Bettina Fahrenbach Staffel 3 – Liebesroman. Michaela Dornberg
noch einmal erleben.
Isabella war noch nicht da, aber sofort nach ihrem Eintreffen würden die Blitzlichter aufzucken. Die Fotografen lauerten schon, und hier und da, wenn sie ein prominentes Gesicht entdeckt hatten, zuckten Blitzlichter auf.
Bettina hatte keine Lust, sich schon hinzusetzen, sie stellte sich viel lieber an eines der Fenster und beobachtete die Leute. Hier und da entdeckte sie ein Gesicht, das sie aus Film und Fernsehen kannte. Manche Leute taten unwahrscheinlich wichtig und reckten ihre Hälse den Fotografen entgegen, vergebens. Bettina konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Schwester Grit und ihre Schwägerin Mona wären auch welche von denen, die sich am liebsten vor die Linse der Kameras schmeißen würden. Welch ein Theater hatte Grit gemacht, daß ausgerechnet sie, Bettina, neben Isabella auf den Titelseiten gewesen war.
Sie trat ein wenig nach vorn, um sich eine Frau genauer anzusehen, die sich an ihr vorbeigeschoben hatte. Geschoben war wohl das richtige Wort. Die Frau war in ein auffallendes enges silberfarbenes Kleid hineingepreßt wie die Wurst in die Pelle. Sie war fast schon zu bedauern. Wie wollte sie denn den Abend überstehen? Wenn man sie so sah, war beinahe zu befürchten, daß bei einem tiefen Atemzug die Nähte des engen Fummels platzen mußten. Warum taten Frauen sich das bloß an?
Sie war so beschäftigt, die Frau anzusehen, daß sie für einen Moment ihren Blick für alles andere verlor.
Auf einmal stand jemand hinter ihr. Sie nahm den leichten Duft von Sandelholz, Zypresse und Limone wahr und schloß die Augen.
Sie wußte, zu wem dieser Duft gehörte, hätte ihn aus tausenden anderer Düfte erkannt.
Jan… Jan war hier!
Kräftige Arme umschlossen sie von hinten. Bettina lehnte sich an ihn. Sie fühlte sich so unbeschreiblich wohl, so unendlich geborgen.
Sie nahm die Geräuschkulisse um sich herum nicht mehr wahr. Sie spürte nur diese unglaubliche Nähe, seine Präsenz. Jan van Dahlen war hier!
Jan…
Bettina hätte später nicht zu sagen vermocht, wie lange sie so reglos dagestanden hatte, von ihm umfangen, an ihn gepreßt. Ihr war für einen Augenblick jegliches Gefühl für Zeit und Raum verlorengegangen.
Irgendwann drehte sie sich vorsichtig um, sorgsam darauf bedacht, daß seine Arme nur ja nicht losließen.
Sie öffnete die Augen und blickte ihn an.
»Hallo, meine Schöne«, sagte er, strahlte sie an, beugte sich herunter, und dann küßte er sie, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.
Sein Kuß war sanft und zärtlich, und sie erwiderte ihn, ohne daß es ihr so richtig bewußt wurde.
Jemand, der es eilig hatte, rempelte sie an, und das brachte sie in die Gegenwart zurück.
Auf einmal war alles wieder da, die vielen Menschen, die immer stärker werdende Geräuschkulisse, ein Getümmel, weil Isabella eingetroffen war und sich alle Fotografen auf sie stürzten.
Bettina befreite sich aus seinen Armen, atmete tief durch. Verlegen schaute sie ihn von der Seite an. Wozu, um Himmels willen, hatte sie sich denn hinreißen lassen?
»Du siehst phantastisch aus, Bettina«, sagte er geradezu unbekümmert. »Ich glaube, es geht gleich los. Komm, laß uns unsere Plätze einnehmen. Soweit ich weiß, sitzen wir nebeneinander.«
Er hakte sie unter, und es war zutreffend, Isabella hatte dafür gesorgt, daß sie Plätze nebeneinander hatten.
Bettina wußte vor lauter Verlegenheit nicht, wohin sie blicken sollte. Vor all den Leuten hatte Jan sie ausdauernd geküßt, und was das Schlimmste war, sie hatte voller Inbrunst seinen Kuß erwidert.
Als sie sich setzten, blickte sie ihn scheu von der Seite an. Für ihn schien alles ganz normal zu sein, er richtete ihr Tuch, strahlte sie an.
»Meine Güte, bist du schön«, flüsterte er ihr ins Ohr, und diese körperliche Nähe ließ sie schon wieder erschauern. Es hatte sich etwas zwischen ihnen verändert. Etwas war anders geworden.
Sie schluckte.
Sie hätte diesen Kuß nicht zulassen dürfen. Das erweckte doch nur falsche Hoffnungen in ihm.
Aber es war so schön gewesen, in seinen Armen zu liegen, von ihm geküßt zu werden!
Die Veranstaltung begann, aber Bettina war einfach nicht in der Lage, sich darauf zu konzentrieren. Sie war verwirrt und aufgeregt zugleich.
Sie spürte, daß er sie von der Seite ansah.
Sein Arm legte sich ganz lässig um ihre Schulter.
Wieder beugte er sich zu ihr hinüber.
»Bettina, es ist kein Staatsverbrechen passiert«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Wir haben uns nur geküßt.«
Sie wurde rot wie eine überreife Tomate. Und es war ihr peinlich, sich so pubertär zu verhalten, schließlich war sie eine erwachsene Frau, und der Kuß, seine Umarmung hatten ihr doch gefallen.
Sie wünschte sich, er möge seinen Arm von ihrer Schulter nehmen, weil sie das irritierte, doch als er es dann schließlich tat, fehlte ihr etwas.
Aus! Schluß!
Sie wandte sich dem Geschehen auf der Bühne zu, und da es ein interessantes buntes Programm war, gelang ihr sogar, sich Jan gegenüber wieder normal zu verhalten.
Schließlich kam Isabella auf die Bühne. Sie hielt die Laudatio auf einen jungen Geiger, der mit dem Boris-Adrimanow-Preis ausgezeichnet wurde.
Sie wirkte souverän, cool und sprach mit bewegenden Worten sowohl über Boris, dem zu Ehren der Preis gestiftet worden war, als auch über den jungen Künstler, der ein großes Talent war.
Sie war eine große Schauspielerin und die Leute hingerissen von dem, was sie sagte. Doch wer sie kannte, sah, welche Kraft es sie kostete und wie sehr sie litt.
Doch war das ein Wunder?
Der große Geiger Boris Adrimanow war ihre große Liebe gewesen, und sie hatte seinen Tod noch immer nicht überwunden. Aber Boris war ja auch auf so grausame Weise aus dem Leben gerissen worden. Genauso wie Martin durch einen schrecklichen Autounfall, nur hatte ihn kein Selbstmörder mit in den Tod gerissen. Bei Boris war es so banal gewesen, durch die Schlamperei einer Autowerkstatt war sein schwerer Wagen wie ein Geschoß durch die Luft geflogen und hatte sich dann um einen Baum gewickelt.
Bettina hatte Isabellas Schmerz hautnah zu spüren bekommen, denn sie hatte die Zeit danach auf dem Fahrenbach-Hof verbracht, und da hatte sich auch ihre Freundschaft entwickelt.
Bettina beugte sich zu Jan hinüber.
»Sie leidet wie ein Hund«, flüsterte sie ihm zu, »man spürt förmlich, wie alles wieder in ihr hochkommt.«
Er nickte.
»Ja, sie ist längst noch nicht darüber hinweg, aber das läßt sie sich nicht anmerken. Sieht sie nicht hinreißend aus, und ist ihr Auftritt nicht geradezu perfekt?«
Das war er wirklich, aber nachdem Isabella ihr Programm abgespult hatte, ging sie nicht mehr an ihren alten Platz zurück, sondern verließ, begleitet von einem Troß von Fotografen, die Stadthalle.
Sie lächelte, winkte, bedauerte, leider weg zu müssen wegen eines anderen Termins, dann war sie entschwebt.
Bettina wußte, daß sie sich gleich in ihrer Suite vergraben und sich ihrem Schmerz hingeben würde. Auch ein Star war nur ein Mensch.
Bettina fröstelte.
Sofort legte Jan wieder den Arm um sie.
Das war gut so. Durch die dünne Seide ihres Schals spürte sie die Wärme seiner Hand auf ihrer Haut, und das war ungemein beruhigend. Es war schön, Jan an ihrer Seite zu haben, zumal sie wohl nicht mehr damit rechnen konnte, Isabella heute noch einmal zu sehen.
Es war schade, aber Jan war ein adäquater Ersatz.
Ersatz?