Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
– natürlich wollte sie!
… Ach Gott – nun musste sie die Goldstücke in ihr Portemonnaie stecken. Wie sie damit ihre Liebe profanierte.
Sie war feige – sie war kein großer Mensch, der sich und seinen Entschlüssen treu bleibt.
Aber was half’s! Nun wollte sie auch einmal wieder von Herzen vergnügt sein.
*
Frau von Woszenska erwartete Agathe auf dem Bahnhof und schleppte sie gleich zu ihrem Manne ins Atelier. Ein starker Duft von Terpentin und ägyptischen Zigaretten drang ihnen entgegen. Der polnische Maler schob die Brille auf seine magere Adlernase herunter und blickte Agathe mit blauen traurigen Beobachteraugen an, während seine dürre lange Hand sie herzlich begrüßte. Er hatte in einem geschnitzten Lehnstuhl gesessen, den Kopf an ein altes Lederkissen gelehnt – seine begonnene Arbeit prüfend. Auf einer Staffelei vor ihm stand eine große Leinwand.
Frau von Woszenska, die, aus Leipzig gebürtig, ein lebhaftes Sächsisch redete, stellte sich neben ihren Mann, legte ihm die Hände auf die Schulter, blickte das Bild mit scharfer Aufmerksamkeit an und rief dann fröhlich:
»So wird’s, Kas! Here mal, mei Kutster – so wird’s!«
Herr von Woszenski wendete sich höflich zu Agathe und sagte:
»Ich wollte es die Extase der Novize nennen.«
Agathe suchte sich in das unvollendete Gemälde hineinzufinden.
Vor einem mit fantastischer Vergoldung prunkenden Altar, auf dem Kerzen im Weihrauchnebel flimmern und blutroter Sammet über weiße Marmorstufen flutet, ist eine junge Nonne in die Knie gesunken – ihr dunkler Schleier, die schweren Gewänder flatternd in geisterhaftem Sturmwind, der mit einem Strom von Glanz durchs hohe Kirchenfenster bricht – unzählige geflügelte Köpfchen, amorettengleiche Engels-Gestalten vom Himmel herabwirbelnd. Und die junge Nonne hat in den erhobenen Armen das Jesuskindlein empfangen.
Ihre Gestalt, die selige Innigkeit ihrer Gebärde waren erst in Kohlenstrichen angedeutet – ihr Antlitz ein leerer grauer Flecken. Aber Agathe seufzte tief in andächtiger Verwunderung, als sie die Meinung verstand.
Frau von Woszenska nahm sie bald mit sich, indem sie ihrem Manne zurief: »Höre, Du – heut gibts nur Eierkuchen und ein Stück Schinken – ich brauche die Köchin.«
Er lächelte einverstanden.
Frau von Woszenska hatte ihr Atelier in der Wohnung, um neben der Kunst den Haushalt überwachen zu können. Sie malte lustige Schulmädchen und blonde Kinder, die einen schwarzen Pudel abrichten. Damit verdiente sie das tägliche Brot und für ihren Gatten die Muße, die er zu seinen großen, unverkäuflichen Werken brauchte.
Nachdem die robuste Dienstmagd Agathes Koffer heraufgetragen und noch einmal Kohlen in den Ofen geschaufelt hatte, legte sie ihr Kleid ab und schälte aus dem berußten Baumwollenstoff ein Paar prachtvolle Schultern und Arme. Sie setzte sich auf ein erhöhtes Podium, Frau von Woszenska zeichnete ernst und eifrig. Agathe stickte eine Decke für Mama und wunderte sich dabei über die Situation im Allgemeinen und im Besonderen über die seltsamen Grimassen, die Frau von Woszenska bei der Arbeit ein unbewusstes Bedürfnis zu sein schienen.
Sie nannte Agathe sofort mit dem Vornamen und »Du«. Auf diese Weise gab sie ihr gleich ein Heimatsgefühl.
Der kleine Sohn Michel kam aus der Schule. Er sah blass und müde aus. Frau von Woszenska schimpfte auf die verrückten Schuleinrichtungen. Sie schnarrte das doppelte »R« so eindrucksvoll, dass der Laut förmlich eine pathetische Bedeutung von Zorn und Leidenschaft erhielt.
Die Köchin hatte ihre Götter-Schultern schon vorher wieder in blauen Gingan gehüllt und brachte dem Kleinen die Suppe. Michael reckte seine dünnen Glieder auf dem Stuhl vor dem Teller und ließ die Winkel seines eingeknifften Mündchens hängen. Er hatte keinen Appetit.
»Das Kind isst wieder nicht … Einem sein Kind in solchem Zustand nach Haus zu schicken!« murmelte Frau von Woszenska. Sie versprach Michel, wenn er essen wolle, zur Belohnung »die traurige Ziegenfratze« oder »die lustige Mohrenfratze«. Die Orang-Utangfratze, erzählte sie Agathe, dürfe sie nur machen, wenn es Kas nicht sehe – die wäre ihm zu unästhetisch.
»Mutter – jetzt hab’ ich ’ne närrische«, sagte Michel, »– – weißt Du, wie unser Klassenlehrer macht, wenn er Fliegen aus den Tintenfässern fischt?«
Der Junge nahm ein Stückchen Brot, holte Reisbröckchen aus seiner Bouillon, schleuderte sie fort und murmelte ingrimmig:
»So ’ne Schweinerei – nee, so ’ne Schweinerei!« Er brachte den Eifer und den Ekel eines vertrockneten Gymnasiallehrer-Gesichtes in erstaunlicherweise zur Darstellung.
Seine Mutter und Agathe lachten laut auf. Frau von Woszenska schüttelte sich vor Vergnügen, in ihren Augen funkelte eine wilde Rachebefriedigung.
»Famos, Michel! Noch mal! Das muss ich auch lernen!«
Michels erschlaffte kleine Züge röteten sich, während er und seine Mutter die neue Fratze probierten. »Du kannst’s, Du kannst’s!« schrie er begeistert. »Jetzt esse ich auch meine Suppe!«
Sich an der Dummheit, der Trivialität, der Hässlichkeit wie an einem seltsamen Genusse zu ergötzen – das war die Weise, in der die drei verfeinerten Menschen sich gegen diese Gewalten wehrten, wodurch sie sich Freiheit und geistreichen Frohsinn bewahrten.
Nannte Woszenski seine Frau bei ihrem Vornamen, so fand er es entzückend, dass die ungewöhnliche Person, deren Bewegungen an ein japanisches Götzenbild erinnerten, welches kurzes, krauses, nach allen Seiten davonstarrendes Negerhaar besaß und grelle aufgeregte Augen – dass sie gerade »Mariechen« heißen musste. Der Gegensatz, den ihr scharfes Organ und ihr Leipziger Dialekt zu seinem gewählten, leicht von ausländischem Akzent berührten Deutsch bildete, hatte vielleicht auf den Entschluss, sie zu heiraten, eingewirkt, als ein subtiler und närrischer Reiz. Ihm waren die gesellschaftlichen und künstlerischen Verhältnisse der Gegenwart so zuwider gewesen, dass er verwundet und ermattet allem den Rücken gekehrt und sich bei einem Einsiedler auf Capri in Kost und Wohnung gegeben hatte, als dem einzigen Menschen, der seinen Nerven nicht unerträglich wurde. Bis Mariechen kam und ihn sich durch ihren sieghaften Humor in die Welt zurück holte.
Am Abend,