Der Bergpfarrer Staffel 15 – Heimatroman. Toni Waidacher
Freundin legte die Hand auf ihre Schulter.
»Das kenn’ ich«, meinte sie betont heiter. »Das ist die Panik, die beinahe jeden Menschen vor diesem Schritt befällt. Als Franz und ich geheiratet haben, da wollte ich noch am Morgen vor der Trauung weglaufen. Meine Mutter mußte eine Stunde auf mich einreden, bis sie mich endlich überzeugt hatte.«
Die junge Anwältin schaute auf die Uhr.
»Ich muß los«, sagte sie und winkte nach dem Kellner.
Vor dem Restaurant verabschiedeten sie sich. Während Elke zum Parkhaus ging, in dem sie ihr Auto abgestellt hatte, legte Alexandra die Strecke zur Kanzlei zu Fuß zurück. Sie befand sich in der Nähe des Gerichtsgebäudes.
Der Nachmittag verging mit zwei Terminen und einem Gespräch mit dem Seniorpartner, und dann stand einem gemütlichen Wochenende nichts mehr im Wege.
Hoffentlich hat Adrian keinen Dienst, dachte die Anwältin, während sie aus dem Auto stieg und auf das Einfamilienhaus zuging, das sie von den Eltern geerbt hatte.
Aber viel Hoffnung hatte sie nicht. Als Chefarzt mußte Adrian oft genau dann in der Klinik sein, wenn sie frei hatte…
*
Es kam genauso, wie sie es geahnt hatte.
»Tut mir leid, Schatz«, sagte der attraktive Arzt beim Abendessen. »Schöller ist heut mittag zu einem Kongreß nach Hamburg gefahren und wird erst am Dienstag wieder da sein. Ich muß für ihn einspringen.«
Er legte tröstend seinen Arm um Alexandra.
»Dafür machen wir es uns am nächsten Wochenende schön«, versprach er.
Die Anwältin hatte nur genickt und sich vorgenommen, halt das Beste aus den beiden Tagen zu machen. Samstagfrüh fuhr sie in die Kanzlei und holte ein paar Akten, um sie zu Hause durchzuarbeiten. Der Prozeß war zwar erst in zwei Wochen angesetzt, aber es konnte auch nicht schaden, wenn sie sich schon jetzt mit den Fakten vertraut machte.
Nachmittags saß sie im Garten des Hauses und studierte den Fall. Auf dem Tisch stand ein Glas Apfelsaft, an dem sie hin und wieder nippte. Alexandra merkte, daß sie sich irgendwie nicht auf ihre Arbeit konzentrieren konnte. Sie lehnte sich zurück und dachte an die bevorstehende Hochzeit. Am nächsten Ersten sollte sie stattfinden. Adrian besaß eine Penthousewohnung, direkt in der City. Da er nach der Hochzeit zu ihr ziehen wollte, überlegten sie, die Wohnung zu verkaufen. Ein Makler war bereits beauftragt worden, leider hatte sich bisher kein Interessent gefunden. Andererseits wäre es wohl leichter gewesen, das Haus zu verkaufen und zu ihm in die Stadt zu ziehen, aber Alexandra mochte sich einfach nicht davon trennen. Ihre Eltern hatten das Haus vor dreißig Jahren gebaut. Hier war sie aufgewachsen und hatte eine glückliche Kindheit verlebt. Sie hing einfach an ihrem Heim, das auch mit vielen Erinnerungen an Klaus und Thea Sommer verbunden war, die so früh verstarben.
Alexandra brachte das Glas und die Akten ins Haus. Bis zur Hochzeit gab es noch viel zu tun. Mit der großen Liste in der Tasche fuhr sie zum Englischen Garten und spazierte durch die blühende Anlage. Auf den Wiesen lagen zahlreiche Sonnenanbeter, einzeln oder in Gruppen, Spaziergänger führten ihre Hunde aus, und irgendwo saß ein Straßenmusiker und spielte auf seiner Gitarre.
Die junge Anwältin hatte sich auf eine Bank gesetzt und schaute auf die Liste. Gäste waren darauf notiert, Termine für die Anprobe des Hochzeitskleides, den Friseur und andere wichtige Kleinigkeiten, die nicht vergessen werden durften. Alexandra hatte noch vor zwei Tagen die Einladungen hinausgeschickt. Adrian und sie hatten einen großen Bekanntenkreis, und es würden wohl an die hundertzwanzig Gäste sein, die an dem Ereignis teilnahmen.
Ihr Herz pochte schneller, als Alexandra daran dachte, und plötzlich waren wieder diese Zweifel da, ob es wirklich der richtige Schritt war, den zu gehen sie beabsichtigte.
Es war nämlich keineswegs so, daß immer eitel Sonnenschein in der Beziehung zu Adrian geherrscht hätte. Der attraktive Arzt hatte zahlreiche Verehrerinnen und gab deren Werben nur zu gerne nach. Mehr als einmal hatte Alexandra vor der Entscheidung gestanden, sich für immer von ihm zu trennen. Doch dann hatte Adrian gebeten und gebettelt, ihr ewige Treue geschworen, und sie konnte nicht anders, als ihm zu verzeihen.
In der letzten Zeit hatte sie indes keinen Grund gehabt, an seinen Worten zu zweifeln, und so versuchte sie jetzt, sich zu beruhigen. Bestimmt hatte Elke recht, und es war nur die übliche Aufregung vor der Hochzeit.
Sie sah auf die Uhr. Wenn nichts Besonderes anlag, dann sollte Adrian jetzt eigentlich Zeit für sie haben. Alexandra nahm ihr Handy heraus und wählte die Nummer der Privatklinik. Der Arzt hatte auch ein Mobiltelefon, das aber während seiner Dienststunden ausgeschaltet war.
»Sommer hier«, sagte sie. »Würden Sie mich bitte mit Dr. Heller verbinden?«
»Einen Moment, Frau Sommer«, antwortete die Frau in der Telefonzentrale.
Es herrschte einen Moment Stille, dann tutete es zweimal, bis sich die Stimme wieder meldete.
»Tut mir leid«, sagte die Frau. »Dr. Heller ist gar nicht in der Klinik. Er hat bis Montag frei.«
Alexander spürte, wie ein heißer Blutstrom durch ihre Adern schoß, sie spürte plötzlich ihr Herz, das bis zum Hals klopfte.
»Danke…«, murmelte sie verwirrt und beendete die Verbindung.
Adrian war nicht in der Klinik, er hatte gar keinen Dienst, wie er behauptete! Wieder einmal war sie belogen worden!
Sie drückte die Taste ihres Handys, unter der seine Privatnummer gespeichert war. Es lief nur der Anrufbeantworter, dann versuchte sie es auf seinem Mobiltelefon. Der Arzt hatte es nicht eingeschaltet, und Alexandra vernahm nur die elektronische Stimme, die ihr sagte, sie könne eine Nachricht hinterlassen.
Sie verzichtete darauf. Mit einem dicken Kloß im Hals starrte sie die Liste an, die auf ihren Knien lag, und Tränen stiegen ihr in die Augen. So überzeugend hatte er geklungen, als er erklärte, er müsse für den Kollegen einspringen, und sie hatte ihm geglaubt!
Darauf vertraut, daß seine Eskapaden endlich vorüber waren, und es für eine gemeinsame Zukunft keine Hindernisse mehr gäbe.
Welch ein Irrtum!
Noch bis zur Dämmerung saß sie auf der Bank und dachte nach. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf, und sie grübelte darüber nach, was sie jetzt unternehmen, wie sie Adrian begegnen sollte.
Sie wußte es nicht. Nur eines stand fest, sie wollte und konnte sein Verhalten nicht länger tolerieren. Einmal mußte es genug sein, und sie würde die Konsequenzen aus seiner neuerlichen Verlogenheit und Untreue ziehen.
Heiraten? Ihn? Nie im Leben!
*
»Papa, wann sind wir endlich da?«
Peter Reinicke lächelte und schaute in den Rückspiegel.
»Es dauert net mehr lang’«, versprach er und deutete nach vorne durch die Windschutzscheibe. »Schau, da kannst’ schon die Berge seh’n.«
Martin reckte den Kopf.
»Donnerwetter, sind die riesig!« rief er aus.
Der Bub drehte sich nach hinten. Im Kofferraum des Kombis lag auf einer Decke ein dunkelbraunes Etwas, zusammengerollt zu einem Fellbündel.
»Biene, schau nur!«
Die Berner-Senner-Hündin öffnete ein Auge, schaute ihn kurz an und wedelte mit dem Schwanz.
»Biene hat auch genug von der Fahrt«, sagte Martin zu seinem Vater.
»Wir haben es ja geschafft. Wir sind in St. Johann angekommen.«
Peter Reinicke fuhr durch den Ort und suchte die Straße, in der die Pension lag. Martin blickte unterdessen aus dem Fenster.
»Na, gefällt’s dir?« fragte sein Vater.
»Hmm, sehr gut.«
»So, jetzt aber nix wir raus aus dem Auto.«
Sie