Motte und Co Band 3: Blutspur. Ulrich Renz

Motte und Co Band 3: Blutspur - Ulrich Renz


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der Ölgemälde mit den streng blickenden Herren und Damen herausgestiegen, die die Wände bedeckten. Sie stützte sich auf einen Stock mit verziertem Silberknauf. Nach ihrem zerknitterten Gesicht zu urteilen, musste sie uralt sein, es erinnerte etwas an Papagei, und dazu passte auch, dass ihre Stimme krächzte, als ob sie Kette rauchen würde. Im Gegensatz zu ihrer Stimme waren ihre Augen jedoch freundlich und warm.

      „Nach der Ansprache der Gräfin machen wir die erste Bekanntschaft mit unserem Hausmeister, Herrn Stecher“, las Motte weiter. „Er weist Tobi freundlich, aber bestimmt darauf hin, dass der Kiesbelag des Hofes nicht verändert werden sollte.“

      Freundlich, aber bestimmt ... das konnten sie wirklich nicht ernst meinen. Tobi hatte auf dem Kies im Innenhof mit dem Schuh ein riesengroßes Herz gezogen, mit „Renate“ in der Mitte. Der Hausmeister hatte einen regelrechten Tobsuchtsanfall bekommen. „Was glaubst du denn, wo du hier bist! Wenn ich das noch mal sehe, kannst du mich mal kennenlernen!“

      Seither wurde er von allen der Giftzwerg genannt. Mit Ausnahme natürlich von Pinki-Susie und ihren Freundinnen.

      Keiner war vor den Wutanfällen des Giftzwergs sicher, die immer mit dem Spruch endeten „Aber auf mich hört ja sowieso keiner, ich bin hier doch nur der Schuhabtreter!“ Er sah wirklich aus wie Rumpelstilzchen: ein kleines schiefes Männchen mit einem immer sauren bleichen Gesicht.

      Mehmet und Julian behaupteten, sie hätten ihn einmal in seinem Garten hinter dem Schloss gesehen, eine Flasche in der Hand, mit der er seinen Tomatenpflanzen zugeprostet hätte. „Garten“ war eigentlich zu viel gesagt, es war eigentlich mehr ein Brombeergestrüpp. Er hatte dort eine Art Schuppen, den er wahrscheinlich vor allem als Getränkelager nutzte.

      „Hört euch das an!“ Motte stieß sie von der Seite an.

      „Am Nachmittag hatten wir dankenswerterweise frei, was von einem Teil unserer Mitschüler zum Fußballspielen genutzt wurde, ein anderer Teil widmete sich der Aufgabe, ihre Zimmer schön gemütlich einzurichten.“

      Mit dem „anderen Teil“ meinten sie natürlich sich selber. Ihr Zimmer sah aus wie ein Ramsch-Laden. Überall hatten sie Kuscheltiere hingesetzt, von denen sie ein paar Koffer voll mitgebracht hatten. Die Wand hatten sie mit Familienfotos beklebt, natürlich nicht, ohne vorher Mo-Kri um Erlaubnis gefragt zu haben (die bei ihnen „Frau Morahwe-Krieger“ hieß, denn: „Lehrer redet man nicht mit Spitznamen an!“).

      „Steht auch drin, was dann in der Nacht abgegangen ist?“ Simons Stimme brachte MM wieder in die Gegenwart zurück.

      Motte blätterte weiter. „Hmm ... ja ... doch hier ... zweiter Tag ... sieht ganz nach Granates Schrift aus ... Nach dem Frühstück Aussprache mit der Frau Gräfin und Frau Morahwe-Krieger zum Thema nächtliche Vorkommnisse.“

      4. KAPITEL

      Nächtliche Vorkommnisse ... Motte musste den Kopf schütteln. Renates Schrift war einfach unglaublich. Ihre Auf- und Abstriche gingen schwungvoll nach oben und unten, die i-Punkte waren Kringel so groß wie Murmeln. Mehr als zwei Wörter passten in einer Zeile nicht nebeneinander. Diese Logbuch-Seite war so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was sich Siegwart vermutlich unter „schön eng beschrieben“ vorgestellt hatte. Die Schrift passte zu Renate wie die Faust aufs Auge – „Hoppla, hier komm ich!“

      „Aussprache mit der Frau Gräfin und Frau Morahwe-Krieger zum Thema nächtliche Vorkommnisse“, war auch schon alles, was Renate über die Ereignisse der ersten Nacht geschrieben hatte. Und das war auch besser so. Wer wusste schon, wem das Logbuch alles unter die Augen kommen würde? „Schwamm drüber“, hatte Mo-Kri am Ende gesagt, und dabei sollte es bleiben.

      Wie hatte das ganze Desaster eigentlich angefangen?, überlegte Motte. Ach ja, mit diesem dummen Spruch von Dimitri, „ich bin Party“. So hatte er nach dem Abendessen rumgetönt, wahrscheinlich wusste er selber nicht, was er damit sagen wollte. Aber plötzlich war das Gerücht in der Welt, dass im Russen-Zimmer wahnsinnig was los wäre. Und obwohl sie eigentlich keine Lust auf Party hatten, schauten Motte und seine Freunde dann doch bei den Russen vorbei – nur mal kurz, man wusste ja nie, ob man nicht was verpasste. Und dort trafen sie dann auf sämtliche Jungs der Klasse, die auch alle „nur mal kurz“ vorbeigekommen waren. Und sich nun alle zusammen bis raus auf den Flur die Beine in den Bauch standen. Außer Gequassel und Gequatsche war rein gar nichts los, Dimitri war bloß genervt, weil er und seine Freunde bei ihrem ewigen Munchkin-Kartenspiel gestört wurden. Dass sich trotz des Lärmpegels kein Lehrer blicken ließ, hatte – wie sich später herausstellen sollte – damit zu tun, dass diese hinter den dicken Wänden des Rittersaals über das „pädagogische Konzept“ für die kommenden Tage berieten. Und dass die Gräfin im Anschluss noch ihren dreißig Jahre alten Whiskey aus dem Schrank geholt hatte, um auf das gute Gelingen der Klassenfahrt anzustoßen.

      Als Motte und seine Freunde sich gerade wieder in ihr Poetenzimmer zurückziehen wollten, kam das nächste Gerücht auf: dass Max und seine Chaoten einen Kasten Bier auf dem Zimmer hätten. Nicht dass sie unbedingt Bier trinken wollten, aber man wollte doch ganz gern wissen, ob wirklich was dran war an der Sache. Den anderen ging es offenbar genauso, denn bald kam es zu einem regelrechten Sturm auf das Chaotenzimmer. Zwar stellte sich schnell heraus, dass es sich bei dem Kasten Bier nur um drei Dosen Red Bull handelte, aber da war es schon zu spät, denn von hinten drängten die anderen nach, bis das Zimmer buchstäblich aus den Nähten platzte. Mit einem lauten Krachen gingen die beiden Stockbetten zu Bruch, kurz darauf war das Klirren einer Scheibe zu hören.

      Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen, mit Robertos Schlachtruf „Wir stürmen die Mädchen-Zimmer!“ ging der Tumult dann aber erst richtig los. Ein Teil der Jungs unter Führung des Chaotenzimmers wollte sich leise über den Flur anschleichen, ein anderer außen um das Schloss herumgehen und von der Rückseite angreifen. JoJo hatte die geniale Idee, einen „Überraschungsangriff aus der Luft“ zu starten, womit er den Weg über das Dach des Anbaus meinte.

      Natürlich hatten die Mädchen längst Wind von der Sache bekommen und empfingen die Jungs nach allen Regeln der Verteidigungskunst mit Kissen, Turnschuhen und Wurfgeschossen aller Art. Renates Zimmer benutze mit Erfolg die Zahnputzbecher aus dem Waschsaal, um die Angreifer abzuwehren – und den Flur unter Wasser zu setzen. Die Kampfhandlungen gerieten vollends außer Kontrolle, als Mehmet das Zimmer von Pinki-Susie mit dem Feuerlöscher in ein Schaumbad verwandelte, aus dem die Pinki-Mädchen wie Schneetrolle auf den Flur gerannt kamen. In ihrem Kreischen ging es fast unter, dass in Renates Zimmer der Schrank umfiel und im Flur die Lampe von der Decke krachte.

      JoJos Luftangriff war trotz der genialen Planung kein glückliches Ende beschieden. Er hatte es zwar mit Ach und Krach auf das Dach geschafft, aber als er sich auf der anderen Seite wieder hinunter hangeln wollte, gab die Dachrinne nach und er landete mit einem großen Platsch mitten in der Regentonne. Als er patschnass und prustend in Anzug und Krawatte aus der Tonne gekrochen kam, stand zu allem Unglück Delius vor ihm. JoJo hatte zwar wie üblich gleich eine Ausrede parat: dass er noch kurz ein Erfrischungsbad habe nehmen wollen, „schweißbedingt ... Sie wissen schon ...“, aber Delius zeigte trotzdem keine Neigung, ihm Glauben zu schenken, woran sicher auch die Dachrinne schuld war, die JoJo noch in der Hand hielt.

      „Acht kaputte Stühle, zwei Türen, drei Fensterscheiben, zwei Lampen, ein Schrank, ein eingeschäumtes Zimmer. Und der Wasserschaden. Von der Dachrinne ganz zu schweigen“, zählte die Gräfin am nächsten Morgen auf, als sie sich alle zur „Aufarbeitung“ nach dem Frühstück im Rittersaal versammelt hatten. „Dazu ein vollgekotztes Zimmer, zwei Schülerinnen im Alkoholrausch.“ Die beiden Punk-Mädchen, Sandra und Sina, hatten sich während der Kampfhandlungen in aller Seelenruhe mit einer Flasche Wodka besoffen, die sie in ihrem Gepäck ins Schloss eingeschmuggelt hatten. Sandra hatte mal wieder Liebeskummer, weil sich ihr angehimmelter Roberto auf der Busfahrt neben Mariam gesetzt hatte.

      Die Gräfin ließ einen strengen Blick aus ihren Papageien-Augen über die Kinder schweifen, deren Augen wiederum wie magisch von dem Eichenparkett unter ihren Füßen angezogen waren.

      Die


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