Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter


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ihm und re­de­te lei­se auf ihn ein. Er mach­te eine un­ge­dul­di­ge Be­we­gung, schließ­lich folg­te er ihr hin­aus.

      Und gleich stand er aufs neue an der­sel­ben Stel­le, den Hut noch auf dem Kopf.

      Aga­the war es mit ei­nem Mal, als habe sie un­ge­heu­er viel Cham­pa­gner ge­trun­ken. Sie lach­te zu al­lem, was Rai­ken­dorf sag­te und sah ihn mit glän­zen­den, über­mü­ti­gen Bli­cken an. Als sie da­zwi­schen her­um­tanz­ten, ver­lang­te sie keck, auf ih­ren al­ten Platz ge­führt zu wer­den. Da hat­te Lutz auf sie ge­war­tet, und an den frem­den Ge­sich­tern vor­über grüß­ten ihre Au­gen sich.

      Je­mand frag­te den Ma­ler, ob er die Ab­sicht habe, wäh­rend des gan­zen Bal­les den Über­zie­her an­zu­be­hal­ten.

      »Ja – so! – Ich woll­te längst ge­hen – ich muss ja fort«, ant­wor­te­te er.

      … Sei­ne Stim­me – sei­ne lei­se, has­ti­ge, ab­son­der­li­che Stim­me wie­der zu hö­ren …

      Nun wür­de er auf­ge­weckt sein, nun wür­de er ge­hen …

      Nein, er ließ sich den Man­tel von ei­nem jun­gen Man­ne ab­neh­men und auch den Hut ent­rei­ßen. La­chend zeig­te er, dass er kei­nen Frack trug, ein paar Ko­mi­tee­her­ren klatsch­ten Bei­fall und zo­gen ihn tiefer in den Saal.

      Aga­the wur­de von an­de­ren Tän­zern ge­holt, schlen­der­te mit Freun­din­nen in den Räu­men um­her, nahm un­ter Eu­ge­nies Schutz, die als ver­hei­ra­te­te Frau das Recht er­wor­ben hat­te, Mut­ter­stel­le an ihr zu ver­tre­ten, eine Por­ti­on Eis und ein Stück­chen Ku­chen zu sich – über­all fand sie Lutz in ih­rer Nähe.

      Ob es nicht eine Selbst­täu­schung war? Das Glück hat­te et­was so Un­wahr­schein­li­ches.

      »Traum­wand­le­rin«, rief Eu­ge­nie sie an, »sol­len wir Dich in un­sern Wa­gen nach Haus schi­cken? Wir wol­len im Re­stau­rant noch ein Glas Bier trin­ken. Oder möch­test Du auch noch blei­ben?«

      »Blei­ben, blei­ben!«

      Wal­ter lach­te. – Aga­thes Bit­te klang in­stän­dig, als hin­ge ein Schick­sal da­von ab. »Was wer­den die Al­ten sa­gen, wenn Du Dich un­ter un­serm Schutz so un­so­li­de be­trägst?«

      »Lass das Würm­chen«, ent­schied Eu­ge­nie. »Siehst Du nicht, dass sie ohne Mut­tern gleich viel le­ben­di­ger ge­wor­den ist?«

      *

      Lutz hat­te Aga­the an­ge­spro­chen – im Ta­baks­qualm des Re­stau­rants – zwi­schen zwei und drei Uhr mor­gens – und sie ge­fragt, ob sie kürz­lich Nach­richt von Wo­szens­kis ge­habt habe. Und dann bat er sie, ihn mit ih­rer Schwä­ge­rin be­kannt zu ma­chen.

      Er er­in­ner­te sich ih­rer also doch noch.

      *

      Aga­the muss­te am an­de­ren Mor­gen eine or­dent­li­che Straf­pre­digt über sich er­ge­hen las­sen. Für ein jun­ges Mäd­chen schi­cke es sich nicht, nach ei­nem Ball mit Män­nern in der Knei­pe zu sit­zen. Wenn Wal­ter es sei­ner Frau er­lau­be, so wäre das sei­ne Sa­che. Sie soll­te künf­tig nicht mehr mit Wal­ter und Eu­ge­nie aus­ge­hen.

      Das Ko­mi­tee hat­te eine Art von Nach­fei­er ver­ab­re­det. – Lutz woll­te auch kom­men.

      Wür­de Papa sie hin­dern – gut – so ging sie eben heim­lich. Aber sie bat Mama him­mel­hoch, wie sie noch nie­mals ge­be­ten hat­te – denn sie fand es un­wür­dig, dies Quä­len und Bet­teln, das die an­de­ren jun­gen Mäd­chen im­mer­fort mit ih­ren El­tern auf­führ­ten. Und die gute, süße, liebs­te Mama brach­te Papa schließ­lich dazu, ver­dros­sen ein »Ja« zu sa­gen.

      Man blieb nur im klei­nen Saal – gar nicht viel Men­schen.

      Es wur­de ge­ra­de­zu auf­fal­lend, wie Lutz ihr den Hof mach­te. Er tanz­te zwar nicht mit ihr – er tanz­te über­haupt nicht – aber er be­ob­ach­te­te sie, an die Tür zum Rauch­zim­mer ge­lehnt, mit ei­nem hei­te­ren und be­frie­dig­ten Lä­cheln. So völ­lig ging er in die­ser Be­schäf­ti­gung auf, dass er al­len Her­ren, die ihn be­grüß­ten, zer­streu­te und kur­ze Ant­wor­ten gab. Dann zog er sich zu ei­ner Zi­ga­ret­te zu­rück.

      »Aga­the, kommst Du mit, ich su­che Wal­ter«, sag­te Eu­ge­nie, als die­ser Zeit­punkt ein­ge­tre­ten war, fass­te ihre Schwä­ge­rin un­ter den Arm und zog sie ins Rauch­zim­mer.

      »Lass Dir nicht zu sehr mer­ken, dass Du ihn gern hast«, flüs­ter­te sie ihr ins Ohr und ver­ließ sie nach we­ni­gen Se­kun­den in ei­ner lan­gen Un­ter­hal­tung mit dem Ma­ler. Lutz sprach viel und leb­haft, Aga­the hat­te nur halb­lau­te, kin­di­sche Töne als Ant­wort, wie ein furcht­sa­mes klei­nes Mäd­chen. Er muss­te sie für dumm und al­bern hal­ten … die schö­ne, ein­zi­ge Ge­le­gen­heit, ihm zu ge­fal­len, ging un­ge­nützt vor­über.

      Eu­ge­nie hat­te sich für den Abend einen treu­her­zi­gen Fähn­rich zum Op­fer er­ko­ren. Es mach­te ihr den größ­ten Spaß, da­mit ih­ren Mann und den kahl­köp­fi­gen Haupt­mann, der vier­mal in der Wo­che bei ih­nen vor­sprach, zu är­gern. Sie ging auf die Pas­sio­nen des rot­bä­cki­gen Kna­ben in Uni­form ein, ließ sich von sei­ner Mut­ter er­zäh­len und von sei­nen Leib­ge­rich­ten. Und dem wur­de sehr heiß, der rote stei­fe Tuch­kra­gen er­stick­te ihn fast, sei­ne Brust durch­glüh­te tie­fe rit­ter­li­che Ver­eh­rung für die­se an­be­tungs­wür­di­ge Frau.

      *

      Wie son­der­bar – Aga­the sah sich schon bei­na­he am Ende ih­rer Kraft, nun das wah­re Le­ben doch erst be­gin­nen soll­te. Sie war oft ent­setz­lich müde: bei wei­te­ren We­gen in der Stadt wuss­te sie plötz­lich gar nicht mehr, wo sie sich be­fand und ver­moch­te sich nur mit der größ­ten An­stren­gung zu be­sin­nen. Dann kam ihr das Stra­ßen­trei­ben, an das sie doch von Kind­heit auf ge­wöhnt war, un­heim­lich fremd vor, die Häu­ser und die Schil­der an den Lä­den, als habe sie sie nie­mals vor­her ge­se­hen und die Men­schen wie Ma­schi­nen, die nicht aus ei­ge­nem Wil­len gin­gen und sich be­weg­ten, son­dern von ir­gend ei­nem ge­heim­nis­vol­len Mit­tel­punkt aus ge­lei­tet, see­len- und leb­los an ihr vor­über­schnurr­ten und glit­ten.

      *

      In die­ser Zeit er­fuhr Aga­the, ein jun­ger Mann aus ih­rem Krei­se lie­be sie. Er war­te nur auf eine An­stel­lung als Rich­ter und wol­le dann um sie an­hal­ten, sag­ten ihr die Freun­din­nen, und die hat­ten es von sei­ner Mut­ter. Sei­ne Nei­gung war ver­schwie­gen und be­schei­den. Schon jah­re­lang kann­te ihn Aga­the, war ihm im­mer freund­lich be­geg­net und hat­te nie ge­ahnt, dass in ih­rer Nähe ein erns­tes, aus­dau­ern­des Ver­lan­gen nach ih­rem Be­sitz leb­te.

      Der Ge­dan­ke war ihr un­er­träg­lich. Er em­pör­te sie. Kein Fun­ke von Mit­leid er­wach­te in ihr – sie be­han­del­te den jun­gen Mann von dem Au­gen­blick an mit ei­si­gem Hoch­mut. Er wur­de irre an ih­rem Cha­rak­ter, sie schi­en ihm Freu­de an der Grau­sam­keit zu ha­ben. Aber das war ihr gleich­gül­tig, denn er be­lei­dig­te sie. Er soll­te sich nicht un­ter­ste­hen, sie zu lie­ben – er soll­te sich nicht mit sei­nen Träu­men in den Zau­ber­kreis wa­gen, der um sie und den einen ge­zo­gen war, dem ihr Herz ge­hör­te.

      *

      »Ges­tern bin ich in den An­la­gen der Da­niel be­geg­net«, sag­te Re­fe­ren­dar Dürn­heim, »ist die aber ab­ge­fal­len! Die Trep­pe bei dem chi­ne­si­schen


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