Der komplette Projektmanager. Roel Wessels

Der komplette Projektmanager - Roel Wessels


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erfordert. Die Urheber der Business Balanced Scorecard (BBSC), Robert Kaplan und David Norton, warnten bereits mit dem Wort balanced, dass das Wählen von KPIs eine Aufgabe ist, die Präzision verlangt (Kaplan und Norton, 1996). So muss eine Verbindung zwischen den Indikatoren unterschiedlicher Perspektiven (bei der BBSC die finanzielle, kundenspezifische, interne Prozess- und Lern- und Wachstumsperspektive) hergestellt werden, um sicherzustellen, dass die einzelnen KPIs tatsächlich Ergebnisse für die Organisation produzieren. Darüber hinaus müssen KPIs von einem komplementären KPI begleitet werden, um sicherzustellen, dass sich der Prozess auf der richtigen Bahn befindet. Ein bekanntes Beispiel ist das Call Center. Ein wichtiger KPI ist hier die First call resolution rate, die angibt, wie viel Prozent der Fragen sofort beantwortet werden. Allerdings sagt die Berechnung dieses KPIs nichts darüber aus, wie effizient die Organisation die Kundenfragen beantwortet hat. Indem ein komplementärer KPI hinzugefügt wird, beispielsweise die “Dauer des Gesprächs”, kann jedoch erkannt werden, wie effizient Fragen beantwortet wurden.

      Die Schwierigkeit ausgewogene KPIs zu definieren, kombiniert mit der Tatsache, dass die KPI-Interpretation ein Mittel ist, das Vertrauen wachsen aber auch Mistrauen schaffen kann, zeigt, dass die Festlegung einer guten Reihe von Messinstrumenten (KPIs) nicht während einer Kaffeepause geregelt werden kann, sondern viel Sachverstand und Geschick erfordert!

       Diminisher und Multiplier

      Der Balanceakt zwischen “Sowohl die Kontrolle behalten als auch dem Team Freiraum lassen” ist ein Thema, mit dem sich viele Menschen ihr ganzes Leben lang beschäftigen. Und das ist keine Schande. Der amerikanische Wachstums-Guru Verne Harnish vertieft sich seit Jahren in die Grundprinzipien, die nötig sind, um ein Unternehmen schneller wachsen zu lassen. In seinem Buch Wachstum durch Führung: Die 10 entscheidenden Management-Prinzipien (Harnish, dt. Ausgabe 2012) erklärt er - was Sie nicht überraschen sollte - dass man nur skalieren kann, wenn man delegieren kann. Er fügt hinzu, dass 96% aller Unternehmen weniger als zehn Mitarbeiter haben, ein Großteil davon weniger als drei. Als einen der Gründe hierfür nennt er, dass die meisten Unternehmer nicht wissen, wie sie den ersten Schritt hin in Richtung Delegieren-von-Verantwortungsbereichen machen sollen.

      Eine andere Perspektive auf dieses &-&-& -Paradoxon wird von der amerikanischen Führungsexpertin Liz Wiseman in ihrem Buch Multipliers: How the Best Leaders Make Everyone Smarter (Wiseman, 2015) aufgezeigt. Sie beschreibt in Ihrem Buch, mit welchen Methoden und Techniken der Manager die Ergebnisse seines Teams verdoppeln kann. Obwohl wir in Kapitel 4 den “Faktor 10” besprechen werden, ist diese Verdopplung sicherlich schon eine Bereicherung. Wiseman zeigt anhand einer Analyse von 150 Managern auf, dass viele Organisationen nicht wirklich an einem Mangel an Personal oder anderen Mitteln leiden, sondern dass es sich hierbei oft nur um die Konsequenz der Unfähigkeit handelt, effektiven Zugang zu den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erhalten. In der Praxis würde die Mehrheit der Manager, die sie Diminisher nennt, ihren Mitarbeitern zu wenig zutrauen und selbstständig ausführen lassen. Denn Sie legen eine Verhaltensweise an den Tag, die die Intelligenz und Kreativität ihrer Mitarbeiter beschränkt anstatt Sie zu fördern. Die Multiplier jedoch holen das Beste aus ihnen heraus! Sie sind der Managertyp, für den Mitarbeiter gerne durchs Feuer gehen. Sie wissen verborgene Talente zu erkennen und verstehen die Kunst des Vertrauens in ihre Mitarbeiter.

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      Auch wenn Sie denken, dass Sie alles gut im Griff haben, wird jeder von Ihnen bewusst oder unbewusst manchmal auch Diminisher-Verhalten gezeigt haben. Manager mit viel Drive gemeinsam Erfolge zu verbuchen, können beispielsweise durch ihre Energie und Begeisterung unbewusst andere davon abhalten, selbst die Initiative zu übernehmen. Wiseman nennt sie Accidental Diminishers. Vielleicht bringen Ihnen diese Einsichten zunächst noch nicht viel und erscheinen Ihnen nicht bahnbrechend. Die fünf Disziplinen jedoch, in denen sich Multiplier von Diminishern unterscheiden, können Ihnen helfen, Ihre Perspektive zu wechseln und auf diese Weise den toten Winkel in Ihrem eigenen Verhalten aufzuspüren (Abbildung 1.2). Weiterhin zeigt Wiseman auch auf, dass jeder Multiplier-Verhalten erlernen kann. Und das klingt doch ermutigend!

      Wer hat jemals einen Auftrag abgelehnt, weil dieser nicht hinreichend deutlich dargestellt werden konnte? Wenn ich Projektmanagern diese Frage stelle, erhalte ich die unterschiedlichsten Reaktionen. Einige sind sehr entschlossen und geben an, dass ein undeutlicher Auftrag keine Grundlage für ein erfolgreiches Projekt sei. Andere zucken mit den Schultern und antworten, dass ein vages Beschreiben des Umfangs zu Beginn eines Projekts das Standardrezept in ihrem Unternehmen ist. Sie haben es akzeptiert und sich daran gewöhnt. Das dritte &-&-& -Paradoxon “Sowohl Unsicherheiten erkennen als auch Commitment zeigen” betrifft viele Projektmanager. Commitment bedeutet, sich trotz aller Unsicherheiten (und dem Riskieren Ihrer persönlichen Integrität) vorwärts zu bewegen und hierdurch die richtigen Erwartungen bei allen Stakeholdern zu wecken.

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      Illustration Haben Sie jemals ein Projekt an einen Auftraggeber zurückgegeben?

      Die Kultur der jeweiligen Organisation scheint bei der Beantwortung dieser Frage eine wichtige Rolle zu spielen. Die Aussage “Den Auftrag zurückzuweisen wird bei uns nicht gerne gesehen!” kommt regelmäßig vor. In vielen Unternehmen wird das Zurückweisen des Projekt-Auftrages als Versagen angesehen. Dennoch frage ich mich manchmal, ob diese Sicht der Dinge wirklich zutreffend ist oder ob es sich hierbei häufig nicht nur um eine persönliche Wahrnehmung der Projektmanager handelt, die diese daran hindert es dann überhaupt erst zu versuchen. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Buch sehen, dass nichts nur schwarz oder weiß ist und dass es immer Möglichkeiten gibt, diese Situationen trotz erwarteter Widerstände in Ordnung zu bringen und dabei beeinflussend aufzutreten. Dabei geht es also insbesondere um das Wie des Zurückgebens eines Auftrags. Und das führt oft zu interessanten Wendungen! Aber auch ganz unabhängig von Ihrem eigenen Engagement spielt es eine große Rolle, ob Ihr Auftraggeber eher ein Diminisher oder ein Multiplier ist. Ein Diminisher wird das Zurückweisen des Auftrages als Arbeitsverweigerung sehen. Der Multiplier wird es andererseits zu schätzen wissen, dass Sie mit offenen Karten spielen. Kennen Sie Ihre Pappenheimer.

      Ich erinnere mich, dass ich die Möglichkeit des Zurückweisens eines Auftrages als wahren Eye-Opener erfahren habe, als ich bei einem meiner ersten Arbeitgeber begeistert mit meinem Projekt beginnen wollte. Es handelte sich um einen Arbeitgeber, mit einer ausgewiesenen Expertise im Bereich des Projekt- und Qualitätsmanagements. Ein Quality Assurance Officer, der mit der Unterstützung des Projektleiters im Bereich Qualität beauftragt war, sagte damals zu mir: “Wenn Sie keine User-Requirements-Specification vom Auftraggeber erhalten haben, dann ist es logisch, dass Sie diesen Auftrag zurückweisen, denn Sie wissen ja gar nicht, was Sie machen sollen!”. Ich habe diesen Auftrag zwar nicht zurückgewiesen, habe aber den Projektumfang mit dem Auftraggeber dann sehr scharf umrissen und definiert. Glücklicherweise empfand dieser dies als positiv und unterstützte bei der Konkretisierung des Auftrags. Kritisch bleiben, Rückgrat beweisen und mit einer vagen Fragestellung nicht direkt beginnen - so geht das! Ich bin dem damaligen Quality Assurance Officer noch immer für diese Lektion dankbar.

      Zu einem späteren Zeitpunkt habe ich beim selben Arbeitgeber übrigens doch noch einen Auftrag zurückgewiesen. Aber damals wurde das Projekt unverändert einem anderen Mitarbeiter übertragen, der dies ohne zu zögern annahm. Der Projektmanager zeigte zwar Mut, aber kam später richtig ins Schwitzen, um die richtungslose Ausführung wieder in die richtigen Bahnen zu lenken und dort zu halten. Wieder eine Lektion gelernt: Das Bewerkstelligen


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