Der Bergpfarrer Paket 2 – Heimatroman. Toni Waidacher
könnt’ ich’s jemals vergessen?« antwortete sie. »Da hat doch alles angefangen...«
Eigentlich hieß sie Maria Großmayr, Devei war ihr Künstlername, den sie angenommen hatte, als sie aus dem kleinen Dorf fortgegangen war, hinaus in die weite Welt, um Karriere zu machen. Lange Jahre war sie nicht zurückgekommen, in die Hütte, die sie jetzt auf dem Foto betrachtete, in der sie geboren war.
Erst als sie glaubte, todkrank zu sein, da erinnerte sie sich eines Gedichtes, das Pfarrer Trenker einst geschrieben hatte.
›Wohin das Schicksal dich auch trägt...‹, lautete die erste Zeile.
Das Gedicht handelte von der Heimat und der Liebe zu ihr. Marias Krankheit stellte sich als ein fataler Irrtum heraus, dem die Sängerin aufgesessen war, als ein Gespräch ihres behandelnden Arztes mit anhörte und die dabei zur Sprache gekommene Diagnose auf sich selbst bezog. Sebastian Trenker und Toni Wiesinger, dem jungen Dorfarzt, war es letztlich zu verdanken, daß dieser tragische Irrtum aufgeklärt werden konnte.
Und dabei hätte Maria beinahe noch die Liebe des Mannes auf’s Spiel gesetzt, der sich bei ihrer ersten Begegnung unsterblich in sie verliebt hatte.
Richard Anzinger saß neben ihr im Zugabteil, ohne zu ahnen, wer die schöne, fremde Frau war, die so still und teilnahmslos aus dem Fenster schaute. Erst ein Freund klärte ihn auf, aber da war es um Richard längst geschehen. Dank guter Kontakte seines Freundes, einem bekannten Fotografen, gelang es ihm, herauszufinden, wohin Maria an diesem Tag gefahren war, und er reiste ihr sofort hinterher.
Im Nachhinein konnten sie darüber schmunzeln, wie überfallartig er ihr damals seine Liebe gestand. Doch seinerzeit war es für Maria, die glaubte sterben zu müssen, wie ein Hohn, daß da ein Mann von Liebe sprach, während sie einem unausweichlichen Schicksal entgegensah.
Aber auch hier hatte Sebastian Trenker seine Hände im Spiel und griff lenkend ein. Als für Maria und Richard die Hochzeitsglocken läuteten, hatte er wieder einmal den Beweis gebracht, daß es immer einen Ausweg gab.
Das schönste Hochzeitsgeschenk machte der Kaufmann seiner Frau, indem er die alte Sennerhütte, in der Maria zur Welt gekommen war, vollständig renovieren und zu einem Wochenend-idyll umbauen ließ. So oft es ihre Zeit erlaubte, kamen sie dorthin, und ihr liebster Gast war der gute Hirte von St. Johann.
*
»Heut’ gefallen S’ mir schon sehr viel besser, als noch vor ein paar Tagen«, meinte Ria Stubler beim Frühstück.
Angela lächelte. Sie fühlte sich tatsächlich wohl. Zum ersten Mal, seit sie hier war, hatte sie lange und ruhig geschlafen. Wahrscheinlich war der gestrige Ausflug mit Pfarrer Trenker für diesen Zustand verantwortlich.
Die anderen Pensionsgäste hatten ihr Frühstück bereits beendet, als die junge Frau herunter kam. Ria kochte frischen Kaffee für sie und setzte sich zu Angela an den Tisch.
»Hat Ihnen der Ausflug gefallen?« erkundigte sie sich.
»Sehr«, nickte Angela. »Es war einfach wunderschön. Ich hab’ gar net gewußt, was es alles in den Bergen zu sehen gibt.«
»Na ja, in Pfarrer Trenker hatten S’ ja auch den besten Begleiter, den S’ sich wünschen konnten.«
Die Pensionswirtin beugte sich über den Tisch.
»Wissen S’ eigentlich, wie man Hochwürden noch nennt?« erzählte sie. »Den Bergpfarrer, weil er da droben zuhaus’ ist, wie kein and’rer. In jungen Jahren hat er als Bergführer gearbeitet und sich so sein Studium finanziert. Wenn sich einer in den Bergen und auf den Almen auskennt, dann unser Herr Pfarrer.«
Das hatte Ria Stubler nicht ohne einen gewissen Stolz gesagt.
»Außerdem ist er einer, der bei jedem Problem einen Rat weiß«, fuhr sie fort. »Für jeden hat er ein offenes Ohr, und man kann Tag und Nacht zu ihm kommen.«
»Ja, den Eindruck hatte ich auch«, bestätigte Angela Holzer. »Es war wunderbar, daß ich ihm mein Herz ausschütten konnte. Obwohl – für mein Problem gibt’s wohl keine Lösung.«
Ria schüttelte den Kopf.
»Sagen S’ das net, Frau Holzer«, tadelte sie. »Ich weiß ja net genau, worum es geht, aber glauben S’ mir, es gibt Menschen, die an Ihrem Schicksal Anteil nehmen.«
Die junge Frau sah sie an, Tränen in den Augen.
»Das will ich gern’ glauben«, antwortete sie leise und griff nach der Hand der Wirtin. »Sie sind so gut zu mir, Frau Stubler. Ich hab’ den Eindruck, eine wirkliche Freundin in Ihnen gefunden zu haben. Wollen wir net du zu einander sagen?«
Ria Stubler schluckte gerührt.
»Herzlich gern’, Angela« antwortete sie, ohne lange zu überlegen. »Und wenn du magst, dann erzählst’ mir auch deine Geschichte.
Weißt’, als das Zimmer für dich reserviert wurde, da bat mich
der Doktor Ferbach, ein be-
sond’res Aug’ auf dich zu haben. Ich glaub’, daß er dich sehr mag...«
Angela lächelte unwillkürlich, als sie das Bild des jungen Assistenzarztes vor sich sah.
»Ich weiß«, nickte sie. »Roland Ferbach war sehr um mich bemüht, als ich in der Klinik lag. Ich bin ihm sehr dankbar, noch mehr...«
»Ich ahne schon, daß es da einen gibt, den du mehr liebhast.«
Ria Stubler schüttelte die Warmhaltekanne.
»Wart’«, sagte sie. »Ich koch’ uns noch einen Kaffee, und dann setzen wir uns hinaus, in den Garten. Wenn du magst, erzählst mir alles von vorn’.«
Über eine Stunde saßen sie auf der Terrasse. Angela hatte überhaupt nicht das Gefühl, Gast in einer Pension zu sein, sondern vielmehr, eine liebe Freundin zu besuchen. Die herzliche Art Rias machte es ihr genauso leicht, der älteren und lebenserfahrenen Frau ihr Herz auszuschütten, wie es bei Pfarrer Trenker der Fall gewesen war.
Ria war erstaunt zu hören, daß Angela quasi die Verlobte eines richtigen Grafen gewesen war. Diese Welt kannte sie nur aus den bunten Zeitschriften, die sie immer für ihre Pensionsgäste kaufte.
»Glaubst’ denn wirklich, daß es für immer vorbei ist?« fragte sie. »Wenn dieser Alexander dich wirklich liebt, dann muß er dir doch verzeihen können.«
Die junge Frau schaute durch den Garten, aber all die blühende Pracht nahm sie nicht wirklich wahr. Es schien, als blicke sie in weite Ferne.
»Das hat Hochwürden auch gesagt«, erwiderte sie. »Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll – ich könnt’ Alexander nie wieder unter die Augen treten. Dazu hab’ ich ihn viel zu sehr gekränkt.«
»Aber all zuviel Zeit darfst’ net verstreichen lassen, wenn dir wirklich was an ihm liegt«, bemerkte Ria. »Denn dann besteht die Gefahr, daß er dich vergißt.
Und überhaupt, was willst’ denn eigentlich sonst anfangen? Hast’ dir darüber schon Gedanken gemacht?«
»Ein wenig«, nickte sie. »Wahrscheinlich hab’ ich aber Angst, wirklich und konkret darüber nachzudenken, weil das ja bedeuten würde, daß ich den Gedanken an Alexander gänzlich aufgegeben hätt’.«
Sie erzählte von der Freundin, mit der sie einst zusammen in
die Schule gegangen war. Heidi Freedman, die jetzt in Smaland lebte, in jener südschwedischen Landschaft, ist der Astrid Lindgren geboren war, die berühmte Kinderbuchautorin.
Noch während sie in der Klinik lag, hatte Angela überlegt, für eine Weile dorthin zu fahren. Doch Roland Ferbach hatte ihr von der langen und anstrengenden Reise abgeraten und ihr stattdessen einen Urlaub in St. Johann empfohlen.
Später überlegte sie, ob sie ihrem ersten Impuls nicht doch folgen, und die Freundin besuchen sollte. Das Anwesen der
Freedmans lag idyllisch an einem großen See, umgeben von riesigen