Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
streichelte Fee die raue Hand der jungen Bäckerin. »Deshalb habe ich dir auch zu danken. Deine Liebe und Zuversicht machen mir Mut, diese tückische Krankheit zu besiegen.«
»Das musst du auch!« Tatjanas Stimme war vehement, fast streng. »Und wenn du wieder gesund bist, backe ich dir eine Willkommens-Torte. Du wirst Augen machen!«
»Das glaube ich dir auf’s Wort«, versicherte Fee und meinte es auch so.
Trotzdem gelang es ihr nicht, ein Gähnen zu unterdrücken. Die Erschöpfung steckte ihr in den Gliedern. Eine Ruhepause war ihr trotzdem nicht vergönnt. In dem Moment, als ihr die Augen zufallen wollten, kam Lernschwester Carina mit einem Auftrag ins Zimmer.
»Sie sind ja noch wach, Frau Dr. Norden!«, stellte sie zufrieden fest. »Das trifft sich gut. Ich soll Sie darauf vorbereiten, dass die Physiotherapeutin gleich zu Ihnen kommt. Es wird Zeit, Ihren Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.«
Mit einem gequälten Seufzen drückte sich Fee fest in die Kissen.
»Ich bin so müde!« Doch wenn sie gehofft hatte, ihrem Schicksal damit zu entgehen, so hatte sie sich getäuscht.
»Sie werden sehen: Nach der Therapie schläft es sich gleich doppelt so gut«, versprach Schwester Carina fast feierlich. »In fünf Minuten ist es so weit.« Sie winkte und wirbelte so schnell aus dem Zimmer, wie sie gekommen war.
»Du Arme!« Tatjana beugte sich über Fee und hauchte ihr einen mitfühlenden Kuss auf die Wange. »Aber wie heißt es so schön? Wer rastet, der rostet. Je eher du anfängst zu üben, desto schneller kommst du wieder auf die Beine. Und dann besuche ich zu dich zu Hause und wir beide schmieden bei einem schönen Stück Torte Pläne, wie wir das Café einrichten wollen, wenn es erst mir gehört. Ich hab da so ein paar Ideen und brauche unbedingt deine Meinung dazu.«
Einen kurzen Moment wartete Tatjana auf eine Antwort. Doch das einzige, was sie hörte, waren die regelmäßigen Atemzüge der Ärztin. Allen Ankündigungen zum Trotz war Fee Norden eingeschlafen und würde sich erst wieder wecken lassen, wenn es unbedingt nötig war.
*
Nachdem Danny Norden seine Untersuchung bei Else Unterholzner beendet hatte, schüttelte er bedauernd den Kopf.
»Tut mir leid, Frau Unterholzner. Ich muss Sie zur weiteren Untersuchung in die Klinik schicken.«
»In die Klinik?«, entfuhr es Else. Sie lag auf der Untersuchungsliege und starrte den jungen Arzt an.
Ihrer Miene war anzusehen, wie entsetzt sie über dieses Vorhaben war. »Muss das sein?«
Die Latexhandschuhe schnalzten leise, als Danny sie von den Händen zog. Mit einem gezielten Wurf landeten sie im Abfall.
»Es hat den Anschein, als hätten wir es mit einem komplexen Meniskusriss zu tun. Durch ein MRT kann dieser Verdacht bestätigt, vielleicht aber auch ausgeräumt werden.« Wie sein Vater setzte auch der junge Arzt auf umfassende Aufklärung seiner Patienten. »Aber selbst wenn eine Operation nötig werden sollte, müssen Sie sich keine Sorgen machen. Dieser Eingriff ist heutzutage ein Klacks. Kein Grund zur Aufregung.« Er half Else Unterholzner von der Behandlungsliege und begleitete sie hinüber an seinen Schreibtisch. »Am besten, wir vereinbaren gleich einen Termin in der Orthopädie. Heute ist Freitag. Sie könnten Montag früh in die Klinik gehen.« Er war schon im Begriff, den Telefonhörer zu heben, als Else einen leisen Schrei ausstieß. Verdutzt blickte er auf. »Stimmt was nicht?«
»Ich …ich kann nicht in die Klinik«, stammelte sie und rang ganz offensichtlich um Fassung. »Der Auftrag nächsten Monat … den kann ich unmöglich absagen.« Händeringend suchte sie nach einem Ausweg. »Es muss doch noch eine andere Möglichkeit geben. Meniskus wird doch heutzutage gar nicht mehr operiert«, stellte sie Dannys Kompetenz ohne Umschweife ein weiteres Mal in Frage.
Der junge Arzt lehnte sich zurück und betrachtete seine Patientin aufmerksam. Die nackte Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben und stimmte ihn versöhnlich.
»Bei einer Meniskusverletzung der inneren Zone – und die ist bei einem komplexen Meniskusriss auch betroffen – gibt es keine guten Chancen auf eine Heilung des Schadens«, erklärte er vollkommen ruhig. »Und Sie wollen doch zurück auf den Laufsteg.« Nicht ohne Grund appellierte er an ihre Eitelkeit, und für einen kurzen Moment schien es, als wollte Dannys List aufgehen.
»Sie meinen, dass ich ohne Operation nicht mehr richtig laufen kann? Das wäre eine Katastrophe. Wenn ich nur an die Modenschauen denke …«
»Ich will auf keinen Fall den Teufel an die Wand malen«, erklärte Danny. Ihre Bemerkung wegen seiner ausstehenden Doktorarbeit hatte sich wie ein Feuermahl in sein Gedächtnis eingebrannt, und er wusste, dass er behutsam vorgehen musste. »Falls sich meine Befürchtung jedoch bestätigt, kann ich für nichts garantieren.«
Trotz ihrer Schmerzen saß Else mit elegant übereinander geschlagenen Beinen auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch und dachte nach. Plötzlich glättete sich ihre Miene, und ein fast zufriedener Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit.
»Also gut, ich gehe in die Klinik«, beschloss sie und drückte sich vorsichtig vom Stuhl hoch. »Die Ärzte dort sind ja wohl hoffentlich alle promoviert und werden Ihre Diagnose mit Sicherheit widerlegen.« In diesem Moment waren alle Angst und Unsicherheit aus ihren Augen verschwunden, und die elegante Dame wirkte kämpferisch wie eh und je.
Nur mit Mühe konnte Danny Norden ein Seufzen unterdrücken. Es gab Menschen, denen konnte nicht geholfen werden. Auch er stand auf und begleitete sie zur Tür.
»Wie Sie meinen.« Er wusste, dass jedes Argumentieren vergeblich sein würde.
Diese Patientin würde erst an seine Kompetenz glauben, wenn die Kollegen seine Diagnose bestätigten. Als er ihr nachsah, wie sie mit zusammengebissenen Zähnen den Flur hinunter ging, um im Wartezimmer auf das Taxi zu warten, das sie zuerst nach Hause und dann in die Klinik bringen würde, wünschte er sich einen heißen kurzen Augenblick lang, dass sie wirklich krank war. Gleichzeitig schämte er sich dieses Gedankens und nahm sich vor, die Promotion endlich anzupacken. Else Unterholzners Misstrauen war der Tropfen gewesen, der das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hatte.
*
»Ich liebe meine Arbeit ja wirklich. Aber bei den beiden bin ich froh, dass wir sie erst mal los sind«, stöhnte Janine auf, nachdem sich die Praxistür zuerst hinter Dietlinde May – Dr. Norden senior hatte sich um die rüstige Rentnerin gekümmert – und schließlich auch hinter Else Unterholzner geschlossen hatte. »Was haben wir eigentlich verbrochen, dass wir mit solchen Patienten gestraft werden?«, fragte sie und griff nach der Tasse Kaffee, die auf ihrem Schreibtisch stand.
»Ach, komm schon. Sei nicht so hart. Wer weiß, was die beiden erlebt haben, dass sie so verbittert sind«, gab Wendy in so auffallend mildem Tonfall zurück, dass Janine hellhörig wurde. »Außerdem sind ja glücklicherweise nicht alle Patienten so.«
»Wie meinst du das?« Mit der Kaffeetasse in der Hand versetzte Janine ihrem Stuhl einen Schubs, sodass er sich mit Schwung zu Wendy herumdrehte.
Die saß an ihrem Schreibtisch und lächelte fast verträumt auf eine Pralinenschachtel hinab. Eine einzelne gelbe Rose war darauf befestigt. Der forschende Blick ihrer Kollegin ließ sie wieder Haltung annehmen. Entschieden hob sie die Schachtel hoch und hielt sie Janine hin.
»Genau so, wie ich es gesagt habe. Das ist übrigens von Herrn Holtz. Mit den besten Grüßen.«
»Die sind doch bestimmt für dich«, mutmaßte Janine und registrierte amüsiert die brennende Röte, die Wendy in die Wangen stieg.
»Warum sollte er mir allein Pralinen schenken?« Gleichzeitig beugte sich Wendy tief über die Akten, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen.
»Vielleicht weil du ihm gefällst.«
»Unsinn. Der gute Mann ist acht Jahre jünger als ich.«
»Aha, das hast du also schon rausgefunden?« Mit jeder Minute wuchs Janines Belustigung. »Aber ist er nicht verheiratet? Er trägt doch einen Ehering …« Zu