der recht heimtückische Fallen kennt.
Zum Beispiel brauchte ich eine ganze Weile, bis mir aufging, dass die meisten Projektmanagementinstrumente in den Organisationen eigentlich gar nicht als Hilfsmittel für den Projektmanager gedacht sind, sondern vielmehr als Mittel genutzt werden, um den Projektmanager zu kontrollieren. Denken Sie dabei an Finanzanalysen, die nur vollendete Ergebnisse zum Monatsende anzeigen können, anstatt Informationen zu liefern, auf die proaktiv reagiert werden könnte. Diese Erkenntnis war ein wichtiger Trigger für mich, um wirklich gut zu verstehen, was ich eigentlich benötigte, um Planning, Tracking und Control effektiv ausführen zu können. Seitdem bin ich weniger abhängig davon, was vorhanden ist, verwende nur, was meinen Projekten auch wirklich hilft und lasse mich nicht mehr so leicht von meinem eingeschlagenem Weg abbringen. Auf diesen Aspekt werde ich zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Buch etwas detaillierter eingehen. An dieser Stelle nur so viel: In einem Mikromanagement-Umfeld müssen Sie schneller und (politisch) klüger als Ihre Umgebung sein!
Haben Sie auch schon bemerkt, dass das bieten von Transparenz in einer kontroll-fixierten Organisation nach hinten losgehen kann? Wer kennt das nicht: Sie sind in einem Projektreviewboard-Meeting und es wird phrasenreich um den heißen Brei herumgeredet, bis Sie an der Reihe sind. Sie zeigen knapp und sachlich auf, dass mit dem aktuellen Plan aufgrund von verschiedenen Faktoren eine Verspätung von drei Wochen gemeldet werden muss. “Das ist ja nicht so schön, Herr Projektmanager. Und wie gedenken Sie Ihr Problem zu lösen?” Später hören Sie, dass andere Projektmanager, die keine aktuellen Datumserwartungen zur Fertigstellung genannt haben, keinen negativen Kommentar erhalten haben. Um es ganz klar zu sagen: Ich stehe voll und ganz hinter dem Credo der Transparenz, aber es geht wirklich darum, wie Sie dies umsetzen. Offenbar locken Informationen Reaktionen heraus, und das Gegenteil ist ebenfalls wahr. Wenn Sie Transparenz also positiv einsetzen wollen, dann müssen Sie schleunigst Ihre Naivität und reine Sachorientierung durch Sachverstand im Bereich von Führung und Beeinflussungsfähigkeiten ersetzen! Und Sie müssen sich ein dickeres Fell zulegen, beispielsweise indem Sie Ihre eigenen Ängste und Abwehrmechanismen kennenlernen! Kapitel 2 (Ihr agiler Inspirator) und Kapitel 4 (Der Faktor 10) werden Ihnen hierzu reichlich Hilfestellung geben.
Antizipieren Sie, was Sie bereits wussten
Ich beschreibe die Arbeitsumgebung des Projektmanagers nicht als ungerecht, um bei Ihnen Selbstmitleid oder eine gewisse Gleichgültigkeit zu erzeugen. Ganz im Gegenteil, ich benenne es explizit, weil das daraus resultierende Selbstmitleid sehr oft bereits unbewusst tief im Hinterkopf festsitzt. Dies blockiert dann den Willen, selber zu lernen und zu wachsen. Und wenn dies geschieht, dann machen Sie genau das, was viele Methoden ungewollt empfehlen: anderen die Schuld geben! Das Projekt verlief nicht wie gewünscht, da die Organisation dazu nicht bereit war oder weil die richtigen Instrumente und Systeme nicht implementiert waren, weil die Teammitglieder die Methoden nicht anwendeten, weil der Auftraggeber die Zielsetzungen immer wieder anpasste, etc.
Natürlich war es die Schuld der anderen... aber das wussten Sie ja bereits im Voraus.
Natürlich gab es viele Unsicherheiten... aber das wussten Sie ja bereits im Voraus.
Natürlich hatten Sie sowohl eine Frist als auch unzureichende Ressourcen... aber das wussten Sie ja bereits im Voraus.
Natürlich mussten Sie auf eigene Kosten zusätzliche Funktionalität implementieren und erhielten beim Überschreiten der Frist trotzdem einen auf den Deckel, aber... das wussten Sie ja bereits im Voraus.
Natürlich gibt der Lieferant an, dass alles pünktlich ankommen soll - bis es doch zu einer verspäteten Lieferung kommt... aber das wussten Sie ja bereits im Voraus.
Hören Sie einfach auf, den anderen die Schuld zu geben! Ergreifen Sie selbst die Initiative, um weniger vom dem abhängig zu sein, was anders laufen könnte als geplant! Machen Sie aktiv etwas aus dem “was Sie ja bereits im Voraus wussten” und antizipieren Sie dies im Projekt. Aber vor allem akzeptieren Sie nicht mehr von sich selbst, dass das bereits Bekannte Sie jedes Mal erneut überrascht und demotiviert. Wie Hockeycoach Marc Lammers es in seinem Buch Yes! A crisis (Lammers, 2010) treffend sagt: “Gewinner haben einen Plan, Verlierer eine Ausrede!”
Dies bringt uns zum roten Faden dieses Buches: von reaktiv zu proaktiv und hin zum Beeinflussen.
Zusammenfassung
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