Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
er selbst zu sehen schien.
Trotz Agathes Aufforderung erzählte er nichts von seiner Reise; was er drüben getan und erlebt habe, interessiere sie ja doch nicht, sagte er. Auch versuchte er keine jener Neckereien, mit denen er sie sonst oft grausam zu quälen pflegte – bemühte sich sogar, freundlich gegen sie zu sein. Aber die Versuche versanken immer wieder in einer großen Gleichgültigkeit, die seine Haltung, jede seiner Bewegungen und vor allem seine Stimme beherrschte. So schleppte sich das Gespräch trübe und gezwungen, durch Pausen völligen Schweigens unterbrochen, während des langen Diners hin. Wie fremd sie sich geworden waren, die sich doch einst so lieb gehabt!
Alles ging während des ganzen Festtages glatt und gut von statten. Nur einmal hörte die Tischgesellschaft Frau Wutrow von der Küche her mit dem Lohndiener wegen des großen Weinverbrauchs zanken. Ihr Gesicht trug, als sie wieder hereinkam, vor Ärger fast die Farbe ihres rot und blau changierenden Seidenkleides. Aber, wie gesagt, mit Ausnahme dieses kleinen Zwischenfalls war es eine ideale Hochzeit.
Die grüne Myrtenkrone saß Eugenie tadellos auf dem blonden Kopf, der Brautschleier fiel wohl zwei und einen halben Meter lang über die königliche Schleppe; Bei der Trauung hatte er auch ihr Antlitz verhüllt – das fand man so poetisch!
Sie war fast die Munterste unter ihren Gästen. Walter dagegen schien bewegt und still.
Nach dem Diner nahm Eugenie ihren Kranz vom Haupt und setzte ihn Onkel Gustav auf. Die meisten fanden diesen Scherz sehr anstößig. Mit einem Myrtenkranze spaßt man nicht. Der dicke rosenrote Onkel sah außerordentlich komisch in dem unerwarteten Schmucke aus. Es war das einzige Mal, dass Greffinger in ein lautes Lachen verfiel. Eugenie blickte aus ihren Schleierfalten wie aus leichtem Gewölk zu ihm hinüber. Mit der rauschenden milchweißen Schleppe, das Champagnerglas in der Hand, ging sie um den Tisch und stieß mit ihm an. Ihre Lider waren gesenkt, und die goldigen Wimpern zitterten ein wenig, wie die eines Kindes, das um Verzeihung bitten möchte. Sie hob sie zögernd, in ihren Augen lag eine sanfte Bitte. Agathe hörte, wie sie leise zu ihm sprach: »Auf gute Freundschaft!« Er machte ihr eine tiefe steife Verbeugung.
Agathe begleitete sie hinaus, ihr beim Umkleiden zu helfen, sie war aufgeregter als die kühle Braut, welche umsichtig die letzten Anordnungen für die Reise traf.
Nachdem das junge Paar abgefahren war, zog sich Agathe in Eugenies Schlafzimmer zurück und blieb dort mit dem ausgedienten Hochzeitsstaat, der auf den Stühlen umherlag, allein. Sie schluchzte recht von Herzen. Endlich trocknete sie ihre Augen, wusch sich das Gesicht und ging wieder in die untere Etage hinab.
Die Gesellschaft hatte sich zerstreut, die Fremderen waren verschwunden. Im Salon fand Agathe ihre Eltern und den alten Wutrow müde und einsilbig zwischen einem großen Kreise von Verwandten sitzen. Frau Wutrow teilte unter ihre Leute Kuchen aus und begann das Silber fortzuschließen. In dem Erker des Esssaales hatten sich Cousine Mimi von Bär mit ihrem Bruder, Lisbeth Wendhagen, die dritte Brautjungfer, Onkel Gustav und der Prokurist des Geschäftes um einen Rest Bowle versammelt. Jenseits des langen Korridors, nach dem Garten hinaus lag Eugenies Boudoir. Sie hatte, als sie in den Wagen stieg, Agathe gebeten, dort ihren Schreibtisch zuzuschließen und den Schlüssel in Verwahrung zu nehmen. »Mama kramt sonst in allen Schubladen herum – Du bist diskreter, das weiß ich.«
Müden, leisen Schrittes ging Agathe, ihr Versprechen zu erfüllen. Sie hob den Vorhang. Da stand Greffinger, dem Eingang den Rücken wendend, neben dem kleinen Sofa, wo er oft mit den beiden Mädchen gesessen und vergnügten Unsinn geschwatzt – er hatte den Kopf in die wollene Fenstergardine gewühlt – seine breiten Schultern zuckten, Agathe hörte sein stoßweises röchelndes Weinen. Bestürzt stand sie vor diesem Schmerz – zum ersten Mal sah sie die Leidenschaft, die ihre eigene Gesundheit still und rastlos untergrub, bei einem kräftigen Manne ausbrechen. Sie machte eine Bewegung – sie hätte ihn gern in den Arm genommen und mit ihm geweint, ihn gestreichelt und getröstet. In ihrer Schwäche fühlte sie sich jetzt stärker als er – ein solches Elend passte besser zu ihr, als zu dem derben Greffinger.
Aber sie wagte nicht, ihrem Wunsche nachzugeben und schlich vorsichtig zurück. Er hatte sie nicht bemerkt.
*
Nach der Hochzeitsreise zogen die jungen Heidlings in die obere Etage des Wutrow’schen Hauses, die für sie mit modernen Tapeten, altdeutschen Öfen und Parquetfußböden neu hergerichtet worden war.
Eugenie spielte nun ein reizendes Hausmütterchen. Walters Kameraden feierten sie als das Muster der deutschen Offiziersfrau. Es bildete sich ein Sport bei den jungen Herren aus: Heidling zum Dienst abzuholen, nur um in der frühen Morgenstunde Eugenie in den neuen Negligés und dem koketten Spitzenhäubchen an der Kaffeemaschine zu sehen und eine von ihren geschickten Händen schnell bereitete Tasse Mokka im Stehen herunterzustürzen.
Abends konnte man regelmäßig ein bis zwei Lieutenants, auch wohl einen unverheirateten Hauptmann bei Heidlings finden.
Der fröhliche Jugendverkehr zog nach Walters Heirat ganz natürlich zu den jungen Leuten hinüber. Man bekam hier ein eben so gutes Abendessen und durfte sich doch ungenierter gehen lassen, als unter den Augen des Regierungsrates.
Agathe war zwar von Eugenie ein für allemal eingeladen, aber sie mochte die Eltern nicht viel allein lassen. Papa hatte es gern, wenn sie vorlas. Manchmal freilich war er auch zum Hören zu angegriffen und saß schweigsam, verstimmt mit seiner Zigarre in der Sofaecke. Oder er musste auch noch arbeiten und liebte es dann, von seinen Akten aufblickend, durch die geöffnete Tür ihren braunen lockigen Kopf unter dem Lampenlicht zu sehen, wie sie der Mama half Wäsche stopfen. Das waren eintönige Abende. Agathe konnte die Einsamkeit, in der sie früher endlosen, glücklichen Träumereien nachhing, nicht mehr gut ertragen.
Die Eltern hatten mit Wutrows und den jungen Leuten zusammen im Theater abonniert. Das Billet kam nur selten an Agathe – es war jedes Mal ein aufregendes Ereignis. Früher hatte sie nur Sinn und Begeisterung für Tragödien gezeigt – das hatte sich nun geändert. In den großen Dramen gab es selten Rollen für die Naive. Und nur wenn die Daniel auftrat, war Agathe sicher, Lutz im Theater zu finden.
Eugenie wusste das freilich ganz genau, aber sie und ihr Mann zogen auch Lustspiele und Possen vor, und bitten konnte Agathe nicht um ein Billet – nein – es war furchtbar, wie sie sich schämte und fürchtete, um dieser unglückseligen Liebe willen.
Lutz