Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter


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wenn sie her­aus­be­kom­men woll­te, ob Aga­the oder Wal­ter ge­nascht hat­ten, und frag­te scherz­haft oben­hin:

      »Sag mal – Du – war denn Herr von Wo­szen­ski so sehr in­ter­essant?«

      Aga­the lach­te.

      »Sehr, Mama – wirk­lich – sehr – ach, er ist ent­zückend. Ich hab’ ihn zu gern!«

      »Aber Kind – er ist doch ein ver­hei­ra­te­ter Mann …«

      Die lie­be Mama seufz­te und sah ganz sor­gen­voll aus. »Du bist so ver­än­dert, seit Du zu­rück­ge­kom­men bist …«

      »Mama – nein!«

      Aga­the lach­te noch viel über­mü­ti­ger. »Du denkst, ich habe mich in Herrn von Wo­szen­ski ver­liebt?«

      »Ein biss­chen – na­tür­lich nur ein biss­chen!«

      Frau Heid­ling leg­te die Arme um ihre Toch­ter und zog sie an sich, um ihr das Ge­ständ­nis zu er­leich­tern.

      »Sag’ mir’s, mein Kind!«

      Aga­the wand sich la­chend los.

      »Wirk­lich, Mama, da­von ist ja kei­ne Spur! Aber ge­wiss nicht! Ich schwär­me ja nur für sie alle bei­de. Es sind so lie­be, lie­be Men­schen!«

      »Wenn Du’s sagst, glau­be ich Dir ja – und – und – er hat sich doch nie eine Frei­heit er­laubt?«

      »Nie­mals, Mama«, rief Aga­the em­pört. »Du machst Dir eine ganz falsche Vor­stel­lung von ihm. Er ist ja so de­li­kat. Nein – nein.«

      Und nach ei­ner Pau­se ganz lei­se, in­dem sie ihre Mut­ter küss­te:

      »Es war ein an­de­rer, Mama – ich kann nicht … ver­lan­ge doch nicht, dass ich dar­über re­den soll.«

      Mama strei­chel­te schwei­gend ihr Haar und ging mit dem Licht hin­aus.

      *

      Nach­dem Aga­the an Frau von Wo­szen­ski ge­schrie­ben hat­te, war­te­te sie täg­lich in atem­lo­ser Span­nung auf de­ren Ant­wort. Vi­el­leicht wür­de sie ir­gend et­was über Lutz schrei­ben. Oder wenn auch das nicht – Aga­the ver­lang­te so sehr da­nach, von ihr zu hö­ren – den Post­stem­pel der lie­ben, merk­wür­di­gen Stadt zu se­hen, wo ein neu­es Le­ben für sie be­gon­nen hat­te.

      End­lich be­kam sie einen Brief von Frau von Wo­szen­ski – sehr freund­lich – aber viel zu kurz für ihre Wün­sche.

      Und spä­ter schrieb sie nur noch ein­mal wie­der: sie hät­te zu viel zu tun – nach dem Ma­len wä­ren ihre Au­gen zu an­ge­grif­fen, um zu kor­re­spon­die­ren – Aga­the wis­se doch, dass sie sie trotz­dem nicht ver­ges­sen wer­de, und dass sie bald wie­der­kom­men müs­se.

      Ja – ja – ja –. Aga­the ver­such­te, sich mit der Hoff­nung auf das Wie­der­se­hen zu trös­ten.

      Gott im Him­mel! Wa­rum gab sie nur im­mer gleich so viel von ih­rem Her­zen? Die Leu­te woll­ten es ja gar nicht ha­ben! Wenn sie doch nur stol­zer wäre!

      *

      Am 5. Sep­tem­ber las Aga­the früh­mor­gens in der Zei­tung eine No­tiz: Fräu­lein Da­niel war als Nai­ve für das Thea­ter in M. en­ga­giert wor­den.

      Sie hob das Blatt auf und barg es im Schreib­tisch bei ih­ren Re­li­qui­en: ei­ner Ca­li­can­thus­blü­te aus Bor­nau, die im­mer noch ein we­nig duf­te­te, der Man­schet­te ih­res Kon­fir­ma­ti­ons­bou­quets, Lord By­rons Fo­to­gra­fie und ei­ner Re­zen­si­on über die Ber­li­ner Aus­s­tel­lung, in der Lutz er­wähnt wur­de. Tau­send­mal hat­te sie den ge­druck­ten Na­men schon ge­küsst.

      Ob Lutz am Ende sei­ne Freun­din be­wo­gen habe, nach M. zu ge­hen, um sie hier zu be­su­chen und Aga­the wie­der­zu­se­hen?

      Aga­the hat­te viel über das Ver­hält­nis der bei­den zu ein­an­der ge­grü­belt. Es war doch höchst un­wahr­schein­lich, dass zwei Men­schen, die sich lieb­ten, sich nicht schleu­nigst hei­ra­te­ten. Also lieb­te Lutz je­den­falls Fräu­lein Da­niel nicht. Ir­gend et­was Be­son­de­res muss­te da­hin­ter­ste­cken – ein Ge­heim­nis. Konn­ten sie nicht Ge­schwis­ter sein? Sie sa­hen sich doch wirk­lich ähn­lich. – Wie schön – wie edel von Lutz, eine Schwes­ter, die er aus Ach­tung vor der Ehre sei­nes Va­ters oder sei­ner Mut­ter nicht öf­fent­lich an­er­ken­nen durf­te, mit so heim­li­cher, zar­ter Sor­ge zu um­ge­ben, in ih­rer ge­fähr­li­chen Lauf­bahn rit­ter­lich über sie zu wa­chen! Ja – er wür­de kom­men – si­cher, si­cher!

      Die mat­te, trü­be Zeit war zu Ende! Er wür­de kom­men!!

      *

      Zu­erst hör­te sie bei Wu­trows von ihm re­den.

      »Ich bin heu­te dem Ma­ler be­geg­net, der der Da­niel nach­ge­reist ist«, sag­te Eu­ge­nie, wäh­rend Aga­the ihr half, die Braut­wä­sche mit blau­en Bän­dern zu um­knüp­fen, denn die Hoch­zeit soll­te nun bald sein. »Her­t­ha Hen­ning zeig­te ihn mir. Sie will bei ihm Un­ter­richt neh­men. Ihre Mut­ter ist froh, dass sie sie nun nicht nach Ber­lin zu schi­cken braucht – wenn sie mit­ein­an­der hun­gern, kos­tet’s doch we­ni­ger. Ich fin­de es ziem­lich un­pas­send – er ist noch ganz jung – höchs­tens acht­und­zwan­zig – na – und der hat schon man­ches hin­ter sich.«

      »Wie­so meinst Du?« frag­te Aga­the be­klom­men.

      »Ach, das sieht man doch. Aber was ist Dir denn? Mäd­chen – Du bist ganz blass! Kennst Du denn Herrn von Lutz?«

      »Ich war mit Wo­szens­kis in sei­nem Ate­lier«, stieß Aga­the in ih­rer Fas­sungs­lo­sig­keit her­vor.

      »So – warum hast Du mir da­von gar nichts ge­sagt? Aber so set­ze Dich doch – Du wirst wahr­haf­tig ohn­mäch­tig! Nein – dies Mäd­chen! – Er sieht sehr gut aus – so ein welt­män­ni­scher Chic, den die Her­ren hier bei uns im­mer nur imi­tie­ren. Komm – trink ein Glas Wein!«

      Her­t­ha Hen­ning hat­te also Un­ter­richt bei ihm … Nein – ei­fer­süch­tig konn­te Aga­the auf Her­t­ha nicht wer­den – dazu war de­ren Nase zu lang und zu spitz.

      Sie ver­such­te, einen Stuhl zu zeich­nen – eine Blu­me – es miss­glück­te voll­stän­dig. Sie hat­te gar kein Ta­lent – kei­nen Fun­ken. War das nicht jam­mer­voll? Zu nichts hat­te sie An­la­gen – konn­te nicht den kleins­ten Vers zu stan­de brin­gen. Sie war im Grun­de doch ein ganz ge­wöhn­li­ches Ge­schöpf.

      Und Lutz er­kann­te sie auch nicht wie­der … Als er im Wan­del­gang des Thea­ters auf sie traf, sah er sie flüch­tig an und grüß­te nicht.

      XII.

      Eu­ge­nies und Wal­ters Hoch­zeit wur­de ein großes Fest, mit Pol­ter­abend­auf­füh­run­gen und all der sin­ni­gen Un­ru­he, die der Deut­sche bei ei­nem sol­chen Er­eig­nis ger­ne er­regt. Man schwelg­te in Fa­mi­li­en­ge­fühl – die ent­fern­tes­ten On­kels, die be­jahr­tes­ten Tan­ten wur­den ein­ge­la­den, wa­ren sehr ge­rührt bei der Trau­ung und wärm­ten nach­her in den Ecken mit spit­zen Be­mer­kun­gen alte Fa­mi­li­en­zwi­s­tig­kei­ten wie­der auf.

      Aga­the muss­te un­ter ih­rem ro­sa­sei­de­nen Klei­de die gan­ze stum­me, hoff­nungs­lo­se Qual ver­ber­gen, die ihr Herz seit Mo­na­ten fol­ter­te. Wie leicht wäre es Eu­ge­nie ge­we­sen, die Be­kannt­schaft von Herrn von Lutz zu ma­chen und ihm eine Ein­la­dung


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