Mami Staffel 9 – Familienroman. Stephanie von Deyen
Rolf hatte sich damit abgefunden, daß er im Moment völlig unwichtig war. Isabel hatte keine Zeit und war außer sich vor Sorge um ihre kleine Tochter. Einmal hatte er Sara im Krankenhaus besucht, eins der üblichen großen Stofftiere in der Hand, mit denen er sich ihre Zuneigung erkaufen wolle. Aber sie hatte gar nicht reagiert. Stumm und blaß hatte sie in den Kissen gelegen, wie schlafend.
Immerhin war das Fieber nun gesunken. Zeitweise war die Lungenentzündung so eskaliert, daß man Sara künstlich beatmet hatte. Diese schlimme Phase war nun vorbei, jetzt war das Kind erschöpft von der schweren Infektion und bekam allerhand Aufbaumedikamente. Einige Tage lang erhielt sie Infusionen, damit ihr dringend nötige Mineralien und Nährstoffe zugeführt werden konnten.
Endlich, endlich gab der behandelnde Kinderarzt grünes Licht, und Sara durfte nach Hause.
»Natürlich kann sie noch lange nicht in den Kindergarten!« wurde Isabel belehrt. »Sara braucht Schonung. Sie muß auch noch weiter vom Hausarzt behandelt werden.«
Immerhin… es war ja alles schon viel besser! Bis auf den trockenen Husten, der jeglicher Behandlung trotzte. Vormittags, wenn Isabel im Kindergarten war, kam Oma Gruber und kümmerte sich rührend um ihre Enkelin. Kiki war außer sich vor Freude, ebenso Timmy Markward, der nun seine Freundin Sara wieder hatte.
»Vielleicht fahrt ihr jetzt doch nicht in Urlaub!« meinte er hoffnungsvoll. »Weil du doch krank warst.«
Sage und schreibe vier Wochen hatte das kleine Mädchen in der Klinik gelegen. Jetzt sah Sara alles mit anderen Augen, wie ein großes, wunderbares Geschenk: Mami, das hübsche Haus, die Rotenbuchstraße mit den hohen Bäumen und den schönen alten Laternen, die Großeltern, Nachbarn, Timmy… und Kiki, der vor lauter Freude sein ganzes Repertroire herunterschnarrte:
»Segel hissen! Auf, Matrosen, von Bord. Gute Nacht. Klabautermann in der Kombüse. Alle Mann an Deck!«
Wen störte es, daß er Begriffe und Sätze wild durcheinandermischte? Was dabei herauskam, war obendrein manchmal so ulkig, daß Sara laut lachen mußte.
Nur die Sache mit Rolf Berger war genauso wie vor dem Krankenhausaufenthalt. Die Umgebung war verklärt wie in einem goldenen Licht… auf Rolf traf das nicht zu. Selbstverständlich wollte er sich nicht lumpen lassen und erschien anläßlich Saras Heimkehr mit einem Präsentkorb. Dieser enthielt Säfte mit Vitaminen, Obst und das unvermeidliche Stofftier, diesmal ein Nilpferd mit aufgerissenem Rachen.
»Wie schön!« fand Isabel. »Du sollst nicht so viel Geld ausgeben, Rolf!«
»Für unsere kleine Sara tu’ ich doch alles!« war seine Antwort. In diesem Moment trafen sich ihre Blicke: Der des kleinen Mädchens und der seine. Und es war, als durchschaue jeder den anderen.
Dr. Köhler war mit Saras Gesundheitszustand zufrieden, nur der trockene Reizhusten machte ihm Sorgen.
»Sie sollten mit dem Kind verreisen, Frau Sievers!« wandte er sich an Isabel. »Luftveränderung, das könnte helfen. Wann beginnen die Ferien im Kindergarten?«
»Etwa am fünfzehnten Juni, Herr Doktor.«
»Hm… in vier Wochen also. Ein bißchen spät. Können Sie sich nicht beurlauben lassen, Frau Sievers?« wollte Dr. Köhler wissen.
»Es muß eben gehen, wenn es für Saras Gesundheit erforderlich ist!« erwiderte Isabel entschlossen. »Denken Sie an einen längeren Aufenthalt, Herr Doktor?«
Der Hausarzt nickte. »O ja, allerdings… bis zum Ende der großen Ferien sollten Sie schon wegbleiben! Denken Sie daran, Frau Sievers, wie krank Ihre Kleine gewesen ist. Falls Sie doch nicht wegkönnen, sollten wir einen Heimaufenthalt in Betracht ziehen, in einem Kindersanatorium eventuell.«
»Auf keinen Fall!« gab die junge Mutter entschieden zurück. »Ich verreise mit meinem Kind. Man wird im Kindergarten dafür Verständnis haben. Ich nehme meinen Jahresurlaub, der Rest ist dann unbezahlte Freizeit. Wir hatten übrigens vor, nach Griechenland zu fliegen… zusammen mit einem Bekannten…«
»Davon würde ich Ihnen abraten!« meinte Dr. Köhler. »Eine Reise in ein heißes südliches Land empfehle ich nicht. Angebracht ist ein leichtes Reizklima. Die Ostsee wäre ideal… Schleswig-Holstein!«
»Ach du Schreck!« murmelte
Isabel und dachte an Rolf. Wie sollte sie ihm beibringen, daß aus dem geplanten Urlaub auf der Insel Kos nichts werden würde?
»Wieso Schreck?« fragte Dr. Köhler verwundert, der die Zusammenhänge natürlich nicht durchschaute. »Die Ostsee ist wunderschön! Und wenn ich Ihnen einen Tip geben darf, Frau Sievers: Entscheiden Sie sich für Hohensand. Ein kleiner, aber reizender Ort zwischen Kiel und Heiligenhafen. Sandstrand, Dünen, Steilküste, das Hinterland mit Seen, Feldern, Mischwald. Erstklassiges, völlig staubfreies Klima. Es ist ruhig dort, ich will mal so sagen, die High Society finden Sie woanders. Dafür werden Sie aber nette, bodenständige Leute kennenlernen…«
»Sie waren schon da, Herr Dr. Köhler?«
Der Arzt nickte. »Mehrmals… als meine beiden Kinder kleiner waren.«
Später erzählte Isabel ihrer Tochter von dem Plan, für viele Wochen an die Ostsee zu fahren, damit sie wieder ganz und gar gesund werden konnte.
»Wenn wir am ersten Juni losfahren, Kleines, bleiben wir bis mindestens Mitte August!« sagte
Isabel. »Hm… ja, eine lange Zeit. Aber wir müssen auf Dr. Köhler hören. Er hält es für das einzig Richtige.«
»Und dieser… äh, ich meine, Rolf kommt dann nicht mit?« war Saras erste Frage.
»Sicher nicht, Mausi. Vor allem nicht so lange. Er kann sich im Sommer höchstens zwei bis drei Wochen freinehmen, hat er gesagt. Wir wollten zwar erst nach Griechenland…«
»Nein, nein, an die Ostsee.« Sara klammerte sich an ihre Mutter. »Ich will gar nicht auf diese blöde heiße Insel. Aber was machen wir mit Kiki?«
Isabel dachte nach und zuckte bekümmert die Schultern. »Den müssen wir in Pflege geben. Zu Oma und Opa.«
»Sooo lange?« klagte Sara. »Kiki mag Oma und Opa nicht so gern. Sie schimpfen ihn immer aus, wenn er so laut krächzt. Der arme Kiki! Bitte… Mami! wir nehmen ihn einfach mit!«
»Tja, Maus, ob das geht… ich werde mich mal erkundigen. Morgen rufe ich in der Kurverwaltung in Hohensand an, und dann sehen wir weiter!«
*
Natürlich war Rolf stocksauer. Alles hatte er so schön eingefädelt, und nun machte ihm das kleine Gör mit seiner Krankheit wieder einen Strich durch die Rechnung!
»Fahr doch allein nach Griechenland!« ermunterte ihn Isabel. »Tut mir leid, Rolf… aber ich muß das tun, was Dr. Köhler mir rät. Hast du denn schon gebucht?«
»Nein!« erwiderte er grimmig. »Das sollte nächste Woche geschehen. Ich habe allerdings Hotel und Ferienclub schon ausgesucht… na, dann eben nicht.«
Blitzschnell schwankte er um, und Isabel wußte nicht, ob sie sich wirklich darüber freuen sollte.
»Diese kleinen Kaffs an der See sind mir zwar zuwider, aber ich werde hinfahren!« knurrte er. »Dir zuliebe, Isabel… äh, und natürlich wegen der Kleinen. Ihr reist schon in Kürze, ich komme für zwei bis drei Wochen nach, sobald ich es ermöglichen kann.«
»Rolf, das ist nett von dir, aber du brauchst wirklich nicht unseretwegen…«
»Doch, doch!« Er runzelte die Stirn. »Klar, euretwegen. Keine Widerrede, Isabel. Ich tue es gern!«
Wieder allein, ließ Rolf seiner Wut freien Lauf. Urlaub an der See, mit Sandschaufel, Heringssalat und Fischkuttern… ein Alptraum! Nicht zu vergleichen mit der blauen Ägäis…
Aber es nützte nichts. Er mußte in den sauren Apfel beißen und ebenfalls nach Hohensand reisen, wenn er endlich die Zügel in die Hand bekommen wollte. Isabel war ihm in der letzten Zeit ohnehin viel zu sehr entglitten. Ihre Gedanken