Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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sein. Denn egal, wie kaputt ich mich fühlte, wie zersplittert und gebrochen: Mein Körper war es nicht und würde es nie mehr sein. Im Gegensatz zu meinem Bruder konnte ich nicht sterben, ihm nicht folgen. Ich war inzwischen zu stark. Trotzte den Gesetzen der Natur, die bei solch einem Sturz mein Leben gefordert hätten. Doch die Unsterblichkeit ließ sich nicht länger unterdrücken. Was dort unten zersplittert war, war der Rest meiner Menschlichkeit. Sie hinterließ etwas vollkommen Unbekanntes. Noch während das Dröhnen des Aufpralls in meinen Ohren widerhallte, fühlte ich meine Zunge heilen. Der Rest von Herakles’ Seele quoll aus mir heraus und landete als schwarzer Schleim im Sand. Ich drehte mich zur Seite und würgte. Der Schnitt an meinem Hals pulsierte. Er zog sich rhythmisch zusammen, während Blut und Seelenreste mich gleichermaßen verließen. Ich röchelte. Schrie. Der Schmerz zerrte an meinen Nervenenden und Muskelsträngen.

      »Warrior!« Einer der Götter – ich wusste nicht genau, welcher – landete neben mir. Der Sand peitschte immer noch heulend durch die Luft.

      Dem Basilisken wurde es endgültig zu viel. Energisch riss er sich von meiner Haut los. Sein gigantischer Leib dehnte sich aus, bis er die stattliche Größe eines Hochhauses angenommen hatte. Sein Körper schloss einen beschützenden Kreis um mich, während seine drei Köpfe böse zischten. Mehr Götter landeten. Doch alles, was ich fühlte, war … Madox.

      Ich krümmte mich. Spuckte einen Schwall Sand aus, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn verschluckt hatte. Der Basilisk preschte auf die umstehenden Götter zu. Er verstand meinen Schmerz nicht. Den Hintergrund dafür. Er reagierte nur instinktiv auf die Verzweiflung, die in meinem Inneren herrschte. Die Götter stoben fluchend auseinander.

      »Warrior! Pfeif das Vieh zurück«, hörte ich Raised schreien. Meine Finger gruben sich in den heißen Boden, während meine Kehle weiterhin verheilte. Gierig sog ich den Sauerstoff tief in meine Lunge, die daraufhin ächzte.

      Neben mir verdichtete sich der zuvor erbrochene Schleim, ballte sich zusammen und formte sich träge zu Herakles’ Körper, der sich nach Luft schnappend aufsetzte. Herakles sah so desorientiert aus, wie ich mich fühlte. Seine blassen Augen zuckten zwischen mir, dem Basiliken und den anderen Göttern hin und her. Trotz seiner offensichtlichen Verwirrung schien er die Situation erstaunlich schnell zu erfassen. Wie ein flinkes Wiesel sprang er auf die Füße, schenkte mir einen gehetzten Blick und rannte davon. Ich sah ihm stumm hinterher. Der Basilisk wütete indessen durch den Sand, vollkommen auf die Götter fixiert, die ihrerseits auf das Monster achteten, während sich Herakles aus dem Staub machte.

      Meine Finger zuckten. Ich sollte etwas tun. Was hatten wir nicht alles riskiert, um diesen einzigen bescheuerten Gott einzufangen?

      Madox. Ruckartig schnürte es mir die frisch verheilte Kehle zu. Schmerz jagte durch meine Eingeweide und brachte mich zum Wimmern. Madox war gestorben, für Peace’ Mission, seine blutdürstige Rebellion. Peace hatte darauf bestanden, dass ich mitkam. Untrainiert, weil er ungeduldig gewesen war. Weil wir die Götter hatten einfangen müssen – und jetzt kratzte der einzige Triumph in diesem ganzen Fiasko die Kurve. Alles war umsonst gewesen. Wir hatten so kläglich versagt, dass wir mit dieser Aktion den ersten Platz im Guinnessbuch der jämmerlichen Failrekorde belegen würden. Ich schluchzte und um mich herum wütete Chaos. Die Götter versuchten verzweifelt, an dem Basilisken vorbeizukommen.

      Plötzlich roch ich Ozon. Blitze knisterten in der Luft und schlugen so hart ins Herz des Basilisken ein, dass es ihn zurückschleuderte. Der lange, schuppige Körper krümmte sich im aufgewühlten Sand. Sein Schrei zerriss die schwüle Hitze. Vibrierte in meinem Trommelfell. Er zerbarst zu nutzlosen Rauchpartikeln, die Augenblicke später auf meinen Körper zurückkehrten.

      Ich wimmerte, als der Tod des Schlangentiers mein Herz zusammenquetschte. Trotzdem rührte ich mich nicht vom Fleck. Wenn ich Glück hatte, traf mich auch einer von Peace’ Blitzen und ich würde zu Rauch verpuffen. Dann würde zumindest dieser Schmerz aufhören. Dieses Loch in meiner Seele, das mein Bruder hineingerissen hatte. Leider geschah nichts dergleichen. Stattdessen fühlte ich zwei starke Hände, die mich packten und auf den Rücken drehten. Ich starrte nach oben. Peace stand über mir. Das blaue Haar fiel ihm wirr in die zerschossene Stirn. Die Wunde hatte sich noch nicht geschlossen. Silbernes Blut rann ihm über das Gesicht und tropfte über das Kinn. Es hatte etwas Hypnotisches an sich. Der Platz an seinem ehemals rechten Auge war leer und fleischig. Der Knochen, der einst die Augenhöhle eingefasst hatte, schimmerte hervor. Die Haut roch verbrannt und Schmauchspuren zogen sich über seine Wange bis zu seinem Ohr hinauf. Mehr als die Hälfte seines Gesichts war zerstört worden. Genau wie mein Inneres. Nur dass man mich wahrscheinlich nicht mehr zusammenflicken konnte.

      »Warrior!«, hauchte er zitternd. Der blanke Horror stand ihm ins blasse Gesicht geschrieben. Er tastete hektisch über meinen Körper. »Bist du verletzt? Kannst du atmen? Wo hast du Schmerzen?« Die Worte schossen aus seinem Mund wie knallharte Befehle.

      Ich röchelte. Das musste als Antwort genügen.

      »Gefährtin! Mach den Mund auf! Wo sind deine Verletzungen?« Grob schüttelte er mich. Ich spürte seine Angst um mich in jedem hektischen Atemzug, jedem Zittern seiner Finger.

      Peace’ Gestalt verschwamm unter dem Schwall aus Tränen, der meine Augen füllte. Warum fragte er überhaupt nach meinen Verletzungen? Hatte er eine Ahnung, wie er aussah? Jemand musste ihn dringend zum Doc schaffen und zusammenschustern. Ich selbst war vollkommen zufrieden damit, hier liegen zu blieben und einen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Nein … Moment … den hatte ich längst. Hätte ich schon viel früher machen sollen.

      »Warrior, komm zu dir!«

      Es klatschte. Meine Wange brannte. Ich blinzelte irritiert und fixierte Peace. Diese Ohrfeige … aua! Das war häusliche Gewalt, war ihm das klar? Normalerweise hätte ich ihm für diese Aktion den Arsch aufgerissen. Sein herausfordernder Blick schien genau diese Reaktion aus mir herauskitzeln zu wollen. Doch mein Hirn machte schlapp. Meine Finger zuckten, ansonsten tat sich bei mir nichts.

      »Was ist mit ihr?« Charming tauchte neben uns auf. Sein blondes Haar wehte im Wind der roten Wüste und sein Gesicht war, wie offenbar bei uns allen, zur Unkenntlichkeit mit Dreck verschmiert. Zerflossener Kajal malte schwarze Streifen rund um seine Augen. Er erinnerte mich an einen niedlichen Waschbären.

      »Ich weiß es nicht«, presste Peace hervor. »Sie reagiert einfach nicht.«

      »Peace!« Raised tauchte ebenfalls auf. Er sah nicht minder mitgenommen aus als Charming oder Peace. Seine braune Hand legte sich auf Peace’ linke Schulter und drückte sie eindringlich. »Wir sollten von hier verschwinden. Charming oder ich nehmen Warrior. Du musst zum Doc. Jetzt!«

      »Nein!«, sagte Peace.

      Bei den Göttern! So viel Sturheit in einem so kurzen Wort.

      Raised knurrte frustriert. »Nichts für ungut, Alter, aber dein Gesicht sieht aus, als hättest du bei Saw verloren.« Raised brachte es eindeutig auf den Punkt.

      »Erst muss ich wissen, ob es Warrior gut geht!«

      »Peace …«

      »Sie bewegt sich nicht! Sie sagt nichts und ich fühle … keine Ahnung … nichts. Warrior, sag was.« Wieder schüttelte er mich verzweifelt.

      Hilflos starrte ich ihn an.

      Raised warf seinem Freund einen bestimmten Blick aus pechschwarzen Augen zu. »Peace, ganz im Ernst. Warrior geht es beschissen. Ihre Seele schreit innerlich so laut, dass ich taub werde. Vielleicht nimmst du sie besser mit. Wir können ihr wahrscheinlich gerade nicht helfen. Nicht so.« Er deutete abfällig auf den heißen, aufgewühlten Sand. Schöner Sand. Netter Sand. Hier konnte ich bleiben. Für immer.

      Peace’ Gesichtsfarbe wechselte in so kurzer Zeit die Farben, dass er locker einen Job als Chamäleon hätte bekommen können. Erst rot, weiß, dann leicht gelbstichig, bis er wieder bei käseweiß angelangt war. »Was ist mit dir?«, fuhr er mich an. Er packte mich und hob mich hoch, obwohl er sich selbst kaum auf den Füßen halten konnte. Wir taumelten. Ich rutschte in seinem Griff hinab und schlug erneut auf, ohne mit der Wimper zu zucken.

      »Was


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