Der Bergpfarrer Paket 2 – Heimatroman. Toni Waidacher
Alois Brandtner war gerade mit seinem Traktor auf den Hof gefahren, als Thomas dort eintraf. Seit dem Morgen hatte der Bauer keine Pause mehr gehabt. Selbst das Mittagessen nahm er auf dem Feld ein, ein paar Löffel Suppe, die Andrea ihm gebracht hatte.
Es war zum Auswachsen, net nur, daß der Bub irgendwo in der Lüneburger Heide seinen Wehrdienst ableistete und net nach Haus’ kommen konnte, jetzt mußte auch noch der Knecht krank werden.
Der Bauer überlegte. Er konnte sich überhaupt nicht erinnern, daß Tobias in all den Jahren mal ernstlich krank gewesen wäre, aber ausgerechnet jetzt. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte – Ersatz mußte her, egal wie!
Loisl stieg vom Traktor herunter. Zumindest einen Kaffee wollte er trinken, bevor er sich wieder an die Arbeit machte. Hoffentlich kamen Frau und Tochter rechtzeitig aus dem Krankenhaus zurück. Um sechs mußten die Kühe gemolken werden. Er war nur froh, daß er schon vor Jahren die Almwiese verpachtet hatte, sonst würde er sich darum auch noch kümmern müssen.
Der Bauer schlug die Tür des Traktors zu und drehte sich um. Es war ihm, als habe er jemanden die Straße heraufkommen sehen, als er von der anderen Seite herangefahren kam.
Tatsächlich, er hatte sich nicht geirrt. Ein junger Mann näherte sich, eine Reisetasche in der Hand, die Jacke über die Schulter gehängt. Er sah abgekämpft aus. War wohl den ganzen Weg von
St. Johann zu Fuß heraufgekommen.
»Grüß Gott«, nickte der Besucher freundlich. »Sind Sie der Herr Brandtner?«
»Ja«, antwortete der Bauer. »Was kann ich für Sie tun?«
Thomas reichte ihm die Hand.
»Ich heiß’ Thomas Korber«, sagte er. »Ich hab’ gehört, daß Ihnen ein Knecht krank geworden ist, und wollt’ fragen, ob Sie einen Ersatz brauchen.«
Der Name war ihm spontan eingefallen. Klang vielleicht ein bissel merkwürdig, aber eigentlich war er so gut, wie jeder andere auch.
Alois Brandtner riß die Augen auf. Konnte es das wirklich geben? Den Mann schickte ja der Himmel.
»Ich soll’ Ihnen übrigens Grüße von Pfarrer Trenker ausrichten«, sprach der junge Mann weiter.
»Dank’ schön, dank’ schön«, nickte der Bauer. »Sagen S’, versteh’n S’ denn was von der Landwirtschaft?«
»Eigentlich net«, gab der Gefragte offen zu. »Aber ich hab’ mir gedacht, man kann alles lernen. Jedenfalls kann ich zupacken und bin mir für keine Arbeit zu schad’.«
Der Brandtner strich sich nachdenklich über den Bart. Das stimmte natürlich – wenn man wollte, konnte man alles lernen, und der Bursche hatte ein ehrliches Gesicht. Warum also net den Versuch wagen?
»Also schön«, meinte er, »probieren wir’s miteinand’. Was du net weißt, kannst’ lernen, und wenn du dich net allzu ungeschickt anstellst, wird’s schon geh’n. Außerdem – wenn Hochwürden dich geschickt hat, dann wirst’ schon ein anständiger Bursche sein.«
Der Bauer war ohne weiteres zum Du übergegangen. Thomas hütete sich, den Irrtum mit dem Pfarrer aufzuklären und schlug in die dargebotene Hand ein.
»Kost und Logis ist frei«, fuhr Loisl fort. »Und über den Lohn werden wir uns schon einig. Erstmal schau’n, wie’ dich anstellst.«
»Einverstanden«, stimmte Thomas zu.
Eine Viertelstunde später saßen sie im Bauernhaus zusammen und tranken Kaffee. Die Reisetasche stand in der Kammer im Gesindehaus, die Thomas Korber, wie er sich nannte, bewohnen sollte. Der Bauer hatte ihm ein paar alte Arbeitskleider gegeben. Sie waren zwar ein bißchen groß, aber wenn er Ärmel und Hosenbeine umkrempelte, dann ging es schon irgendwie.
»Das ist alles keine große Sache«, erklärte der Brandtnerbauer. »Wenn’ dich net allzu ungeschickt anstellst, dann hast’ es schnell begriffen, wie das alles hier geht.«
Er sah seinen neuen Knecht nachdenklich an. Kräftig schien er, aber er machte nicht den
Eindruck, als wenn er sein Leben lang solche Arbeit verrichtet hätte, wie sie auf einem Bauernhof anfiel.
»Allerdings wirst’ recht früh aufsteh’n müssen«, fuhr er fort. »Halb fünf klingelt der Wecker, dann geht’s in den Stall. Frühstück gibt’s erst, wenn das Vieh versorgt ist.«
»Kein Problem«, versicherte Thomas. »Ich bin frühes Aufstehen gewöhnt.«
Das stimmte tatsächlich, auch an seinen freien Tagen war er immer früh aufgestanden. Frühsport und Dauerlaufen waren eine Leidenschaft von ihm, und nach einigen ausgiebigen Runden im Pool schmeckte die erste Mahlzeit des Tages besonders gut.
»Dann ist ja alles soweit klar«, sagte Loisl und sah zum Fenster hinaus.
Ein Auto fuhr auf den Hof.
»Ah, das sind meine Frau und die Andrea, uns’re Tochter. Da kann ich dich gleich mit ihnen bekannt machen.«
Die beiden Frauen schauten erstaunt auf den jungen Mann, der da in Arbeitskleidung am Küchentisch saß und mit dem Bauern Kaffee trank. Der Brandtner-Loisl strahlte über das ganze Gesicht.
»Stellt euch vor, was passiert ist«, rief er. »Pfarrer Trenker hat uns den Thomas hier geschickt, als Ersatz für Tobias.«
Der neue Knecht war bei ihrem Eintreten aufgestanden. Er begrüßte zuerst die Bäuerin, dann reichte er dem Madel die Hand. Er wagte es immer noch nicht, den Irrtum mit dem Geistlichen aufzuklären.
»Das ist aber ein glücklicher Zufall«, freute sich Maria Brandtner. »Der Tobias wird nämlich für Wochen ausfallen, und wir waren schon ganz verzweifelt.«
»Wir werden ihm allerdings zeigen müssen, wie’s hier so zugeht«, meinte ihr Mann. »Aber ich denk’, es wird schon irgendwie geh’n.«
Andrea hatte bisher ein wenig verlegen dagestand. Sie betrachtete Thomas Korber verstohlen. Der wollte tatsächlich hier auf dem Bauernhof arbeiten? Innerlich schüttelte sie den Kopf. Nicht, daß sie es ihm nicht zugetraut hätte, aber wenn sie ihn so anschaute, dann gewann sie den Eindruck, daß dieser gutaussehende junge Mann eher in ein Büro paßte als in den Kuhstall.
»Wie ich seh’, habt ihr ja schon Kaffee getrunken«, sagte ihre Mutter.
»Ja, und wir wollen auch gleich rausfahren. Droben im Bergwald gibt’s noch einige Arbeit«, antwortete ihr Mann. »Übermorgen sollen die Stämme geholt werden, ein paar müssen noch geschlagen werden. Außerdem kann Thomas sich dann gleich umschau’n und alles kennenlernen. Wie geht’s Tobias denn?«
»Recht gut, so kurz nach der Operation«, erzählte Andrea. »Aber wie Mama schon sagt,
wird’s eine ganze Weile dauern, bis er wieder richtig zupacken kann.«
»Dafür haben wir ja jetzt den Thomas«, lachte ihr Vater und schlug dem neuen Knecht auf die Schulter. »Na los, dann woll’n wir mal.«
Thomas lächelte Andrea an, bevor er dem Bauern nach draußen folgte. Das Madel spürte eine feine Röte im Gesicht und wandte sich rasch ab.
»Da bin ich aber froh, daß sich dieses Problem so schnell gelöst hat«, meinte ihre Mutter ehrlich erleichtert. »Der Thomas macht doch einen recht guten Eindruck, oder?«
Ihre Tochter nickte stumm und ging hinaus.
In ihrer Kammer zog Andrea sich für die Arbeit um. Derbe Hosen, eine dunkle Bluse, die langen, dunklen Haare wurden unter ein Tuch gesteckt. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Trotz der Kleidung sah sie einfach hinreißend aus. Das hatten inzwischen auch die Burschen im Wachnertal gemerkt, die sich einander zu übertreffen suchten, wenn es darum ging, dem Madel den Hof zu machen. Beim samstäglichen Ball im Löwen drunten in St. Johann konnte Andrea sich kaum vor tanzwütigen Verehrern retten, und ein wenig amüsiert dachte sie daran, wie sich einmal zwei von ihnen ihretwegen so in die Haare gekriegt hatten, daß