Milchfrau in Ottakring. Alja Rachmanowa
und wie eine Biene trage ich ihn mir zusammen. Die Biene sammelt Honig, ich sammle die Leiden der Menschen. Über die weite russische Erde wandere ich und sammle ihren Kummer. Und wenn es schon so viel wird, daß ich es nicht mehr tragen kann, dann gehe ich nach Jerusalem oder zu irgendeinem Heiligen und breite das ganze Menschenleid aus, das ich gesammelt. Und bete dann für die Menschen. Denn sie haben viel zu tun und haben keine Zeit, zu beten. Und wenn ich dann sehe, daß ihnen Gott verziehen, dann gehe ich hinweg und beginne von neuem, das menschliche Leid zu sammeln . . .«
»Und verzeiht Gott allen?« fragte ich sie.
»War da einmal folgendes«, sprach sie: »Ich befand mich gerade in dieser Gegend und trat ins Haus eures Onkels, des Gatten der Lisaweta Petrowna. Er ist ein jähzorniger Mann und haßt mich. Als er mich erblickte, schrie er: ›Verjagt diese alte Bettlerin!‹ Da stellte ich mich vor ihn hin und sprach: ›Jakow Iwanitsch, du wirst nicht mehr länger als ein halbes Jahr leben. Blicke auf mich, ich werde deinen Blick hinwegtragen und für dich beten!‹ Aber er wurde nur noch zorniger. Doch ich hatte seinen Blick schon eingefangen und ging fort. Nach einem halben Jahre kam ich zum Grabe des Herrn und betete auch für ihn. Da fühlte ich, wie es ganz dunkel wurde in meiner Seele. Es ist ein so eigenes Gefühl, wenn Gott ein Gebet nicht annimmt. Nun, dachte ich, er ist wohl gestorben und hat noch in seinem Tode Böses getan. Ganz furchtbar wurde mir zumute für ihn. Als ich wieder nach Hause zurückkehrte, erfuhr ich, daß er an seinem Sterbebette bestimmt hat, alles Geld und das Haus, das er als Mitgift mitbekommen, falle seinen Verwandten zu. Seiner Frau vermachte er einen einzigen Rubel in Silber. Noch über das Grab hinaus hat er sich über sie lustig gemacht. Jahrelang wandere ich nun schon mit seinem Blicke von einem Heiligen zum andern, aber noch immer habe ich keine Verzeihung für ihn erbitten können. Das Schrecklichste ist es, ein böser Mensch zu sein. Ein böser Mensch ist der unglücklichste Mensch. Es ist nur Nebel und Finsternis in seiner Seele und seine Bosheit ist schon seine Strafe für ihn … Und doch möchte ich auch ihn bei Gott herausbeten! Wer sollte denn für ihn beten, wenn nicht ich? Er hat doch in seinem ganzen Leben niemandem etwas Gutes getan!«
Diese Worte waren mir so ins Herz gedrungen und hatten mich so tief erregt, daß ich damals begonnen habe, die Menschen anders anzublicken, als ich es bisher getan. Ich wollte die Blicke ebenso sehen, wie die Mutter Dorofeja.
»Mein liebes Kind«, sagte sie mir da einmal, »sei vorsichtiger mit den Seelen der Menschen! Ein schweres Geschäft ist das! Eine fremde kann nur der in sich aufnehmen, der selbst eine Seele hat wie Stahl. Es ist nicht leicht, fremdes Leid zu sammeln! Mit anderen hast du Mitleid und selbst zerbrichst du vielleicht dabei. Fremdes Leid in seiner Seele zu tragen ist schwerer als eigenes. Wie eine schwere Last legt es sich in dein Herz. Allen willst du helfen, aber es ist nicht leicht, denn selten wollen es die Leute selbst, daß man ihnen helfe. Die größte Hilfe ist es, in ihnen den Wunsch zu erwecken, daß sie sich selber helfen möchten …«
Da schreckte ich auf. Es war der Lärm, den der Milchkutscher verursachte. Das heißt, es war vier Uhr früh. Noch einmal tauchte das Bild der Mutter Dorofeja vor mir auf.
»Am besten hilft sich der Mensch selbst. Und wer das will, der wird es schon verstehen!« hörte ich sie sagen.
Ich erwachte ganz. Durch das Fenster sah ich mit einer Kerze in der Hand den Bäcker schleichen, der immer um vier Uhr fünfzehn sich zur Arbeit begibt.
Der Traum war zu Ende, die Wirklichkeit begann. Ich mußte aufstehen, aber ich wußte, daß ich in der folgenden Nacht davon träumen würde, wie die Mutter Dorofeja den Onkel Wasja vor der Heirat mit der schönen, aber schlechten Ksenia Nikolajewna bewahrte.
1 Osterspeise.
1 Berühmtes Kloster.
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