BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder. Robert Mccammon
Gesicht aus dem Wasser.
»Homma hobba homma«, brabbelte er wie ein regennasser Motor, der zu zünden versuchte.
In dem finsteren überfluteten Zimmer höre ich hinter mir ein Geräusch.
Das Geräusch von etwas, das aus dem Wasser steigt.
Ich drehte mich um. Gavin schrie auf und klammerte sich mit beiden Armen um meinen Hals, wobei er mich fast erwürgte.
Ich sah Old Moses – riesengroß, schrecklich und atemberaubend – wie einen lebendig gewordenen, vollgesogenen Baumstamm aus dem Wasser kommen. Sein Kopf war flach und dreieckig wie der einer Schlange, aber ich glaube, es war nicht wirklich eine Schlange, weil er unterhalb der Stelle, die der Hals sein sollte, zwei kleine Arme mit dürren Klauen zu haben schien. Ich hörte etwas, das wohl sein Schwanz war, so heftig gegen eine Wand schlagen, dass das ganze Haus erzitterte. Sein Kopf stieß gegen die Zimmerdecke. Gavins Klammergriff staute mir das Blut im Kopf wie in einem Ballon.
Auch ohne es sehen zu können, wusste ich, dass Old Moses uns anstarrte; mit Augen, die um Mitternacht in trübem Wasser einen Wels erspähen konnten. Als würde mir jemand ein kaltes Messer an die Stirn pressen spürte ich, wie er uns taxierte. Ich hoffte, dass wir nicht allzu sehr wie Hunde aussahen.
Old Moses roch wie der Fluss zur Mittagszeit: sumpfig, dampfend und scharf, von Leben erfüllt. Zu sagen, dass ich vor diesem beeindruckenden Geschöpf Respekt hatte, wäre eine monumentale Untertreibung gewesen. Aber in jenem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als irgendwo anders auf der Welt zu sein, meinetwegen sogar in der Schule. Viel Zeit zum Denken hatte ich allerdings nicht, denn Old Moses‘ Schlangenkopf kam auf uns zu wie eine Baggerschaufel, und ich hörte ihn zischend das Maul aufreißen. Ich wich nach hinten zurück, schrie Gavin an, er sollte loslassen, aber er klammerte sich weiter an meinen Hals. Ich an seiner Stelle hätte auch nicht losgelassen. Der Kopf kam auf uns zu, aber im nächsten Augenblick taumelte ich nach hinten in einen schmalen Korridor – von dessen Existenz ich nichts gewusst hatte –, und Old Moses‘ Maul knallte zu beiden Seiten von uns gegen den Türrahmen. Das schien ihn wütend zu machen. Er zog sich ein Stück zurück und stieß dann wieder vor, mit demselben Ergebnis, nur dass diesmal der Türrahmen zersplitterte. Gavin weinte, gab ein Huhuhu-Geräusch von sich, und eine von Old Moses‘ Bewegungen ausgelöste schaumige Welle spritzte mir ins Gesicht und über den Kopf. Irgendetwas stach mich in die rechte Schulter. Ein Schauder jagte mir über den Rücken. Ich griff nach dem Ding und stellte fest, dass es ein mit den anderen Gegenständen umhertreibender Besen war.
Old Moses gab ein Geräusch wie eine Lokomotive von sich, die jeden Moment explodiert. Ich sah den furchtbaren Umriss seines Kopfes auf den Eingang des Korridors zukommen und dachte daran, wie Gordon Scott als Tarzan mit einem Speer gegen eine Riesenschlange kämpfte. Ich nahm den Besen in die Hand. Als Old Moses wieder gegen den Türrahmen stieß, rammte ich ihm den Besen in seine offene, hundeverschlingende Kehle.
Ihr wisst ja, was passiert, wenn man sich den Finger in den Hals steckt, oder? Anscheinend haben Monster die gleiche Reaktion. Old Moses gab einen Würgelaut wie ein in einem Fass gefangenes Donnerkrachen von sich. Der Kopf zog sich zurück und nahm den Besen mit sich, die Borsten aus Maisblättern immer noch im Hals. Und dann erbrach sich Old Moses. Anders kann ich es nicht beschreiben. Es war so. Ich hörte Flüssigkeit und widerwärtige Dinge in sein Maul emporschießen. Fische, von denen manche noch zappelten und andere schon lange tot waren, flogen mit stinkenden Flusskrebsen, Schildkrötenpanzern, Muscheln, schleimigen Steinen, Matsch und Knochen um uns herum. Der Gestank war … na ja, ihr könnt es euch vorstellen. Es war hundertmal schlimmer, als wenn dein Sitznachbar in der Schule sein Frühstück auf den Tisch kotzt. Verzweifelt die Flucht suchend, steckte ich meinen Kopf unter Wasser – und Gavins damit auch, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Dort unten fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, dass Old Moses etwas wählerischer mit dem sein sollte, was er vom Grund des Tecumseh River auflas.
Wasserwirbel strudelten um uns herum. Ich richtete mich wieder auf. Gavin schnappte nach Luft und fing an, aus vollem Hals zu schreien. Das war der Moment, in dem ich auch zu schreien anfing. »Hilfe!«, brüllte ich. »Helft uns!«
Ein Lichtstrahl fiel wie ein Speer durch die offene Haustür über die Wellen und traf mich im Gesicht.
»Cory!«, kam die vernichtende Stimme. »Hab ich dir nicht gesagt, dass du dich nicht bewegen sollst?«
»Gavin? Gavin?«
»Heiliger Himmel!«, sagte meine Mutter. »Was ist das für ein Gestank?«
Das Wasser beruhigte sich. Ich erkannte, dass Old Moses sich nicht mehr zwischen den beiden Müttern und ihren Söhnen befand. Tote Fische trieben in braunem Schleim an die Wasseroberfläche, aber alle Aufmerksamkeit meiner Mutter war auf mich gerichtet. »Dir zieh ich dein Fell ab, Cory Mackenson!«, schrie sie, als sie mit Nila Castile im Gefolge ins Haus watete.
Dann traten sie mitten in das im Wasser treibende Erbrochene des Monsters. Das Geräusch, das meine Mutter von sich gab, überzeugte mich, dass sie an anderes dachte, als mich zu verprügeln.
Was für ein Glückspilz ich doch war.
Eine Einladung von der Lady
Natürlich glaubte mir keiner meiner Freunde.
Davy Ray Callan lachte nur, schüttelte den Kopf und sagte, dass er sich beim besten Willen keine bessere Geschichte ausdenken könnte. Ben Sears sah mich an, als hätte ich im Lyric einen Monsterfilm zu viel gesehen. Johnny Wilson dachte auf seine langsame, sorgfältige Weise eine Weile darüber nach und gab dann seine Meinung ab: »Nee. Das ist nicht passiert.«
»Ist es aber!«, sagte ich ihnen. Wir saßen unter klarem blauem Himmel auf der Veranda meines Hauses im Schatten. »Ist es wirklich, ich schwöre!«
»Oh ja?« Davy Ray, der lebhafteste unserer Truppe, der am häufigsten dazu neigte, erstaunliche Geschichten zu erfinden, legte seinen braunhaarigen Kopf schief. Er starrte mich mit hellblauen Augen an, in denen immer ein Hauch von wildem Gelächter lag. »Und wieso hat Old Moses euch nicht einfach gefressen? Wieso ist ein Monster vor einem Kind mit einem Besen abgehauen?«
»Weil ich meine monstermordende Strahlenpistole nicht dabeihatte«, gab ich gereizt und wütend zurück. »Deshalb! Was weiß ich? Aber es ist passiert und du kannst gern …«
»Cory«, sagte meine Mutter leise von der Tür. »Ich glaube, du hörst jetzt besser auf, darüber zu reden.«
Also tat ich das. Und ich verstand, was sie meinte. Es war nutzlos zu versuchen, jemanden davon zu überzeugen. Selbst meine Mom konnte es nicht ganz verstehen, und das, obwohl Gavin seiner Mutter die gesamte Geschichte erzählt hatte. Übrigens ging es Mr. Thornberry wieder besser. Er hatte überlebt und gewann jeden Tag an Kraft, und ich hatte gehört, dass er gesund werden wollte, damit er Gavin zu mehr Zeichentrickfilmen ins Kino mitnehmen konnte.
Meine Freunde hätten mir aber geglaubt, wenn sie meine Kleidung hätten riechen können, bevor Mom sie weggeworfen hatte. Sie hatte auch ihre eigenen verdorbenen Sachen in den Müll geworfen. Dad hörte sich die Geschichte an, nickte und saß mit gefalteten Händen da, die großen Blasen vom Schaufeln auf seinen Handflächen und Fingern mit Bandagen bedeckt.
»Tja«, meinte Dad. »Alles, was ich sagen kann, ist, dass es seltsamere Dinge auf der Erde gibt, als wir uns erklären können, selbst wenn wir hundert Leben hätten. Ich danke Gott, dass euch beiden nichts passiert ist und dass niemand im Hochwasser ertrunken ist. Was gibt’s denn zum Abendessen?«
Zwei Wochen vergingen. Wir ließen den April hinter uns und genossen die sonnigen Tage des Mais. Der Tecumseh River kehrte in seinen Uferlauf zurück, nachdem er uns daran erinnert hatte, wer hier das Sagen hatte. Ein Viertel der Häuser in Bruton waren nicht mehr bewohnbar, darunter auch Nila Castiles Haus, weshalb man in Bruton fast rund um die Uhr den Lärm von Sägen und Hämmern hörte. Etwas Gutes hatten der Regen und das Hochwasser jedoch gehabt: In der Sonne explodierte die Erde geradezu mit Blumen und Zephyr leuchtete in allen Farben. Rasenflächen waren smaragdgrün, Geißblatt wuchs wie wilde Leidenschaft und Kudzu wucherte