Der Bergpfarrer Staffel 15 – Heimatroman. Toni Waidacher
»Die Arbeit…« Er zuckte entschuldigend die Schultern. »Aber ich gelobe Besserung. Hier im Urlaub bin ich nur für dich da.«
»Dann darf ich Reiten lernen?« rief Martin mit leuchtenden Augen.
»Ja, du darfst, und wir werden zum Schwimmen fahren und eine Bergwanderung machen und überhaupt alles, was du möchtest.«
Martin rutschte von seinem Stuhl, rannte um den Tisch herum und gab seinem Vater einen dicken Kuß auf die Wange.
»Ich geh’ mal mit Biene«, sagte er.
»Aber bleib’ in der Nähe«, ermahnte Peter ihn.
Der Bub stand stramm und salutierte.
»Jawohl!«
Dann nahm er die Leine auf und spazierte davon.
Alexandra lächelte.
Es war bestimmt nicht einfach, den Bub alleine großzuziehen, wenn man auch noch für das tägliche Brot sorgen mußte.
»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«
»Ich hab’ eine kleine Computerfirma«, antwortete er. »Mit zwei Angestellten sogar. Aber wenn sie einerseits auch ein Erfolg ist, so zwingt sie mich andererseits meine Zeit, die ich lieber mit meinem Sohn verbringen würd’, ihr zu widmen. Aber so ist es nun mal – das eine, was man will, das and’re, was man muß.«
»Ja, das kenn’ ich«, nickte sie. »Der Beruf kann einen wirklich aufreiben.«
»Sind Sie auch selbstständig.«
»Ja, ich bin seit ein paar Jahren Mitinhaberin einer Anwaltskanzlei«, nickte sie.
Sie unterhielten sich eine ganze Weile über das Für und Wider einer selbstständigen Tätigkeit. Aber für beide stand fest, daß sie in ihren Berufen glücklich waren und darin Erfüllung fanden.
»Jedenfalls weiß ich jetzt, an wen ich mich wenden kann, wenn ich einmal anwaltlichen Beistand brauche«, lächelte Peter Reinicke.
»Und ich, wenn mal wieder der Computer im Büro streikt«, lachte sie zurück.
Er schaute sie an und fragte sich, warum sein Herz die ganze Zeit schneller klopfte…
Himmlisch schaute sie aus!
Und Martin schien sie in ihr Herz geschlossen zu haben.
Aber, was red’ ich mir da denn ein, fragte sich Peter in Gedanken. Bloß weil sie zufällig an uns’ren Tisch geraten ist, gut ausschaut und sehr sympathisch ist, mußt’ net gleich sonstwas denken!
Dennoch konnte er nicht anders, als sie immer wieder verstohlen zu betrachten. Wenn man lange Jahre einen Menschen entbehrt hatte, an den man sich anlehnen konnte, ihm seine Wünsche, Ängste und Träume mitteilen, dann war das wohl eine ganz normale Reaktion. Aber Hoffnungen brauchst’ dir da net zu machen, es gibt ja einen Mann an ihrer Seite, auch wenn er grad net da ist.
Martin kam zurück.
»Dann gehen wir mal in die Pension zurück«, sagte Peter und stand auf.
»Kommst du mit?« fragte Martin Alexandra sofort.
Sein Vater schüttelte den Kopf.
»Jetzt fall der Frau Sommer net auf den Wecker!« sagte er. »Sie wird schon alleine bestimmen, wann sie geht und wann net.«
Martin machte ein betretenes Gesicht, und Peter tat es im selben Moment leid, so heftig reagiert zu haben.«
»Jetzt schimpfen S’ doch net«, sagte Alexandra und sah Martin an. »Ich bleib’ noch ein bissel sitzen. Aber heut’ abend geh’n wir mit der Biene Gassi. Versprochen!«
Der Bub strahlte sie an.
»Ich hole dich dann von deinem Zimmer ab.«
Die Anwältin nickte lächelnd und sah ihnen hinterher.
Der Kleine war ja wirklich ein Goldstück, und sein Vater ein sehr sympathischer Mann…
Aber Vorsicht! ermahnte sie sich, du bist net hergekommen, um dich mit einem and’ren zu trösten, sondern den zu vergessen, der dich so bitter enttäuscht hat. Also gib dich gar net erst irgendwelchen törichten Gedanken hin.
*
Sebastian Trenker schaute auf die Ansichtskarte, die am Morgen mit der Post gekommen war. Marion und Andreas hatten sie geschrieben, aus den Flitterwochen in Kanada, wo die Frischvermählten sich seinerzeit kennengelernt hatten. Der Bergpfarrer mußte schon ein wenig schmunzeln, die Karte hatte beinahe vierzehn Tage gebraucht, um von Übersee nach St. Johann zu gelangen. In der nächsten Woche schon würden sein Cousin und dessen Frau schon wieder zu Hause sein.
»Hochwürden, der Herr Kammeier hat vorhin angerufen und gebeten, Sie möchten noch mal in die Kirche kommen«, sagte die Haushälterin.
Sebastian nickte.
»Danke schön, Frau Tappert. Ich wollt’ ohnehin gleich hinübergehen.«
Er reichte ihr die Ansichtskarte.
»Die beiden scheinen sehr glücklich zu sein«, meinte er dabei. »Ich freu’ mich für sie.«
Der gute Hirte von St. Johann zog sein Jackett über und verließ das Pfarrhaus.
Herrliches Wetter, dachte er, eigentlich müßt’ ich jetzt bald wieder in die Berge, in der nächsten Woche komm’ ich wohl kaum dazu.
Es standen ein paar wichtige Termine an, und an den beiden nächsten Sonntagen fanden gleich mehrere Taufen statt. Es war wohl wirklich die vorerst letzte Gelegenheit, eine Bergtour zu unternehmen.
Alois Kammeier, der Mesner von St. Johann, erwartete den Geistlichen in der Sakristei. Vor ihm stand ein Berg Pakete auf dem Boden.
»Ach, du liebe Zeit, was ist das denn? Doch net etwa die Kerzenlieferung, die wir schon so lange erwarten?«
Sebastian schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
Der Mesner machte ein Gesicht, dem man nicht entnehmen konnte, ob ihm zum Lachen oder Weinen zumute war.
»Doch«, antwortete er. »Nur haben s’ uns statt zweihundert gleich zweitausend geschickt.«
»Du meine Güte, wo sollen wir denn damit hin? Die können wir doch unmöglich alle hier in der Sakristei lagern.«
»Am besten schicken wir sie wieder zurück«, schlug Alois Kammeier vor.
»Ja, eine and’re Möglichkeit seh’ ich auch net«, nickte der Bergpfarrer. »Packen S’ uns’re zweihundert aus, und ich ruf’ den Lieferanten an, daß er die and’ren wieder abholt.«
Kopfschüttelnd verließ er die Sakristei. Da warteten sie nun schon sieben Wochen darauf, daß die Kerzen endlich geliefert würden, und dann bekamen gleich die zehnfache Menge der Bestellung…
Der Lieferant wollte mit der Zeit gehen und hatte darum gebeten, die Bestellungen nur noch über das Internet zu machen. Das Ergebnis sah man jetzt. Erst hatte es über Gebühr gedauert, bis eine Bestätigung kam, dann trafen die Kerzen nicht ein, und, nach mehrmaliger Reklamation und Nachfrage, nun das.
In Zukunft werd’ ich wieder wie gewohnt den Bestellschein ausfüllen und mit der Post abschicken, dachte Sebastian, während er die Kirche verließ.
Er wollte wieder zum Pfarrhaus hinübergehen, als ihm eine junge Frau auffiel, die den Kiesweg heraufkam.
»Alexandra!« rief Sebastian. »Hab’ ich mich doch net getäuscht. Schön, Sie zu sehen. Wo ist denn Adrian?«
Seit sie das erste Mal in St. Johann Urlaub gemacht hatten, waren die Anwältin und der Arzt auch an Wochenenden hergekommen – wenn es für beide gepaßt hatte und sie gemeinsam frei gehabt hatten. Nachdem sie die Bekanntschaft des Geistlichen gemacht hatten, ergab es sich, daß sie Pfarrer Trenker auf eine Bergtour begleiteten. Damals ahnte noch niemand, daß die Hochzeitsglocken für sie beide niemals