Der komplette Projektmanager. Roel Wessels
per se richtigen Einflugwinkel.
Erwartungen erwecken Sie sofort
Ich bin der Meinung, dass sich die meisten Projektmanagementmethoden eher entsprechen, als dass sie voneinander abweichen. In Abhängigkeit von der Arbeitsdomäne und Vision haben sie einen anderen Schwerpunkt, aber hinsichtlich des Engagements können sie wunderbar aufeinander projiziert werden. Und das ist auch gut so, denn miteinander zusammenarbeitende Organisationen verwenden oft unterschiedliche Projektmanagementmethoden, was nicht zu einem Hindernis bei der Zusammenarbeit und Bewältigung des Gesamtprojekts führen sollte.
Die meisten Projektmanagementrichtlinien sind sich auch über den Zeitpunkt einig, an dem der Projektmanager offiziell Commitment hinsichtlich benötigter Zeit, Budget, Mittel, etc. zeigt. Obwohl die internationale Kompetenzrichtlinie der IPMA in diesem Punkt nicht explizit ist, kann uns der globale ICB4 Standard als Vorlage dienen. Dieser definiert, innerhalb der Kompetenz Plan and control, dass sich dieser Zeitpunkt nach Abschluss der Projekteinrichtungssphase befindet, als Teil des Meilensteins Decision to fund. Bei PRINCE2 zeigen Sie formell Ihr Commitment während der Ablieferung der Projektinitiierungsdokumente nach Abschluss der Initiierungsphase. Zu diesem Zeitpunkt wird der Projektmanagementplan nämlich als eine Art Vertrag fertiggestellt und genehmigt, so dass die Definitionsphase des Projektes abgeschlossen ist und die Ausführungsphase beginnen kann. Gegenseitige Verpflichtungen werden vom Auftraggeber und Auftragnehmer formell aufgezeichnet.
Die traditionellen Projektmanagementmethoden gehen also davon aus, dass die Aktivitäten der Definitionsphase dazu geführt haben, dass der Faktor Unsicherheit so weit minimiert wurde, dass Klarheit hinsichtlich des Projektbudgets, der Dauer, etc. besteht. Der Projektmanagementplan ist fertig und stabil, die “Denkphase” ist abgeschlossen und es kann losgehen. Wir wissen jedoch, dass die Praxis hartnäckiger ist und dass nach Abschluss der Definitionsphase oft noch erhebliche Unsicherheiten überbleiben. Gründe hierfür sind beispielsweise:
◾ Das Projektziel ist undeutlich oder ändert sich während des Projekts.
◾ Es ist zu wenig Wissen über Lösungsrichtungen bekannt, um vorab einen Plan erstellen zu können: Learning by doing während der Ausführungsphase.
◾ Die Organisation nimmt sich nicht die Zeit, alle Schritte der Definitionsphase zu durchlaufen und beginnt sofort mit der Ausführungsphase.
◾ Es ist nicht genügend Entschlussfähigkeit vorhanden, um Entscheidungen in Bezug auf Projektumfang, Lösungsrichtungen oder den Einsatz von Ressourcen zu fällen.
Ein Projektmanager muss also oft Commitment zeigen, obwohl es dafür eigentlich noch “zu früh” ist. Die Definitionsphase zu verlängern kann sicherlich unterstützen, aber auch dann bleiben oftmals noch Unsicherheiten bestehen. Und es ist immer die Frage, ob Ihnen der Auftraggeber diese zusätzliche Zeit gibt. Dafür kann es praktische Gründe geben: Z.B. das Enddatum des Projektes ist festgelegt, wodurch eine längere Bearbeitungszeit durch die Definitionsphase automatisch bedeutet, dass weniger Zeit für die eigentliche Ausführungsphase besteht. Wenn dann nicht sofort Commitment seitens des Projektleiters gezeigt wird, wird die Geduld des Auftraggebers enorm strapaziert. Oder es kann sich um einen politischen Grund handeln: Der Auftraggeber weiß eigentlich selbst, dass es so wie verlangt nicht geht, aber dennoch will er es nicht akzeptieren. Das führt Sie in ein umso größeres Dilemma: Steigen Sie in das Spiel ein oder nicht?
Vielleicht ist die Wichtigkeit des Augenblicks, an dem Sie Commitment zeigen, sowieso relativ. Denn Commitment zu zeigen können Sie zwar timen, das Wecken von Erwartungen jedoch nicht. Ich spreche regelmäßig mit Projektmanagern, die über die Tatsache empört sind, dass der Auftraggeber schon während der Definitionsphase Rückschlüsse über die Dauer und das Budget zieht, ohne dass dies formell kommuniziert worden ist. Ein logischer Gedankengang und formell haben sie Recht. Jedoch, auch wenn es kein offizielles Commitment gibt, werden Erwartungen vom ersten Moment an, ob bewusst oder unbewusst, geweckt. Und mögen diese Erwartungen auch rein informell sein, so ist sich der Auftraggeber dieses Stautuses meist nicht bewusst oder ist sich zumindest keiner Schuld bewusst. Wird den Erwartungen nicht entsprochen, so folgt die Enttäuschung auf dem Fuße. Enttäuschte Auftraggeber sind weniger flexibel und kooperativ, was von Anfang an die Gefahr einer Abwärtsspirale verursacht, noch bevor mit dem eigentlichen Projekt begonnen wurde. Und genau das wollen Sie als Projektmanager doch sicherlich nicht!
Für den Projektmanager beginnt also das Erwartungsmanagement schon von erster Sekunde des Projektes an. Und dies ist der Augenblick, an dem sehr viel noch undeutlich ist. Die Fähigkeit, während der Phase der Unsicherheit dennoch Deutlichkeit über den Projektumfang und die Ablieferungsdaten zu schaffen, ist also für einen Projektmanager von entscheidender Bedeutung. Egal, ob es sich um das formelle Zeigen von Commitment handelt oder um das informelle Verarbeiten von Erwartungen.
Abbildung 1.3 Das Wecken von Erwartungen beginnt bereits weit vor dem Moment des Zeigens von Commitment
Cynefin
Unsicherheiten bezüglich Ihres Projekts machen es schwierig Commitment zu zeigen. Das sehen Sie sicherlich ein, auch wenn es sehr subjektiv erscheint. Denn wie komplex ist Ihr Projekt eigentlich? Ist der Grad der Unsicherheit tatsächlich so hoch, dass kein stabiler Plan kreiert werden kann, oder liegt es an Ihrem eigenen Unvermögen? Wie halten Sie den Auftraggeber in dieser Phase bei der Stange? Welcher Ansatz passt zur Komplexität Ihres Projekts?
Eine Antwort auf die Frage nach der Komplexität Ihres Projektes kann das Cynefin-Modell (sprich [kih-neh-vin]) bieten (Snowden, 2007). Dieses Modell wurde von Professor Dave Snowden entwickelt und ist benannt nach einem walisischen Wort mit der Bedeutung: “Mehrere Faktoren aus unserer Umwelt und in unseren Erfahrungen beeinflussen uns in einer Weise, die wir nie ganz verstehen können.” Das Cynefin-Modell hilft festzustellen, unter welchen Typ von Komplexität und Unsicherheit das Projekt fällt. Darüber hinaus gibt es eine gute Indikation, welche Aktionen und Lösungsformen hierzu passen können und welche nicht. Dadurch wird es auch zu einem Decision-Making-Instrument, das bei der Auswahl des am besten geeignenten Projektansatzes unterstützt.
Snowden teilt Situationen und Probleme in vier Quadranten ein (Abbildung 1.4), mit einem passenden Stufendiagramm für jeden Quadranten:
1. Einfach (Erkennen
2. Kompliziert (Erkennen
3. Komplex (Probieren
4. Chaotisch (Handeln