Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
Streifen durchzogen. Sie war auf dem Bilde wiedergegeben, ein bronzener Amor sprang aus ihren Falten.
Agathe wagte zu sagen, sie möge Stillleben nicht leiden – aber diese Idee wäre lustig.
Da sah er sie noch einmal schnell und flüchtig an. »Ja? – Meinen Sie? Ich denke auch.«
Sie hörte, dass er Herrn von Woszenski »mein Freund Hamlet« nannte und ihm riet, nach München zu ziehen. Hier würde er kein Modell zu der Nonne finden. »Das Naive ist hier immer gleich roh!«
Schüchtern hatte Agathe sich in dem Atelier umgesehen. Eine kleine Chaiselongue mit blauem Seidenplüsch bezogen – Kissen von verblasstem, blumendurchwirktem Damast auf graziös geschweiften Stühlen – alles andere war ein Gewirr von weichen, einschmeichelnden Farben – Formen – Stoffen – Dunkelheiten, die durch alte Radierungen und Bronzen in die lichte Eleganz gebracht wurden. Die Einrichtung unterschied sich stark von dem herben Künstlergeschmack, der bei Woszenski herrschte.
Niemals hatte Agathe dergleichen gesehen. Aber in ihr tauchte eine Erinnerung auf, als habe sie davon geträumt – als habe sie das alles unbewusst gesucht.
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Sie hob ihre Hand, die der Maler beim Abschied flüchtig gedrückt – ein süßes, liebes Gefühl war ihr in den Nerven geblieben. Zitternd näherte sie sie den Lippen – es war kein Kuss, nur ein leises, behutsames Ruhen des Mundes auf der Stelle, die er berührt hatte. –
Ihr Staunen, von der längst erwarteten, gefürchteten, erhofften Gewalt berührt, ergriffen, eingehüllt und gefangen zu sein, wich mehr und mehr einer schelmischen Neugier auf alles, was nun folgen musste.
Und die Fantasie mit ihren trügerischen Spiegelungen ließ sie im Stich.
Es gab für Agathe nur noch zwei Menschen auf der Welt. Sie mussten sich vereinigen, und das Geheimnis der Vereinigung musste ihr enthüllt werden. Die Neugier wich auch von ihr. Sie war Entweihung.
Das Mädchen stand mitten im Allerheiligsten des Gefühls – sie war bereit – wie Julia bereit war für den Geliebten.
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Während des Mittagsmahles streifte Frau von Woszenska ihren Gast zuweilen mit aufmerksamem Blick. Agathe aß kaum etwas. Auch am Abend nicht. Sie war sehr schweigsam. Doch ein erhöhtes Wohlgefühl vibrierte in ihr. Das Blut klopfte ihr mit stärkerem Pulsschlag in den Adern, es schimmerte rötlicher, gesunder durch die feine Haut der Wangen. Ihr Gang hatte etwas Freies, Leichtes, sie trug den Kopf stolzer und die braunen Haarlöckchen flatterten keck um die Schläfe – um die kleinen heißen Ohren. Wenn das Mädchen irgend eine gleichgültige Antwort geben sollte, lächelte sie den Fragenden mit einem schönen frohen Ausdruck an. Jugend und Leben sprachen beweglich aus ihren feuchtglänzenden Augen.
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… Nein – das war ja nicht möglich Herr von Lutz konnte sich nicht in dunkler Nacht aus himmlischen Höhen zu ihr niedersenken, wie Amor die bebende Psyche fand … Auf der Treppe, die zu Woszenskis Wohnung führte, machte Agathe es sich mit inniger Heiterkeit klar, dass Lutz dieselben Stufen emporsteigen müsse, wenn er sie wiedersehen wolle. Dabei beschlich sie die erste bange Frage, ob das je geschehen würde.
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Das Gedächtnis für diese Zeit ihres Lebens war später fast in ihr erloschen. Sie hatte keine Erinnerung mehr, wann das trunkene Glück sich in Verwunderung, wann die Verwunderung sich zu Angst und die Angst zu dumpfem, quälendem Kummer sich wandelte.
Es geschah alles nicht so, wie sie erwartet hatte. Er kam nicht. Doch sie mussten sich ja wiederfinden. Er wartete wohl auf eine Begegnung, die ihm der Zufall bringen sollte.
Zweifel an dem Eindruck, den sie empfangen hatte, kamen Agathe nicht.
Sie liebte ihn.
Allmählich begann sie zu ahnen, dass Liebe für gewisse Naturen nicht Glück, sondern Leiden ist, und wenn sie nicht zum Höhepunkte gesunden Lebens führt, zur Krankheit wird, an der die Jugend zu Tode welkt.
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In einem Konzert sah Agathe ihn unerwartet dicht vor sich sitzen. Sie hatte ihn nicht einmal gleich erkannt; darüber war sie sehr erschrocken.
Er trug den Kopf ein wenig geneigt. Zuweilen wandte er ihn mit der Anmut, die gerade diese Bewegung bei ihm auszeichnete, zu der Dame an seiner Seite und sprach ein leises Wort.
Agathe wartete in erstickender Spannung, ob er sich aus seinem Stuhl umdrehen und ob sein Blick dann auf sie fallen werde. Er tat es nicht. Er schien sehr hingenommen von dem leisen, aber lebhaften Gespräch, das er in den Pausen mit seiner Nachbarin führte.
Ein ungemein zierliches kleines Wesen war sie und trug ein schwarzes Kleid mit winzigen Perlen bestickt, die leicht glitzerten, sobald sie sich bewegte. Dazu ein braunes Hütchen mit weißem Krepp.
In der Form ihres Kopfes lag eine gewisse Ähnlichkeit mit der des Malers, und auch in der Färbung ihrer Haut, die nichts von dem rosigen Anhauch eines Blondinen-Teints besaß, sondern an den matten Ton des Elfenbeins erinnerte.
Aber Lutz hatte ein richtiges Märchenprinzenprofil – und sie zeigte am Ende des Konzertes Agathe ein drolliges Näschen und einen breiten Mund.
Nun erkannte Agathe sie. Es war die Schauspielerin, die sie vor ein paar Tagen in einer Knabenrolle bewundert hatte. Ihre affektierte Grazie war die einer kleinen Rokokofigur aus einem Fächer, dessen Farben schon ein wenig verblasst sind.
Frau von Woszenska hatte keinen Platz neben Agathe bekommen und saß mehrere Reihen weiter nach vorn. Als Agathe beim Hinausgehen nur noch durch einige Personen von ihr getrennt war, sah sie, wie Lutz zu ihr trat, um sie zu begrüßen. Sein feines nervöses Gesicht nahm einen liebenswürdigen Ausdruck von Güte, ja von Ehrfurcht an. Während er der Schauspielerin folgte, bemerkte er auch Agathe und lüftete noch einmal leicht den Hut. Er lächelte, seine Augen waren träumerisch, die Erinnerung der Musik lag noch darin.
»Ist Fräulein Daniel mit Herrn von Lutz verwandt?« fragte Agathe Frau von Woszenska.
»Nein – ich weiß nichts davon – ich glaube durchaus nicht … Warum?«
»Weil sie sich ähnlich sehen.«
»Ja – Du hast recht! Das ist doch närrisch! Sie ist seine Freundin. Ein gescheidtes Frauenzimmer!«
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Woszenski zeichnete Agathe mehrere Male als Studie zu seiner Novize. Lutz habe ihn auf den Gedanken