ALTE GEWOHNHEITEN STERBEN LANGSAM. Ben Trebilcook
halten und abwechselnd einen von ihnen in die Höhe stemmte, immer und immer wieder.
***
Ein Stacheldrahtzaun führte um einfach konstruierte, hölzerne Wachtürme auf einem kargen Gelände im nordöstlichen Japan. Sie ragten über grasbewachsenen Hügeln mit metallenen Falltüren auf. Eine streng geheime Gefängnisanlage. Auf einem rostigen Schild ließen sich japanische Schriftzeichen erkennen: P.S.I.A. – Public Security Intelligence Agency, der japanische Nachrichtendienst.
Ein maskierter weißer Mann in Tarnkleidung tauchte hinter einem der Hügel im Inneren der Anlage auf.
Ffft! Ffft!
Die lautlosen Schüsse des Mannes töteten zwei der Soldaten in den Wachtürmen.
Der Mann huschte dicht über den Boden auf eine der Metallluken zu. Als sich ganz in seiner Nähe eine andere Luke öffnete und ein Soldat erschien, gab der Mann zwei schnelle Schüsse auf ihn ab. Eine Kugel riss ihm den Arm ab, die zweite ließ den Hinterkopf des Wachsoldaten explodieren und Gehirnmasse und Knochensplitter wie aus einem Gartenspringbrunnen schießen. Dann feuerte der Eindringling noch eine dritte Kugel hinterher.
Der Körper des Soldaten zuckte wie eine Marionette, als wäre ein Stromschlag durch ihn hindurchgefahren.
Durch seine Maske starrte der Fremde auf den frischen Leichnam hinab, der noch immer unkontrolliert zuckend vor ihm am Boden lag. Eine Freudenträne rann ihm aus dem Auge, denn auf eine geradezu sadistische Weise genoss er jedes neue Opfer noch mehr als den Toten zuvor.
Unter ihm, in dem Gefängnis unter der Erdoberfläche, verebbten die schweren Atemzüge.
Der Mann mit der Ratte in der Hand zuckte zusammen und drehte sich zu seinem Wanzen essenden Zellengenossen um. Gemeinsam lauschten sie in die Stille hinein.
Auch die anderen Häftlinge blickten nun zu der moosbewachsenen Decke hinauf.
Ein gewaltiges Dröhnen war von oben zu hören. Dreck und Staub regneten herab.
In Ermangelung von Hanteln stemmte der Europäer den hageren Mister Stirnband als Gewicht in die Höhe. Der Mann, der äußerlich immer noch einer Eiche glich, war nun achtzig Jahre alt. Seine Muskeln zeichneten sich deutlich unter seiner fadenscheinigen, olivgrünen Uniform ab. Seine Arme waren so dick wie Oberschenkel. Sein Haar war verfilzt und sein Gesicht von einem dichten Bart bedeckt. Mit seiner Statur sah er aus wie Arnold Schwarzenegger. Sein Name war Frederick. Er stemmte den loyalen Mister Stirnband in die Höhe und stieß warme Atemwolken in die kalte Zelle. Schmutz rieselte ihm ins Gesicht. Er lauschte, während er den alten Japaner nach oben drückte. Seine Muskeln traten von der Kraftanstrengung hervor. Sein Gesicht nahm einen neugierigen Ausdruck an. Irgendetwas war passiert, eine Art Überfall vielleicht. An der Luke über ihnen huschte etwas vorbei. Frederick richtete sich auf und setzte Mister Stirnband vorsichtig auf dem Boden ab.
In dem schwach beleuchteten Korridor tief unter der Erde flackerte ein Licht auf.
Stimmen riefen etwas auf Japanisch, begleitet von Gewehrsalven.
Einer der Wachleute wirbelte herum und legte sein Gewehr an, aber es war bereits zu spät. Er wurde von Kugeln durchsiebt, die sich durch seine Uniform und sein Fleisch bis in seine Lunge und andere lebenswichtige Organe bohrten. Die Kugeln brachen ihm die Rippen, rissen ihn von den Füßen und trieben ihn gegen die Wand. Dort sackte der Wachmann als blutdurchtränktes Bündel zusammen.
Frederick blinzelte zu der stabilen Eisentür.
Kugeln prallten von der Tür und einigen der Gitterstäbe ab.
Der Widerhall von Schreien vermischte sich mit dem Krachen von Gewehrschüssen und dem gelegentlichen dumpfen Poltern der Wächter, die jenseits der Zellentür zusammenbrachen.
Lautlos abgefeuerte Kugeln bohrten sich in die rostigen, feuchten Metallwände entlang des Korridors.
Ein maskierter Mann erschoss zwei weitere Wachen. Im Vorbeigehen trat er mit seinen schweren, schwarzen Stiefeln auf die Brust eines Soldaten. Blut und Innereien quollen aus dem Leichnam, als sich der Stiefel tief in die offene Brustwunde senkte.
Als er an einer der Zellentüren vorbeilief, starrten ihn durch das vergitterte Fenster drei halb verrückte japanische Gesichter an. Gesichter von Männern, die Jahre der Isolationshaft hatten erdulden müssen. Wer waren sie? Was hatten sie verbrochen? Doch selbst die Häftlinge hatten vergessen, weshalb sie hier eingesperrt worden waren.
Der maskierte Mann brachte ein explosives Gel an der eisernen Tür von Fredericks Zelle an. Schnell begann es zu glühen und erhellte den dunklen Korridor. Der Mann trat ein paar Schritte zur Seite, schirmte sich das Gesicht ab und wartete.
Aus der Zelle war kein Laut zu hören.
Frederick selbst war inzwischen misstrauisch geworden und wich von der Tür zurück, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
Ein Knirschen. Der Häftling mit der Ratte in der Hand hatte dem Tier den Kopf abgebissen.
WUMM!
Die Zellentür wurde aus ihren Angeln gerissen und flog in die Zelle hinein. Sie köpfte den Mann mit der Ratte und blieb in der Wand hinter ihm stecken.
Ein grelles Licht, das vom Lauf eines Maschinengewehrs ausging, zuckte durch die Zelle. Ein roter Ziellaser huschte flackernd umher.
Der maskierte Mann betrat die Gefängniszelle. Er hielt die Waffe wie jemand, der im Umgang mit ihr geübt war, wie ein Mitglied einer Spezialeinheit. Umsichtig suchte der Gewehrlauf jeden Winkel ab.
Einer der Gefangenen musterte den Mann eindringlich mit irrem Blick. Dabei schwankte er ein wenig, hypnotisiert von der offenen Tür und dem potenziellen Weg ins Freie.
»Opa?«, fragte der maskierte Mann.
Der Gefangene mit den irren Augen zuckte zusammen, als plötzlich einer der schwer verletzten Wachleute mit einer Remington-870-Schrotflinte in der Hand in die Zelle stolperte.
Frederick trat einen Schritt vor und zerschnitt mit einer selbstgebastelten Schnürsenkel-Rasierklingen-Peitsche das Gesicht des Wachsoldaten. Mit der anderen Hand schlug er den Wachmann bewusstlos und schnappte sich gleichzeitig dessen Waffe. Frederick lud die Schrotflinte durch. Danach drehte er sich um und sah blinzelnd zu dem maskierten Eindringling. Ein Funkeln des Wiedererkennens schimmerte in seinen Augen.
Hinter ihm stand Mister Stirnband, zusammen mit den anderen Zellengenossen.
Einer der Gefangenen starrte abschätzend auf die Leiche des Rattenmannes hinab. Er schien zu der Ansicht gelangt zu sein, dass die Lage nun weniger gefährlich war, beugte sich zu ihm hinunter und nahm ihm die halb aufgegessene Ratte aus der Hand. Er wischte etwas von dem Schmutz von ihr ab, dann begann er selbst, die Ratte zu verspeisen. Dabei hob er immer wieder den Kopf, um möglichst nichts von dem Schauspiel zu verpassen, dass sich vor seinen Augen bot.
Der Mann zog sich die Maske vom Gesicht und offenbarte strohblonde Haare und das glatte, gut aussehende Gesicht eines Mannes von vielleicht fünfunddreißig Jahren. Sein Name war Philip.
»Mein Enkelsohn?«, fragte Frederick in perfektem Japanisch.
Philip lächelte amüsiert.
Frederick trat zu ihm. Er musterte Philip für einen langen Augenblick, dann lächelte auch er.
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