BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder. Robert Mccammon

BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder - Robert Mccammon


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      »Nicht aus einem Geschäft.« Sie wartete, um sicherzugehen, dass meine Mom sie verstand. »Im Laden gekauft ist nicht gut genug. Das wäre nichts Besonderes. Junger Mann, du willst doch ein ganz besonderes Fahrrad haben, oder nicht?«

      »Ich … denke, ich werde froh sein über das, was ich kriege, Ma’am.«

      Darüber musste sie wieder lachen. »Na, du bist ja ein kleiner Gentleman! Also, Mr. Lightfoot und ich werden die Köpfe zusammenstecken und sehen, was wir machen können. Geht das in Ordnung für dich?«

      Ich sagte ja, aber um ehrlich zu sein verstand ich nicht ganz, wie mir das ein brandneues Fahrrad einbringen sollte.

      »Komm mal her«, sagte die Lady zu mir. »Komm mal ganz nah ans Bett hier.«

      Mom ließ mich los. Ich ging an die Seite des Bettes, und die grünen Augen leuchteten vor mir wie Geisterlampen.

      »Was machst du noch gern, außer Fahrrad zu fahren?«

      »Baseball spielen. Ich lese gern. Ich schreibe gern Geschichten.«

      »Du schreibst Geschichten?« Ihre Augenbrauen schossen wieder in die Höhe. »Heiliger Herrgott, wir haben hier einen Schriftsteller vor uns?«

      »Cory hat schon immer Bücher gemocht«, erklärte Mom. »Er schreibt kurze Geschichten über Cowboys und Detektive und …«

      »Monster«, sagte ich. »Manchmal.«

      »Monster«, wiederholte die Lady. »Wirst du über Old Moses schreiben?«

      »Vielleicht.«

      »Wirst du irgendwann ein Buch schreiben? Vielleicht über diese Stadt, und alle, die hier wohnen?«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«

      »Schau mir in die Augen«, sagte sie. Ich tat es. »Ganz tief«, sagte sie. Ich gehorchte.

      Und dann geschah etwas Sonderbares. Sie begann zu reden, und als sie sprach, schien die Luft zwischen uns wie Perlmutt zu schillern. Ihre Augen hielten meine gefangen; ich konnte nicht wegsehen. »Mich hat man ein Monster genannt«, sagte die Lady. »Und noch Schlimmeres als ein Monster. Als ich nicht viel älter war als du, habe ich gesehen, wie meine Momma umgebracht wurde. Eine Frau, die eifersüchtig auf sie war, hat sie vergiftet. Ich schwor, dass ich diese Frau finden würde. Sie trug ein rotes Kleid und hatte einen Affen auf ihrer Schulter sitzen, der ihr Dinge zugeraunt hat. Ihr Name war LaRouge. Habe mein ganzes Leben gebraucht, um sie zu finden. Ich bin in Lepersville gewesen und habe ein Boot durch überflutete Herrenhäuser gerudert.« In dem schillernden Nebel begann ihr Gesicht die Falten zu verlieren. Sie wurde immer jünger, als ich sie anstarrte. »Ich habe die Toten herumspazieren sehen. Meine beste Freundin hatte eine Schuppenhaut wie ein Fisch und kroch auf dem Bauch.« Ihr Gesicht war jetzt noch jünger. Ihre Schönheit begann, mein Gesicht zu versengen. »Ich habe Schnitter Tod gesehen. Ich habe Satan ins Auge gespuckt und in den Sälen des Okkulten getanzt.« Sie war ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren, ihre Wangenknochen hoch und stolz, ihr Kinn spitz, ihre Augen erschreckend mit all ihren Erinnerungen. »Ich habe gelebt«, sagte sie mit ihrer klaren starken Stimme. »Hundert Leben, und ich bin noch nicht tot. Kannst du mich sehen, junger Mann?«

      »Ja, Ma’am«, antwortete ich und hörte mich selbst wie aus großer Ferne. »Ich kann Sie sehen.«

      Der Bann zerbrach so schnell wie ein Herzschlag. Eben hatte ich noch eine wunderschöne junge Frau angesehen und im nächsten Moment war die Lady wieder so, wie sie tatsächlich war; hundertsechs Jahre alt. Ihre Augen wurden etwas kühler, aber mir war, als hätte ich Fieber.

      »Vielleicht wirst du eines Tages meine Lebensgeschichte aufschreiben«, sagte die Lady. Es klang mehr wie ein Befehl als ein Vorschlag. »So, und wie wär’s, wenn du jetzt rausgehst und mit Amelia und Charles zusammensitzt, während ich mit deiner Momma rede?«

      Ich sagte ja. Als ich an Mom vorbei zur Tür ging, waren meine Beine wie aus Gummi. An meinem Kragen hatte sich Schweiß gesammelt. An der Tür kam mir ein Gedanke, und ich drehte mich zum Bett um. »Entschuldigung, Ma’am?«, sagte ich. »Haben Sie … äh … irgendwas, das mir helfen würde, die Mathearbeit zu bestehen? Ich meine, einen Zaubertrank oder so was?«

      »Cory!«, ermahnte meine Mutter mich.

      Aber die Lady lächelte nur. »Das habe ich, junger Mann«, sagte sie. »Richte Amelia aus, dass sie dir Zaubertrank Zehn geben soll. Danach gehst du nach Hause und lernst ganz, ganz doll, mehr, als du je gebüffelt hast. So doll, dass du im Schlaf rechnen kannst.« Sie hob einen Finger. »Damit sollte es gut sein.«

      Ich verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich konnte den Zaubertrank kaum erwarten.

      »Zaubertrank Zehn?«, fragte Mom.

      »Ein Glas Milch mit ein bisschen Muskatnussaroma«, sagte die Lady. »Amelia und ich haben eine ganze Liste von Zaubertränken für Leute, die ein bisschen extra Mut oder Selbstvertrauen oder dergleichen brauchen.«

      »So zaubern Sie also?«

      »So ziemlich. Man muss den Leuten nur einen Schlüssel geben, dann können sie ihre Schlösser selbst aufschließen.« Die Lady legte den Kopf schief. »Aber es gibt noch andere Arten von Zauberei. Wegen denen muss ich mit Ihnen reden.«

      Meine Mutter schwieg. Sie ahnte nicht, was gleich kommen würde.

      »Ich habe Träume«, sagte die Lady. »In letzter Zeit träume ich, wenn ich schlafe und wenn ich wach bin. Die Dinge sind nicht mehr im Lot. Auf der anderen Seite ist auch alles durcheinander.«

      »Auf der anderen Seite?«

      »Da, wo die Toten hingehen«, sagte sie. »Auf der anderen Seite vom Fluss. Nicht dem Tecumseh. Dem breiten dunklen Fluss, an dem ich bald stehen werde. Dann werde ich einen Blick zurückwerfen und lachen und sagen: Das war also, worum es ging!«

      Mom schüttelte verständnislos den Kopf.

      »Alles ist durcheinander«, fuhr die Lady fort. »Im Land der Lebenden und in der Welt der Toten. Ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmt, als Damballah sein Fressen verweigerte. Jenna Velvadine hat mir erzählt, was am Ostermorgen in Ihrer Kirche passiert ist. Das war auch die Geisterwelt.«

      »Es waren Wespen«, sagte Mom.

      »Für Sie waren es Wespen. Für mich war es eine Botschaft. Jemand auf der anderen Seite hat furchtbare Schmerzen.«

      »Ich kann nicht …«

      »Verstehen«, beendete die Lady Moms Satz. »Ich weiß. Ich begreife es auch nicht immer. Aber die Sprache der Schmerzen verstehe ich. Die habe ich von Kindesbeinen an gesprochen.« Die Lady streckte den Arm nach ihrem Nachttisch aus, öffnete eine Schublade und nahm ein liniertes Blatt Papier heraus. Sie reichte es meiner Mutter. »Erkennen Sie das wieder?«

      Mom starrte auf das Papier. Darauf war eine Bleistiftzeichnung zu sehen. Anscheinend ein Totenschädel mit Flügeln an den Schläfen.

      »In meinem Traum sehe ich einem Mann mit dieser Tätowierung an der Schulter. Ich sehe ein Paar Hände. In einer Hand ist ein mit schwarzem Klebeband umwickelter Schlagstock – wir nennen so was einen Crackerknüppel –, und in der anderen ein Draht. Ich kann Stimmen hören, aber nicht verstehen, was gesagt wird. Irgendwer schreit, und da ist ganz laute Musik.«

      »Musik?« Mom war kalt. Sie hatte den geflügelten Totenkopf von Dads Beschreibung der Leiche im Auto wiedererkannt.

      »Entweder eine Schallplatte«, sagte die Lady, »oder jemand verprügelt ein Klavier. Ich habe es Charles erzählt. Er hat mich an einen Artikel erinnert, den ich im März im Journal gelesen habe. Es war doch Ihr Mann, der einen Toten im Saxon’s Lake untergehen gesehen hat, oder?«

      »Ja.«

      »Könnte das hier irgendetwas damit zu tun haben?«

      Mom atmete tief ein, hielt die Luft an und atmete aus. »Ja«, sagte sie.

      »Das


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