Milchfrau in Ottakring. Alja Rachmanowa

Milchfrau in Ottakring - Alja Rachmanowa


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      Alja Rachmanowa

      Milchfrau in Ottakring

      Alja Rachmanowa

      Milchfrau in

      Ottakring

      Tagebuch aus

      den dreißiger Jahren

      Mit einem Vorwort von

      Dietmar Grieser

      Besuchen Sie uns im Internet unter:

      www.amalthea.at

      Sonderproduktion 3. Auflage 2008

      © 1997 by Amalthea Signum Verlag, Wien

      Umschlaggestaltung: Bernd und Christel Kaselow, München

      Umschlagbild: Photo-Antiquariat H. Seemann, Wien

      Herstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger

      & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

      Gesetzt aus der 10,5/13 Punkt Garamond

      auf Apple Macintosh in QuarkXPress

      Druck und Binden: GGP Media GmbH, Pößneck

      Printed in Germany

      ISBN 978-3-85002-923-0

      eISBN 978-3-90286-239-6

      Vorwort

      von Dietmar Grieser

      Als Mitte der Siebzigerjahre mein Buch »Piroschka, Sorbas & Co.« erschien, mit dem ich den Versuch unternahm, den leibhaftigen Urbildern populärer literarischer Gestalten auf die Spur zu kommen, erreichte mich eine Fülle von Leserpost. Das wunderte mich nicht: Zu erfahren, daß das »Modell« des Knaben Tadzio aus Thomas Manns »Tod in Venedig« als inzwischen verarmter Greis in der Nähe von Warschau vegetierte, daß sich hinter der Teta Linek aus Franz Werfels Roman »Der veruntreute Himmel« niemand anderer als Alma Mahler-Werfels ehemalige Köchin Agnes Huizd versteckte und daß ein Pariser Clochard, der – ohne erkennbares Motiv – im Jänner 1938 ein Messerattentat auf Samuel Beckett verübt hatte, den Dichter zur Figur des Landstreichers Wladimir in dem Theaterstück »Warten auf Godot« inspiriert hat, mußten für Literaturfreunde, die sich für die geheimnisvollen Zusammenhänge von Realität und Fiktion interessieren, Aha-Erlebnisse der besonderen Art sein.

      Doch die Briefe, die ich erhielt, bezogen sich fast allesamt auf zwei andere Figuren. Nicht auf Tadzio, Teta und Wladimir. Und auch nicht auf den Milchmann Tewje, den streitbaren Pfarrer Don Camillo oder das Käthchen von Heilbronn.

      Sondern auf Theodor Fontanes Effi Briest, deren »Abstammung« von der märkischen Freifrau Else von Ardenne bis dahin ein strenggehütetes Familiengeheimnis gewesen war.

      Und auf eine Figur, die in meinem Buch gar nicht vorkam: die »Milchfrau in Ottakring«.

      Vor allem ältere Leserinnen aus dem Raum Wien waren es, die mich auf sie aufmerksam machten und mit der Bitte bestürmten, doch auch dieser Spur nachzugehen: Wer verbarg sich hinter dem ominösen Namen? Was ist aus dem »Original« geworden? Hat sie tatsächlich gelebt? Oder lebte sie gar noch?

      Was mir an all den »Milchfrau«-Briefen auffiel, war ihr leidenschaftlicher, ihr besonders engagierter Ton. Manche der Schreiberinnen ließen anklingen, welch’ aufwühlende Erfahrung es für sie gewesen sei, vom Schicksal dieser Romangestalt zu hören, mit welcher Erschütterung sie das Buch verschlungen hätten – damals in den Dreißigerjahren. Die »Milchfrau in Ottakring« schien in der Erinnerung ihrer Leserschaft geradezu mythische Züge anzunehmen, Züge einer »Kultfigur«, wie das heute heißt.

      Ich wurde hellhörig.

      Und mußte zunächst einmal zugeben, daß mir der Name absolut nichts sagte. Ich wußte von keiner »Milchfrau in Ottakring«, hatte das Buch nie gelesen, von seiner Autorin nie gehört.

      Eine Wiener Vorstadtlegende? Ein weiblicher Weinheber? Ein früher Vorgänger von Ernst Hinterbergers Mundl-Story »Ein echter Wiener geht nicht unter«?

      Ich ging also daran, mir das Buch zu beschaffen, es kritisch zu prüfen.

      Doch da fingen die Schwierigkeiten schon an: Es war nicht aufzutreiben! Im Buchhandel war es seit langem vergriffen, aus den Bibliotheken war es ausgemustert, in den Antiquariaten setzte man mich auf die Warteliste. Und die wenigen unter meinen Bekannten, die es besaßen, mochten es nicht hergeben, hüteten es wie einen kostbaren Schatz.

      Nach und nach klärte sich auf, wieso diese »Milchfrau in Ottakring« zu einer solchen Rarität geworden war: Das Werk war zweimal von Amts wegen aus dem Verkehr gezogen worden. Zuerst von den Nationalsozialisten, die der Autorin – ihrer religiösen Grundhaltung wegen – den Zutritt zur Reichsschrifttumskammer verwehrt hatten. Und nach 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht. Während es für vom NS-Regime verfolgte Schriftsteller der Regelfall war, daß sie mit dem Zusammenbruch des Tausendjährigen Reiches umso triumphaler auf den Buchmarkt zurückkehrten, blieb bei Alja Rachmanowa (so der Name der »Milchfrau«-Autorin) der Bann auch nach dem Krieg aufrecht: Erst 1950 ließen die Sowjets von ihrem »Njet« ab.

      Was mochte es sein, das diese Exilrussin und österreichische Neubürgerin Alja Rachmanowa so gefährlich machte? Wie kam es, daß sie mit ihren Büchern quasi zwischen allen Stühlen saß?

      Die Lektüre gab darüber rasch Aufschluß. Denn inzwischen war es mir gelungen, ein antiquarisches Exemplar der »Milchfrau« zu ergattern – sogar in vorzüglicher Kassettenausstattung: zusammen mit den beiden vorangegangenen Rachmanowa-Titeln »Studenten, Liebe, Tscheka und Tod« sowie »Ehen im roten Sturm«.

      Mein erster Eindruck: Kein »Zauberberg«, keine »Strudlhofstiege«. Jedenfalls nichts, was sich der hohen Literatur zuschlagen ließ. Doch das sollte für mich kein Problem sein: In meinem Kunstbegriff hatte neben dem Erhaben-Elitären immer auch das Einfache und Wildwüchsige seinen festen Platz. Und das war diese »Milchfrau in Ottakring« par excellence: ein Stück erlebter Zeitgeschichte, ein Passionsdrama von höchster Authentizität, ein »document humain« ersten Ranges. Was Jahrzehnte später – vor allem im Zuge der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit – auch auf dem Buchmarkt einen Boom auslösen sollte, war hier – am Beispiel einer Frau, die sich mit den Ihren, aus der bolschewistisch gewordenen Heimat vertrieben, im Österreich der späten Zwanzigerjahre heroisch durchs Leben schlug – aufs packendste vorweggenommen. Und vorweggenommen war auch die in den Achtzigerjahren in Mode kommende Protokoll-Literatur, die sich der löblichen Aufgabe unterzog, den ganz normalen Alltag des sogenannten kleinen Mannes für künftige Zeiten und Generationen festzuhalten, von Helfern per Tonband eingefangen, niedergeschrieben und in Form gebracht.

      Davon konnte freilich bei Alja Rachmanowa und der »Milchfrau in Ottakring« keine Rede sein. Hier war nichts »normal«, hier war keine unbeholfene Zeitzeugin ins Verhör genommen worden, hier war kein schriftstellerischer Laie am Werk. Sondern ein Profi, dem man allenfalls Naivität anlasten konnte, hausbackenen Stil mit Neigung zu Pathetik und Schwulst. Aber konnten solche beckmesserisch-ästhetisierenden Einwände ernstlich ins Gewicht fallen angesichts der Dramatik dieses Frauenschicksals?

      Während ich mich also noch von dem immensen Sog, der von diesen 332 Seiten Tagebuchaufzeichnungen ausging, in die Lektüre der »Milchfrau« hineinziehen ließ, trafen mit der Post laufend weitere Leserzuschriften ein: Es meldeten sich Leute, die in jungen Jahren Alja Rachmanowa selber begegnet, die bei ihrem Mann, dem aus Salzburg stammenden Deutschprofessor Arnulf Hoyer, in die Schule gegangen oder die zusammen mit ihrem Sohn Jurka in den Krieg gezogen waren. Und dann schließlich die elektrisierende Nachricht aus der Schweiz: Alja Rachmanowa lebt! Zurückgezogen, hochbetagt und sterbenskrank. Aber: Sie lebt.

      Ich beschaffte mir die Adresse, die Telefonnummer: Ettenhausen im Kanton Thurgau. Doch ein Kontakt kam nicht mehr zustande – auch später nicht: Die mittlerweile fast Neunzigjährige hob den Hörer nicht ab, ließ seit längerem alle Post unbeantwortet, war für jeden Handgriff auf die Pflegerin aus dem Nachbarhaus angewiesen. In deren Armen hauchte die »Milchfrau in Ottakring« am 11. Februar 1991


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