Milchfrau in Ottakring. Alja Rachmanowa

Milchfrau in Ottakring - Alja Rachmanowa


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eine Waschrumpel hatte ich nicht und so mußte ich aus der Schüssel mit den Händen waschen.

      Als erste kam die Hausbesorgerin zu mir. Ohne anzuklopfen trat sie herein, stellte sich hoheitsvoll vor mich hin, und mit feierlicher Stimme erklärte sie:

      »Heute ist Freitag! Die Wäsche muß um fünf Uhr beendet sein, der Fußboden und die Kessel müssen gereinigt sein. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, muß ich Ihnen den nächsten Waschtag entziehen!«

      Während sie sprach, betrachtete sie neugierig meine Wäsche.

      »Was ist denn das?« fragte sie. »Ein Handtuch? Hat man denn in Rußland immer so lange Handtücher? Und wäscht man in Rußland ohne Rumpel und ohne Waschtrog? Und warum waschen Sie in denselben Schuhen, die Sie im Geschäfte tragen? Das haben die Kunden nicht gern. Und was ist das? Ist das Ihre Bluse? Und das? Hat Ihr Mann solche Hemden?«

      Und so ging es weiter. Geradezu systematisch nahm sie ein Stück nach dem andern vor. Wie gern hätte ich ihr gesagt, sie möge mich in Ruhe lassen, die solle sich nicht um Dinge kümmern, sie sie nichts angehen. Aber ein einziges grobes Wort von mir, und ich würde eine gute Kundschaft verloren haben und mit ihr vielleicht eine ganze Reihe anderer, denn die Hausbesorgerin ist ja von einem ganzen Kreis von Hausfrauen umgeben, die sozusagen unter ihrer Oberhoheit stehen. Ich bin deshalb vollständig abhängig von ihr, und sie fühlt das und bemüht sich, immer und immer wieder diese Macht zu zeigen. Warum lieben die Menschen nichts so sehr, als die Macht zu dokumentieren, die sie über andere Menschen haben?

      Diesen Tag war die Hausbesorgerin noch ganze viermal bei mir. Jedesmal sah sie sich in der Waschküche um und sagte:

      »Es ist schon so spät! Wann werden Sie denn da die Waschküche ordentlich reinigen können? Und bitte, vergessen Sie ja nicht, daß der Fußboden nicht bloß gut gewaschen, sondern auch ganz trocken aufgewischt sein muß!«

      Gar zu gern hätte ich sie gefragt, ob der Fußboden bis zum nächsten Waschtag am Montag nicht von selbst trocken geworden wäre, aber ich schwieg. Ich sah, daß sie die klare Absicht hatte, mich in Zorn zu bringen, sie wollte unser Gespräch bis zum Stadium des gegenseitigen Beschimpfens bringen, so wie sie es tagtäglich gewohnt war.

      Aber es gelang ihr nicht. Hier in der Fremde sollen sie keine Klage hören, kein Aufbäumen sehen. Weit, weit verstecke ich meinen Stolz und meinen Schmerz. Alles will ich ertragen, was mir zu ertragen hier in der Fremde bestimmt ist, so lange nur meine Kräfte reichen, aber niemandem, niemandem will ich zeigen, wie schwer es mir ist . . .

      Auch andere Frauen besuchten mich in der Waschküche, ich weiß nicht, wie viele. Alle überschütteten sie mich mit Fragen. Wie man in Rußland wäscht, was man in Rußland ißt, wann man in Rußland zu Bette geht, ob man in Rußland den Karfiol bloß mit Butter ißt oder mit Semmelbröseln, wie man in Rußland Leberknödel macht, ob es wahr ist, daß sich in Rußland die Männer mit den Stiefeln aufs Bett legen, ob es in Rußland auf den Straßen Bären gibt, ob es wahr ist, daß man in Rußland das Fleisch gleich mit dem Fell zusammen zum Kochen stellt usw. Und warum ich ausgerechnet einen Österreicher zum Mann genommen habe, ob es nicht genug Männer in Rußland gäbe und warum wir ausgerechnet jetzt nach Österreich gekommen seien.

      Ich antwortete den neugierigen Nachbarinnen auf alle Fragen möglichst gleichgültig und objektiv. Von dem, daß man uns ausgewiesen, sagte ich kein Wort, und bezüglich des Geschäftes behauptete ich, daß mir diese Arbeit sehr gut passe. Überhaupt, sagte ich, gefalle es mir hier sehr gut und ich könnte mir gar kein besseres Leben wünschen. Ich sah, daß meine Worte wie eine Bombe wirkten und daß alle höchst unzufrieden, ja beleidigt waren. Die Leute wollten Klagen und Seufzer hören, womöglich Tränen sehen, und ich habe sie bitter enttäuscht.

      Als gerade wieder einige Frauen versammelt waren, sagte Frau Bacher:

      »Frau Wagner, nehmen Sie doch meinen Waschtrog, in Ihrer Schüssel werden Sie ja doch bis vier Uhr nicht fertig, und eine Stunde brauchen Sie mindestens zum Fußbodenwaschen!«

      Und da kam es von allen Seiten. Die eine trug mir ihre Rumpel an, die andere dies, die dritte das. Ich lehnte aber alles ab und behauptete, es wäre mir so am bequemsten. Viel Mühe verwendete ich darauf, vor den Frauen meine aufgewaschenen Finger zu verbergen.

      Gegen vier Uhr verliefen sich die Neugierigen, sie mußten ihre Jause bereiten. Endlich war ich allein und konnte mich an die wichtige Prozedur des Fußbodenwaschens machen. Ich wendete alle Mühe daran, denn ich wollte um alles in der Welt nicht, daß die Leute sagten, der Fußboden wäre deshalb schlecht gewaschen, weil ich eine Russin sei. Siehst du, Rußland, wie ich hier in der Fremde deine Ehre hochhalte!

      Wie ich mich eilte! Noch jetzt tut mir alles weh, und doch wäre ich nicht fertig geworden, wenn mir nicht ein junger Mann, ein Arbeitsloser, zu Hilfe gekommen wäre. Er wohnt in dem Holzschuppen neben der Waschküche und kam gerade herein, um Wasser zu holen. Als er mich erblickte, nahm er, ohne ein Wort zu sprechen, das Putztuch und begann den Fußboden aufzuwischen.

      »Sie werden sich die Hände verderben, Sie sind doch Klavierspieler!« wollte ich einwenden.

      »Ach, das ist noch eine Frage, wann ich wieder Gelegenheit haben werde, meinen Beruf auszuüben! Aber Sie werden das größte Unglück erleiden müssen, wenn der Boden nicht um fünf Uhr staubtrocken ist.« Er sprach diese Worte so freundlich und blickte mich dabei so lieb an, daß mir mit einem Male wieder ganz warm wurde.

      Als die Hausmeisterin kam, blickte sie streng in jede Ecke und in jeden Winkel und sagte dann kopfschüttelnd:

      »Ich hätte meinen Kopf dafür gewettet, daß Sie damit nicht fertig werden!« Dann fügte sie, schwer aufseufzend hinzu:

      »Na ja, da kann man halt nichts machen!«

      Und jetzt sitze ich hier in der Kirche, am frühen, grauen Morgen . . . Es ist der einzige Ort in der Fremde, an dem ich mich wohlfühle . . . Es ist still in mir, traurig, still ... Ich bete um nichts, bitte um nichts ... Ich will das Leben von dir, o mein Gott, nehmen, wie du es mir gibst. Wie bitter es auch sei, ich will es bis zum Ende tragen . . .

      13. MÄRZ 1926

      Das Geheimnis des Lebens verstehen heißt das Leben so nehmen, wie es ist. Nichts klingt einfacher als diese Worte, und doch ist nichts schwerer, als diese Worte Wirklichkeit werden zu lassen. Jeder Mensch denkt mehr von sich, als er in der Realität des Lebens erreichen kann; und glücklich zu sein, trotzdem man nicht das aus sich heraus entwickelt, wozu man die Keime in sich trägt, das ist schwer!

      So spreche ich jeden Tag zu mir.

      Heute kam eine Kundin zu mir ins Geschäft, Fräulein Fischer, die, wie man hier sagt, »trab-trab« geht. Sie ist ein recht liebes, freundliches Ding, hat immer etwas zu plappern und gehört zu meinen anspruchslosesten Kundinnen. Gewöhnlich sitzt sie da und erzählt mir von ihren Angelegenheiten so lange, bis eine andere Kundschaft ins Geschäft kommt.

      »Ja, heute war ein Bekannter bei mir, ein ehemaliger Kriegsgefangener«, sagte sie. »Ich habe ihm erzählt, daß meine Milchfrau eine Russin ist, und das hat ihn sehr interessiert.«

      Zuerst verstand ich nicht, was sie damit meinte, und erst, als sie fort war, begriff ich, daß diese Milchfrau ja ich sei. In der ersten Minute war ich ganz unglücklich darüber. Ich Milchfrau! Das Interessante ist, daß es gerade das Wort war, das mich so kränkte. Ich wollte Universitätsdozentin sein und bin »Milchfrau« geworden! Aber dann nahm ich mich wieder in die Hand. Man muß es eben verstehen, daß Träume und Wirklichkeit Dinge sind, die sich nicht vereinen lassen. Und warum habe ich mir eingebildet, gerade Universitätsdozentin zu werden? Das Leben hat mich zur Milchfrau gemacht, folglich habe ich alles zu tun, um eine gute, richtige Milchfrau zu sein. Man muß das Leben eben nehmen, wie es ist, ohne Seufzen und Klagen.

      Es


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