Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
kostbar, als er die Villa beschrieb, die er mit ihrem Gelde bauen wollte, wenn er sich entschließen könnte … Da hätten Sie dabei sein müssen. Ein famoser Kerl …«
Der Sprecher wurde angestoßen. Agathe Heidling war in der Nähe. Vor jungen Damen redete man doch nicht in dem Ton.
Sie hatte den Ton gehört. Diese widerwärtigen Männer!
Nein – die Schwester von Lutz war Fräulein Daniel doch wohl nicht. Aber eine Schauspielerin konnte sich unmöglich eingebildet haben, sein Weib werden zu wollen … die selbst erzählt hatte, dass sie mit einer Wandertruppe auf den Dörfern herumgezogen war und mit dreizehn Jahren den alten Moor gespielt hatte – die sich schminkte und von wer weiß wie vielen Männern alle Abende vor dem Publikum im Arm gehalten und geküsst wurde … Die war doch kaum als ein richtiger Mensch zu betrachten – als ein Mensch wie Agathe selbst.
*
Es kam ein Sonntag, an dem Eugenie in der Breiten Straße mit Herrn von Lutz verabredete, ihn zum Kaffee bei sich zu erwarten.
Und wenn es nicht ein bedeutungsvolles Merkmal war, dass der Maler, der für das Wesen und die Formen der bürgerlichen Provinz-Eleganz stets eine lächelnde Verachtung zeigte, sich ihr in diesem Falle soweit anbequemte, zwischen zwölf und ein Uhr mittags der Breiten Straße seine Gegenwart zu gönnen – dann wusste Agathe nicht, welche Zeichen sie sonst noch erwarten sollte. Eugenie gab ihr recht.
Wie oft, seit Ada sich für Kain mit grünen Blättern kränzte, haben Mädchen vor klaren Bächen und Metallplatten, vor venezianischen Kristallen und zerbrochenen Scherben gestanden … Wie oft haben sie selig und zweifelnd, in zaudernder Unsicherheit oder lächelndem Selbstbewusstsein sich für den Geliebten geschmückt … Und wie oft haben sie fehlgegriffen in der Bangigkeit ihres Herzens – den Schmuck gewählt, der dem unbekannten Geschmack des erwarteten Gebieters am wenigsten zusagte! Wie schwer ist die Wahl zwischen dem schönsten Anzug und dem kleidsamsten – zwischen Putzsucht und Eitelkeit. Und er soll ja nicht ahnen, was man für ihn getan – das Festlichste soll alltägliche Gewohnheit scheinen. Aber die Hand bebt und Flimmerfunken tanzten vor den Augen – warum fällt heute – nur heute, das Löckchen am Ohr so absichtlich – warum will an diesem einzigen von allen Tagen die Schleife nicht gelingen?
Schon standen die Mokkatäßchen geleert auf Eugenies silberglänzendem Kaffeetisch – der Hauptmann und der Fähnrich rauchten – Walter rauchte – Eugenie hielt eine Zigarette zwischen den Fingern und Agathe saß still und steif, die Hände im Schoß gefaltet. Der Hauptmann schlug einen gemeinsamen Spaziergang vor – Lutz war noch nicht erschienen.
Die Herren empfahlen sich.
Agathe blieb zum Abend bei den Geschwistern. Nach Mitternacht musste sie doch endlich gehen.
Nun war es wohl zu Ende.
*
Er hatte sein Bild nach Paris absenden wollen, der Tischler ließ ihn im Stich – es war der letzte Termin zur Annahme bei der Jury – er hatte es selbst packen und am Sonntag Nachmittag zur Bahn hinausfahren müssen.
Herr von Lutz erzählte es Agathe, als er sie acht Tage später im Kunstverein traf. In ihr war alles still und stumm – es mochte ja so gewesen sein. Ein abgestorbenes Gefühl im Herzen … Sie wunderte sich über ihre große Ruhe.
Lutz fragte, ob ihre Schwägerin jeden Sonntag Gäste empfange? Ob er heute kommen dürfe? Er würde sie doch auch treffen?
»Ich bin meistens dort«, antwortete sie ohne Freude.
Sie bereitete sich nicht vor – sie änderte nichts an ihrem Anzug. Am liebsten wäre sie überhaupt zu Haus geblieben, so sehr fürchtete sie sich, noch einmal Ähnliches durchleiden zu müssen, wie am letzten Sonntag.
Und gerade heute wollten die Eltern auch mitgehn.
Während sie zwischen ihnen in der Pferdebahn saß, betete sie in krampfhafter Andacht alte Gesangbuchverse.
Eins ist Not, ach, Herr, dies Eine
Lehre mich erkennen doch.
Alles andre, wie’s auch scheine,
Ist ja nur ein schweres Joch,
Darunter das Herze sich naget und plaget
Und dennoch kein wahres Vergnügen erjaget –
Erlang’ ich dies Eine, das alles ersetzt,
So werd’ ich mit Einem in Allem ergötzt.
Seele, willst Du dieses finden,
Such’s bei keiner Kreatur –
Lass, was irdisch ist, dahinten.
Schwing Dich über die Natur,
Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet,
Wo alle unsterbliche Fülle erscheinet –
Da, da ist Dein bestes, Dein seligstes Teil,
Dein Ein und Dein Alles – Dein ewiges Heil!
Wenn sie sich soweit bezwingen konnte, nichts mehr zu erwarten – gar nichts – dann vielleicht – dann hatte Gott vielleicht Erbarmen – –.
Im Flur bei Walters hing der wohlbekannte Paletot von Lutz am Haken, und darunter standen die großen närrischen Überschuhe.
Ängstlich horchte Agathe auf seine Unterhaltung mit Mama – die beiden hatten doch auch gar keine Berührungspunkte. Warum wollten die Eltern sie heute durchaus begleiten? Wie kam es nur? Es war ganz unmöglich, sich vorzustellen, dass Lutz jemals mit den Eltern auf freundschaftlichem Fuß verkehren konnte, trotzdem er doch fein und geschmeidig war. – Ach, du lieber Himmel, nun fing Papa sogar an, mit ihm über Kunst zu sprechen – so ganz von oben herab. Wie pedantisch das alles klang, und Lutz hörte ihm auch nur zerstreut zu, bis er plötzlich lebendig wurde und sich für einen Franzosen, den ihr Vater als überspannt bezeichnete, leidenschaftlich begeisterte. In seiner Gegenwart trat Walters geistige Unbedeutendheit peinlich hervor, und Eugenies Wesen wirkte aufdringlich, absichtlich. Hätte sich Agathe nun der Unterhaltung bemächtigen können, reizende, überraschende Sachen sagen – ihn fesseln – ihn in Erstaunen versetzen … Aber sie wusste es schon im voraus – alles war vergebens. Was konnte ihn denn entzücken? – Ihn? – Ihre Stimme war auch wieder fort.
Wären nur ein paar Freunde noch da gewesen, die Aufmerksamkeit abzulenken. Eugenie beobachtete sie – Mama ahnte auch schon – warum waren die Eltern mitgekommen, wenn ihnen nicht jemand verraten hätte, dass sich etwas anspann …
Und doch, und doch – ihn neben sich, ganz nahe zu haben,